Süddeutsche Zeitung

Historische Aufarbeitung:Kritische Lokalhistoriker

Die Geschichtswerkstatt Dorfen hat sich als gemeinnütziger Verein und mit breiterer Basis neu aufgestellt. Etwa zehn Aktive arbeiten nun an der Erforschung insbesondere der örtlichen NS-Geschichte - und es gibt einen eigenen Raum für Treffen und Veranstaltungen

Von Florian Tempel, Dorfen

Die Geschichtswerkstatt Dorfen gibt es schon seit einigen Jahren und sie ist längst eine Institution. Die Recherchen und Ergebnisse zur nationalsozialistischen Karriere des Dorfener Schriftstellers Josef Martin Bauer etwa, die große Abendveranstaltung zur Revolution 1918/19 im Jakobmayer-Saal, die Entdeckung des aus Dorfen stammenden NS-Widerstandskämpfers Karl Wastl, der Erinnerungsabend mit der Schoah-Überlebenden Hilde Grünberg in Isen und so vieles mehr waren bemerkenswerte und wichtige Aktionen und Leistungen. Die Geschichtswerkstatt hat aufgeräumt mit falschen Narrativen, unhaltbaren Beschönigungen und unglaubwürdigen Erinnerungslücken. Das hat Eindruck hinterlassen und andere animiert, mitzumachen.

"Wir befassen uns mit Geschichte nicht nur der Vergangenheit wegen, sondern einer besseren Gegenwart und Zukunft wegen."

Als eingetragener und gemeinnütziger Verein hat sich die Geschichtswerkstatt Dorfen nicht neu gegründet, sondern auf eine breitere Basis gestellt. "Früher waren wir nur drei, vier Leute, jetzt sind wir ungefähr zehn Aktive", sagte Schorsch Wiesmaier. Und die Geschichtswerkstatt hat jetzt noch etwas: sie hat ein Vereinsheim. Dort, wo sich früher die Kulturkneipe "Soafa" befand und heute die Firma Kronseder einen Showroom für Badewannen, Waschbecken und glänzende Armaturen hat, hat die Geschichtswerkstatt Dorfen e.V. eine Hälfte des Raums ganz für sich bekommen. Mit einem großen Tisch für Besprechungen und gemeinsame Arbeiten, aber auch mit 30 bequemen Stühlen, um hier kleinere Veranstaltungen stattfinden zu lassen. Bald soll es so weit sein.

Die Geschichte der Geschichtswerkstatt Dorfen selbst reicht noch gar nicht so lange zurück. Hans Elas, Schorsch Wiesmaier und Heidi Oberhofer-Franz, alle drei Lehrer respektive Lehrerin, waren 2017 erstmals als Geschichtswerkstatt Dorfen mit dem Zusatz "in der GEW" öffentlich in Erscheinung getreten. Der gemeinsame Beruf und Arbeit in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) war ein wichtiges Moment für sie. Hans Elas hat das in einem Interview einmal so gesagt: "So wie Geschichte damals in den Schulbüchern dargestellt wurde, konnte es nicht gewesen sein. Es blieb für uns gar nichts anders übrig, als unsere eigenen Materialen zu erarbeiten."

Monika Schwarzenböck und Doris Minet sind keine Lehrerinnen. Gemeinsam mit Bettina Kronseder und Adalbert Wirtz hatten sie als Arbeitskreis von "Dorfen ist bunt" 2011 begonnen, über die Geschichte jüdischer Schoah-Überlebender in Dorfen zu forschen. Sie deckten ein völlig vergessens Kapitel der Lokalgeschichte wieder auf. Sie verfassten das Buch "Wie kommt der Davidstern nach Dorfen?" und organisierten mehrere große Erinnerungsveranstaltungen. Nun werden sie in der Geschichtswerkstatt weiter an ihrem Thema arbeiten, das sie seitdem nicht mehr loslässt. Beide sind vom Ansatz der Geschichtswerkstatt überzeugt, sich "mit der Geschichte von unten zu befassen, dem Leben und Alltag von einfachen Menschen", wie es Schorsch Wiesmaier sagt: "Wir wollen von Menschen erzählen, die sich gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Unfreiheit gewehrt haben. Es gab sie zu allen Zeiten, auch hier unserer Nähe."

Das Erforschen von Biografien in Gesprächen mit Zeitzeugen nach der Methode der Oral History, aber auch das Suchen und Sichten in Archiven, ist "nicht nur eine spannende Arbeit", sagt Monika Schwarzenböck, "es ist auch wichtig". Es gehe nicht nur um die Wahrnehmung von Vergangenheit. Ein wesentlicher Teil sei es auch, "Zusammenhänge zu erkennen", die in die Gegenwart hineinreichen. Schorsch Wiesmaier stimmt dem voll und ganz zu: "Wir wollen aus der Geschichte lernen und aufklären. Wir befassen uns mit Geschichte nicht nur der Vergangenheit wegen, sondern einer besseren Gegenwart und Zukunft wegen." Gesellschaftliches und politisches Engagement ist für viele Mitglieder der Geschichtswerkstatt deshalb vollkommen selbstverständlich, die einen bei der GEW, andere bei "Dorfen ist bunt" oder Pax Christi.

Die Themen werden der Geschichtswerkstatt Dorfen nicht so schnell ausgehen. Hans Elas hat sich mit Georg Bauer, einem Bruder des Schriftstellers Josef Martin Bauer, beschäftigt, der im Unterschied zu diesem ein Gegner der Nazi war. Aktuell sind Biografien von lokalen NS-Euthanasieopfern und völlig vergessenen KZ-Häftlingen in Arbeit. Es wird um Schicksale von Frauen gehen, die Beziehung zu Zwangsarbeitern hatten, und über Lebenswege von DPs in Dorfen. Die Geschichtswerkstatt freut sich über weitere Mitglieder, man kann gerne aber auch ohne Vereinsbeitritt mitarbeiten.

Homepage geschichtswerkstatt-dorfen.de, E-Mail kontakt@geschichtswerksstatt-dorfen.de.

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SZ vom 19.02.2022
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