Hermann Kraus schreibt über Erding:Gleichsam zum Leben erweckt

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Das Kraus-Haus mit dem markanten Türmchen mitten in Erding ist eines der ältesten der Stadt, Handel wird dort schon seit Jahrhunderten betrieben. Hermann Kraus schreibt nun ein Buch über die bewegte Geschichte des Ortes und seiner Familie

Interview von Sophia Neukirchner

Das Modehaus Kraus am Schrannenplatz feiert heuer sein 375-jähriges Geschäftsjubiläum. Über die Geschichte des Hauses und seiner Familie, die seit 1770 im Besitz des Geschäftes ist, schreibt Hermann Kraus gerade ein Buch. Veröffentlicht werden soll es im Herbst. Recherchiert hat der 73-Jährige dafür schon viele Jahrzehnte: Er weiß zu berichten, wie seine Familie von Bienen- zu Bekleidungsfachmännern wurde und was sie mit Südtirol, der Insel Java und Carl Spitzweg zu tun hatte.

Süddeutsche Zeitung: Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit der Erforschung Ihrer Geschichte?

Hermann Kraus: Ich hab mehrere Male in meinem Leben Anlauf genommen, die Geschichte des Hauses und der Menschen, die hier gewohnt haben, aufzuschreiben. Etwa seit den Siebzigerjahren interessiere ich mich dafür, da bin ich allerdings sehr oft an Grenzen gestoßen. Notwendige Zeitzeugen haben schon nicht mehr gelebt, dadurch mussten manche Fragen unbeantwortet bleiben. Dann hat man es wieder weggelegt und wieder rausgeholt, wenn man eine neue Information bekommen hat. Im Herbst kam dann der Entschluss, ein Buch zu schreiben. Das war mir deshalb möglich, weil mein Sohn das Geschäft seit Beginn des Jahres 2016 führt. Seitdem sitze ich jeden Tag bestimmt fünf bis sechs Stunden daran.

Bis in welche Zeit können Sie die Geschichte des Hauses belegen?

Das Haus hat eine sehr, sehr weit zurückreichende Geschichte. Ich beginne mit meiner Erzählung 1770, seitdem ist das Geschäft im Familienbesitz. 1642 wurde als Gründungsjahr des Geschäftes festgelegt, das steht auch am Erker zusammen mit den Initialen meines Urgroßvaters, der die Zahl dort zusammen mit einem Merkurstab, dem Symbol der Händler, installiert hat. Vereinzelt habe ich sogar noch etwas von vor dem Dreißigjährigen Krieg gefunden. Und es gibt im Keller einen Schlussstein, auf dem steht 1562 eingraviert.

Neben dem Zeichen am Erker und dem Schlussstein, woran sieht man am Haus noch, wie alt es ist?

Eine Fotografie beweist, dass auch die Madonna, die im Erker steht, schon mindestens 150 Jahre alt ist. Außerdem haben wir etwa aus der Zeit des Schlusssteines noch einen alten Brunnen im Keller und in der zweiten Etage ein sehr historisches Zimmer mit Reisetruhen, Porträts und einem Kachelofen von Verwandten aus Südtirol aus dem 18. Jahrhundert.

Kennt jeder: Das Kraus-Haus in prominenter Stelle am Erdinger Schrannenplatz. (Foto: Rentate Schmidt)

Und die ältesten Dokumente, die Sie besitzen?

Das sind alte Geschäftsbücher mit ledernem Einband und ein Familienbuch vom Ururgroßvater, in das er täglich die Leidensgeschichte seiner Frau niederschrieb, die an "Schleimfieber und Fiesel", also Fieber, erkrankt war. Sie ist nur etwa 30 Jahre alt geworden, aber hatte schon acht Kinder zur Welt gebracht, bis eine Epidemie in Erding sie niederstreckte. Das war 1835 und ihr Mann hat alles fein säuberlich mit Feder niedergeschrieben.

Woher bekamen Sie sonst Ihre Informationen?

Die Daten kriegt man entweder von Zeitzeugen, die sind ja aber nur bis zu einer gewissen Jahreszeit erreichbar, oder über Pfarrämter oder Archive. Der Stadtarchivar hat mir da sehr weitergeholfen.

Und wofür wurde das Haus vor 1642 genutzt?

Eigentlich immer schon für Handel.

Wie kam das Haus in Ihren Familienbesitz?

In einer alten Häuserchronik von Erding steht drin, dass 1642 ein Georg Grienagel das Anwesen erworben hat und ein Geschäft hier gründete. 1770 hat mein fünffacher Urgroßvater, ein ehemaliger Bürgermeister von Erding, Jakob Brehm, das Haus gekauft. Seitdem ist es im Familienbesitz und heute führt es mein Sohn in der achten Generation. Jakob Brehm hat früher in dem Haus der Apotheke gegenüber des Rathauses gewohnt und war ursprünglich Lebzelter, hat sich also mit allen Dingen der Biene, Wachs und Honig beschäftigt.

Hat sich denn Ihre ganze Familiengeschichte in Erding abgespielt?

Nein, die sind schon von überall hergekommen und auch ausgeschwärmt. Die Tochter von Jakob Brehm etwa hat einen Georg Fischnaller aus Bozen, Südtirol, geheiratet. Er kam wahrscheinlich nach Erding, weil man früher Lodererstoffe von hier gegen Wein aus Südtirol getauscht hat. Der richtete das Museumszimmer im Haus ein. Ein anderer kam aus Java - damals eine niederländische Kolonie. Der hat auch eine Tochter des Hauses geheiratet. Im Prinzip konzentriere ich mich schon auf Erding und wer im Haus war, erwähne aber auch, wo sie alle hin marschiert sind, etwa nach Belgien oder Amerika. Aber das Meiste spielt sich schon hier im Bayerischen "Gei" im Umkreis von vielleicht 100 Kilometern ab.

Und Ihre Recherchereisen?

Ich war nicht auf Java, aber in Bozen im Landesarchiv. Das Symbol im Erker habe ich mit Hilfe eines Mannes aus Kärnten entschlüsselt. Sonst war ich mal im Auswanderermuseum im Bremerhaven, da habe ich die Daten eines Familienmitgliedes eingegeben und tatsächlich konnte man dort ablesen, dass er in New York gelebt hat, sich mit der und der verheiratet hat und Kinder bekam. Also so was ist toll.

Eine Reise führte mich nach Murnau bei Garmisch ins Schlossmuseum. Eine Bekannte hatte mir aufgeregt berichtet, dass sie dort in einer Ausstellung über Carl Spitzweg mein Haus entdeckt habe. Tatsächlich hat er um 1835, als er in Erding Apothekerlehrling war, unser Haus skizziert. Wie wunderschön! Die Kontaktaufnahme zu dem Besitzer des Bildes war schwierig, die Frage des Copyrights ungeklärt, letztendlich hat er 150 Euro dafür bekommen, dass ich es im Buch abdrucken darf und das Museum noch mal 25.

Hermann Kraus erforscht die Geschichte seiner Famlie. (Foto: Renate Schmidt)

Warum macht Ihnen die Ahnenforschung so viel Spaß?

All diese Vorfahren, die in diesem Haus geboren sind, hier gelebt haben und auch gestorben sind, sind mir bei der Arbeit an dem Buch sehr nahe gekommen. Manchmal hat man direkt das Gefühl bekommen, dass man sie kennengelernt hat - als ob sie mir ihre Lebensgeschichte selber erzählen. Und auch die haben alle schwierige Zeiten erlebt, Hungersnöte, Pest und Kriegswirren. Es wird einem dann auch sehr bewusst, wie vergänglich alles ist.

Warum machen Sie sich diese Arbeit?

All diese Leute haben in Erding wichtige Ämter und Posten inne gehabt - Stadtrat, Distriktskassierer, Vereinsgründer - nur darüber redet heute kein Mensch mehr, was ja auch normal ist. Damit diese Menschen aber nicht ganz vergessen sind, habe ich die Arbeit begonnen und sie alle nochmal gleichsam zum Leben erweckt.

Es gibt ja so einen Spruch hier: "Nach hinten schauen bringt ja nichts", aber es ist gerade die Geschichte, die eine Familie und ihr Unternehmen einfach einzigartig und glaubwürdig macht und drum habe ich mich daran gemacht. Es gibt sicher nicht sehr viele Geschäfte in Deutschland, die so eine Tradition haben, die man vor allem so zurückverfolgen kann.

Was muss man beachten, wenn man seine Familiengeschichte publizieren möchte?

Man muss sich auf viele Sackgassen einstellen, was frustrierend sein kann. Bei mir war das in der Zeit von 1880 bis 2000 so, da bin ich manchmal verzweifelt. Manchmal ist die Recherche mühsam, auf eine Antwort von jemandem warte ich jetzt schon wieder zwei Wochen. Es ist viel Arbeit, weil man sich ja immer wieder absichern muss. Etwa ob andere Familien damit einverstanden sind, wenn ich das so und so schreibe. Das ist ja schon fast mit Datenschutz belegt, das ganze Thema. Ich kann ja nicht beliebig reinschreiben, derjenige war dreimal verheiratet und dann wollen das die Angehörigen gar nicht, dass das aufs Tablett kommt.

Wie weit sind Sie mit dem Buch?

Die gut ersten 100 Seiten sind fertig, die ich gerade korrigiere. Es kommen noch etwa 100 bis 150 Seiten hinzu. Seit vergangenem Herbst steht auch der Verleger fest, Herr Dr. Reitmajer vom Reimo-Verlag aus Oberding. Es war eher Zufall, dass ich ihn kennen gelernt habe, er hilft mir sehr mit formalen Dingen, inhaltlich mache ich aber alles selber.

Und der Rest der Familie ist nicht beteiligt?

Nein, mein älterer Bruder und meine Eltern sind schon länger tot. Die Kinder sind zwar auch interessiert, vor allem die Tochter als promovierte Historikerin. Aber sie sind noch nicht so von der Begeisterung erfasst, haben halt auch alle ihr eigenes Leben.

Wer, glauben Sie, wird sich für Ihr Buch interessieren?

Diese Frage stelle ich mir auch immer wieder, wenn ich so dahin schreibe über schon erloschene Verwandtschaft. Aber es sind ja verschiedene Kapitel. Gerade wenn es in diese Zeit geht, wo man sich selbst noch an die Leute erinnern kann, die vorkommen, wird es sicher interessant für viele Erdinger. Es gibt in dem Buch ja noch einen zweiten Teil, in dem es um mein persönliches Leben geht. Im vergangenen Jahr wurde ich zweimal für die Reihe "Erzählcafé", in der Erdinger aus ihrem Leben berichten, angefragt. Überraschenderweise haben sich dafür sehr viele Menschen interessiert. Da mein Leben eng mit dem Haus verbunden ist, nehme ich es nun in das Buch mit auf. Natürlich stelle ich mir auch vor, dass dieses Buch im Museum deponiert wird oder in der Stadt beim Archivar. Schon wenn das passiert, war es nicht umsonst.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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