Süddeutsche Zeitung

Historie:Das schreckliche Ende des Krieges

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Noch am 18. April 1945 wird Erding bei einem Bombenangriff verheerend getroffen, 144 Menschen sterben. Die hohe Zahl an Todesopfern geht nicht zuletzt auf eine falsche Entwarnung zurück, die die Menschen ins Freie lockte

Von Thomas Daller, Erding

Vor 70 Jahren bombardierte ein amerikanisches Flugzeuggeschwader die Stadt Erding, 144 Menschen starben. Mit einem Gedenkgottesdienst, heute, Samstag, 18. April, 19 Uhr, in der Stadtpfarrkirche St. Johannes und dem anschließenden Totengedenken vor dem Mahnmal in der Kirche erinnert die Stadt Erding an diese schrecklichen Ereignisse.

Der 18. April 1945 ist ein schöner, klarer Frühlingstag. Bis nach Freising kann man von Erding aus sehen. Kurz nach 15 Uhr kommt ein relativ kleiner amerikanischer Bomberverband, etwa ein Dutzend Maschinen, aus Richtung Hohenlinden auf die Stadt zu. Fliegerlärm ist man hier gewohnt, die Verbände sind schon oft nach Angriffen auf München über Erding abgezogen. Und auch an diesem Tag ertönte die Luftschutzsirene um 12.15 Uhr zum ersten Mal. Um 12.55 Uhr wird Vorentwarnung gegeben, um 13.35 Uhr nochmals Fliegeralarm. Und um 15 Uhr wird im Radio durchgegeben: "Vorentwarnung für die Stadt München". Auch ein Entwarnungssignal ertönt und lockt viele, die im Keller Schutz gesucht haben, wieder aus den Häusern. Fliegeralarm gehört im April 1945 in Erding zum Alltag: Man ist die ständige Bedrohung aus der Luft gewöhnt, hat sich damit abgefunden. Die meisten hoffen auf ein baldiges Ende des Krieges; die Amerikaner stehen ja schon in Nürnberg und an der Donau.

Gegen 15.20 Uhr fällt der Tod auf Erding hernieder. Der Lärm bei den Detonationen ist kurz, aber ohrenbetäubend. Nach einigen Sekunden ist alles vorbei. Rauch und Staub sind so dicht, dass sie die Sonne verdunkeln. Viele Häuser wurden regelrecht weggeblasen. Die Zerstörungen sind vor allem im südöstlichen Viertel der Stadt, zwischen Bahnhof und Haager Vorstadt, besonders stark. Nach der Explosion herrscht Totenstille in Erding. Etwa 50 Zehn-Zehnter-Bomben wurden abgeworfen, heißt es im "Lagebericht über den Luftangriff auf die Stadt Erding", den die Gendarmerie verfasst. Darin steht: "Bisher 33 Gefallene geborgen; mit weiteren 10 bis 20 gefallenen ist zu rechnen." In Wirklichkeit war die Zahl der Getöteten weitaus höher: 126 Menschen kommen durch Splitter, herumfliegende Gebäudeteile, Luftdruck oder unter den Gesteinsmassen ihrer zusammengestürzten Häuser sofort ums Leben. 18 weitere erliegen ihren Verletzungen.

Die Stadt ist ein Trümmerfeld. Es erstreckt sich vom Gasthaus zur Post über das Stiftungs-Verwaltungsgebäude, das Uhrmacher-Geschäft Lechner, das Haus des Dr. Gebhard, Mayr-Wirt, das Gasthaus "zum Haager Tor" und die Gerberei Dachs. 13 Todesopfer sind allein in dem völlig zerstörten Maidl-Haus zu beklagen. In der Haager Straße sind nicht nur die größten Schäden zu verzeichnen: Hier ist auch die Zahl der Getöteten am höchsten. Auch die Spiegelgasse ist von Trümmern übersät. Die Druckwelle der Detonation zerstört Dächer und Fenster vieler Häuser in der Erdinger Innenstadt, am Schrannenplatz brennen die Apotheke und das Lehner-Haus. Blut überströmte Menschen taumeln unter Schock durch die Straßen.

Tagelang arbeiten Bergungskommandos daran, die verschütteten Menschen auszugraben. Nachbarn helfen zusammen, legen Kellerfenster frei und versuchen die überlebenden Frauen und Kinder zu bergen. Die Rettungskräfte und die Schwestern und Ärzte des Krankenhauses haben Schwerstarbeit zu leisten. Hunderte Verletzte müssen behandelt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass Strom und Wasser tagelang ausfallen. Die Toten werden zunächst in der Haager Straße an den Straßenrand gelegt, danach in die schwer beschädigte Stadtpfarrkirche gebracht. Vor der Beerdigung der Toten findet in der Kirche die Aussegnung statt. Die Särge müssen aus Platzgründen übereinander gestapelt werden.

Viele andere Städte in Bayern sind am gleichen Tag betroffen. Auch Freising wird angegriffen, genau wie Rosenheim, Dillingen, die Landkreise Augsburg, Neuburg an der Donau und Traunstein. Erdings Stadtarchivar weiß zu berichten, dass die aus Sizilien kommenden "Fliegenden Festungen" der US-Luftstreitkräfte am 18. April ihre Ladung eigentlich gar nicht über Erding abwerfen sollten. "Geplant war ein Angriff auf Pilsen, aber der wurde abgeblasen", sagt Markus Hiermer. "Die haben danach alles getan, um ihre Last loszuwerden", ergänzt er. Die Luftabwehr der Nazis ist in der Endphase des Krieges freilich schon zusammengebrochen. Dennoch bombardieren Amerikaner und Engländer bewusst auch kleine Städte wie Erding, um den letzten Widerstand der Deutschen zu brechen. Die Angriffe waren von keiner strategischen Bedeutung mehr, aber es war eine Antwort darauf, dass die Deutschen mit der Bombardierung der Zivilbevölkerung begonnen hatten.

Am 30. April 1945 nimmt sich Adolf Hitler im Berliner Führerbunker das Leben und begräbt damit auch seinen mörderischen Traum vom tausendjährigen Deutschen Reich, dem Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind. Ebenfalls am 30. April ziehen den ganzen Tag lang deutsche Truppen auf dem Rückmarsch durch Erding. Der letzte Trupp, der durchkommt, hat den Befehl, alle Brücken zu sprengen, was sie auch tun. Nur die Freisinger Brücke, unter der die Stromleitungen zum Elektrizitätswerk verlaufen, bleibt verschont, weil Werkmeister Georg Pfab den zuständigen Offizier davon überzeugt, Erding dürfe nicht im Dunkeln versinken. Einen Tag später, am 1. Mai, schießen amerikanische Soldaten Erding vom bereits eingenommenen Eitting aus sturmreif. "Nach diesem Feuerzauber stürmte das 343. Regiment um 8 Uhr gegen Erding an und um 11 Uhr war die Stadt in amerikanischer Hand", wie es in einem Militärbericht der US-Armee heißt. Als die amerikanischen Panzer an diesem 1. Mai in Erding einrücken, kehrt der Winter noch einmal kurz zurück: Schnee bedeckt die Trümmer wie ein weißes Leichentuch. Endgültig vorbei war der Nazi-Spuk am 5. Mai 1945: In Haar bei München unterzeichnet die Heeresgruppe G die Kapitulationsurkunde.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2015
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