Süddeutsche Zeitung

Hausgemeinschaft:Offen für Neue

Neun Senioren haben sich zusammengeschlossen und leben seit 2011 in der Hausgemeinschaft "Salwe" in Ebersberg. Acht Jahre nach der Gründung ziehen sie eine Zwischenbilanz - und treffen Vorbereitungen

Von Johanna Feckl, Ebersberg

So etwas wie eine Warteliste gibt es nicht. Wäre es anders, dann wäre das Haus im Ebersberger Stadtteil Friedenseiche VII ein gewöhnliches Wohnheim für ältere Menschen und kein Wohnprojekt von und für Senioren, das in seiner Form in der Region und darüber hinaus einzigartig ist: "Salwe" nennt es sich - kurz für "Sozial und Alternativ Leben und Wohnen in Ebersberg". Bald sind es acht Jahre, dass sich drei Ehepaare und drei alleinstehende Frauen zusammenschlossen haben und in das Haus eingezogen sind. Zeit für eine Zwischenbilanz: Wie hat es sich bisher in der Salwe gelebt? Konnten sich die Visionen von damals bewahrheiten? Und: Wie wird es weitergehen?

Es war 2008, als die konkreten Pläne für Salwe begannen: eine Hausgemeinschaft für ältere Menschen, in der sich die Bewohner untereinander helfen und unterstützen, sich aber nicht gegenseitig pflegen. Dass sich die Senioren vor dem Einzug in das Haus kennenlernen und miteinander Zeit verbringen, um herauszufinden, ob die Chemie für ein solches Vorhaben überhaupt stimmt, das war allen wichtig. Und: Das Zusammenleben sollte vertraglich geregelt werden.

Das Haus, in dem die neun Senioren nun seit knapp acht Jahren leben, haben sie mitgeplant. Besitzer ist allerdings die Wohnungsbaugenossenschaft Wasserburg. "Das hat recht pragmatische Gründe", erklärt Doris August. Wenn einer von ihnen sterben würde, dann hätte keiner der übrigen Bewohner einen Einfluss darauf, was mit der Wohnung passiert - das würden letztlich die Erben entscheiden. Das sei nicht im Sinne der Hausgemeinschaft: Denn es soll ja weiter gehen mit der Salwe, irgendwann mit einem oder mehreren neuen Mitmietern.

Nun aber sitzen die Salwe-Senioren im Gemeinschaftsraum, dem Roten Salon, das Herzstück ihrer Hausgemeinschaft: Mindestens einmal pro Woche kommen hier alle Bewohner zusammen, die Miete für den Raum haben sie auf alle umgelegt. Das alles ist vertraglich festgehalten. "Hier geht es immer munter zu", sagt Reinhard August. Er grinst und blickt sich an dem üppigen Holztisch in der Mitte des Raumes um: Rechts neben ihm sitzen seine Frau Doris sowie der Alt-Landrat und langjährige Ebersberger Bürgermeister Hans Vollhardt und Doris Tauber-Vollhardt. Zu seiner linken Seite haben Erika Hess - mit 81 Jahren ist sie die älteste in der Runde -, Elke Sommer und Erika Hamm Platz genommen. Gegenüber von August sitzt Fritz Schnabel, dessen Frau Gisela erholt sich von einer Operation und ist an diesem Tag nicht dabei. Mit 75 Jahren ist Fritz Schnabel der Jüngste der Gruppe.

Doris Tauber-Vollhardt nennt die Salwe ein Erfolgsprojekt. Schließlich seien alle noch hier, acht Jahre nach dem Einzug. Originalbesetzung also. Etwas Besonderes?

Ja. Und das sogar recht eindeutig. Immer wieder treten Außenstehende an die Senioren heran, die auch ein Projekt wie die Salwe ins Leben rufen möchten. Im Laufe der Jahre hätten sie bestimmt 30 bis 40 verschiedene Gruppen aus der gesamten Bundesrepublik besucht, um sich das Konzept persönlich erklären zu lassen. "Ich habe noch von keiner eine Rückmeldung bekommen, dass es mit der Umsetzung geklappt hätte", so Hans Vollhardt.

Oft sei die Suche nach einem geeigneten Grundstück ein Problem, sagt Fritz Schnabel. Meistens lägen die Schwierigkeiten aber woanders. Reinhard August erzählt etwa von einem gescheiterten Projekt: Dort konnte man sich nicht einigen, ob die Hausgemeinschaft in der Stadt oder auf dem Land entstehen soll.

Die Zusammensetzung der Senioren für ein solches Projekt ist entscheidend. Darüber herrscht Einigkeit im Roten Salon. "Es hat sich absolut bewährt, dass wir uns davor so gut kennengelernt haben", sagt Doris August. Das brauchte Zeit. Schon 2003 hat das Ehepaar August in der evangelischen Gemeinde Ebersberg die Initiative "Anders altern" ins Leben gerufen. Innerhalb des Gesprächskreises haben die beiden unter anderem für ihre Idee einer Hausgemeinschaft geworben. Fünf Jahre, bis 2008 dauerte es, bis sich aus den insgesamt 21 Mitgliedern die heutige Salwe-Besetzung herausgesiebt hatte. Und weitere drei Jahre, bis die konkreten Pläne für das Projekt umgesetzt waren und die neun Senioren im Dezember 2011 ihr neues Zuhause am Lindenanger bezogen.

Dieses lange Kennenlernen, das daraus entstandene Miteinander - für die Senioren ist das der Schlüssel für den Erfolg ihrer Hausgemeinschaft. Reinhard August spricht klare Worte. "Es ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen hier." Freilich gibt es durchaus auch mal Kontroversen. Das gehört dazu. "Wie in einer Familie eben auch", sagt seine Frau.

Reihum stimmen nickende Köpfe dem eben Gesagten zu. Fritz Schnabel hebt hervor, dass die Salwe nicht hierarchisch organisiert ist. Entscheidungen werden letztlich demokratisch getroffen. Es kommt vor, dass da eben auch mal jemand den Kürzeren zieht. Das ist dann eben so.

Das war zum Beispiel bei Doris Tauber-Vollhardt der Fall. Eigentlich war es ihr Wunsch, eine Person aus einer jüngeren Generation ins Haus zu holen, sollte einer von ihnen einmal nicht mehr hier leben. Sie wurde überstimmt. Als sie das nun erzählt, tut sie da ohne jeden Groll. So sind die Regeln, darauf haben sich alle geeinigt, bevor sie in das Projekt eingestiegen sind.

Wie soll es also dann weitergehen mit der Salwe? Vor kurzem erst war das Thema bei einer Klausur am Hintersee im Berchtesgadener Land, wo die neun Bewohner ein paar Tage verbrachten. Zwei der Salwe-Senioren haben im vergangenen Jahr mit gesundheitlichen Einbrüchen zu kämpfen gehabt. Das hat die Frage, die eigentlich schon immer da war - "man kann ja nie vorhersehen, was passieren wird", sagt Reinhard August -, präsenter gemacht.

Das Ergebnis der Klausur: Die Senioren möchten sich umsehen nach etwa 65- bis 75-Jährigen, die sich mit dem Konzept ihrer Hausgemeinschaft identifizieren und sich idealerweise vorstellen können, irgendwann einmal dort zu leben. Offen für neue Anregungen seien sie trotzdem, betont Hans Vollhardt. "Der bisherige Salwe-Vertrag ist ja kein Grundgesetz, der nicht geändert werden kann." Zunächst geht es den Senioren darum, mit Interessierten Zeit zu verbringen - so, wie sie es vor ihrem Einzug über eine lange Zeit hinweg auch getan haben, ganz ohne Warteliste.

Interessierte wenden sich an Doris August oder an Hans Vollhardt, telefonisch unter (08092) 20224 oder (08092) 23944, oder per E-Mail an doris.august@web.de oder voll-taub@t-online.de.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2019
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