Haus Wartenberg:Das letzte Stoppschild

Im Therapiezentrums "Haus Wartenberg" bekommen chronisch mehrfach beeinträchtigte alkoholabhängige und medikamentenabhängige Menschen eine neue Heimat - manche nur für ein Jahr, andere für immer

Von Gerhard Wilhelm, Wartenberg

"Viele neue Wartenberger werden gar nicht wissen, dass es uns gibt, sie bekommen nichts mit", sagt Winfried Gehensel. Was für viele Geschäfte und Betriebe wohl der wirtschaftliche Tod wäre, ist für den Leiter des Therapiezentrums "Haus Wartenberg" ein gutes Zeichen. Denn vor rund zehn Jahren gab es im Ort jede Menge Unruhe als bekannt wurde, dass ein soziotherapeutisches Heim für chronisch mehrfach beeinträchtigte alkoholabhängige und medikamentenabhängige Menschen in die Gemeinde kommen soll. "Da kamen sofort die Ängste auf, ähnlich wie jetzt bei den Flüchtlingen. Man werde sich nicht mehr auf den Marktplatz trauen können, hieß es zum Beispiel. Heute ist es so, dass unsere Leute höchstens auf dem Marktplatz auffallen, wenn sie ihn sauber machen", sagt Gehensel.

Das Therapiezentrum "Haus Wartenberg" wurde am 5. November 2007 eröffnet. Es besteht aus einem Soziotherapeutischen Heim für chronisch mehrfach beeinträchtigte Alkoholabhängige mit 36 Heimplätzen sowie einer angeschlossenen Übergangseinrichtung mit 24 Plätzen. Der Träger der Einrichtung ist die STZ Heide GmbH. "Wir sind ein offenes Haus, in dem Menschen sind, die es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen, am Leben teilzuhaben. Es sind deshalb aber auch ganz normale Leute, die ihre Not erkannt haben", sagt Gehensel.

Viele würden nur ein Jahr im Haus Wartenberg (Übergangsbereich), einige bis zu rund zweieinhalb Jahren (Langzeitbereich) bleiben. "Für rund ein Dutzend ist es ihr neues Zuhause geworden." Letztendlich sei das Haus sozusagen das letzte Stoppschild vor einem Leben auf der Straße oder für manche dem Tod.

Ziel der Soziotherapie ist, die Betroffenen dabei zu unterstützen, ein Leben ohne Alkohol zufrieden gestalten zu können und Zeit zu bekommen, wieder stabil abstinent und so weit wie möglich gesund zu werden. Und das gelingt im Therapiezentrum sehr gut. "Bei einer Umfrage vor vier Jahren haben wird eine Quote von 60 Prozent ermittelt, die danach weiter trocken waren und eigenständig leben konnten. Aber es gab natürlich auch ein paar Todesfälle", sagt Gehensel. Am schlimmsten sei für die Süchtigen, dass sie neben der Alkoholkrankheit oft jeglichen sozialen Kontakt - bis auf die Suchtszene - verloren haben. Sie haben wiederholte Entgiftungen hinter sich, keine Aussicht auf einen Job und müssen gesundheitlich stabilisiert werden. Ins Haus Wartenberg kommen aber nur Menschen, die eine klinische Entgiftung hinter sich haben, wie Gehensel sagt.

Im Therapiezentrum erhalten sie unter der Woche einen festen Plan, mit Gruppe, Arbeitstherapie, Medikamentenausgabe, Mahlzeiten und Freizeiten. Dazu kommt eine Bezugsgruppe, die sich dreimal die Woche trifft und für die ein Gruppenbetreuer zuständig ist, der auch die Einzelgespräche führt. "Oft müssen wir in den Gesprächen sie erst einmal von der deftigen Suchtsprache zu einer höflichen Umgangssprache führen", sagt der Hausleiter. Zwanzig Mitarbeiter kümmern sich um die rund 60 Klienten - rund um die Uhr ist ein Ansprechpartner für sie da.

Dazu kommen in der Woche 16 bis 20 Stunden Arbeitstherapie in den Bereichen Küche, Wäscherei, Hausreinigung, Empfang, Garten, Holzwerkstatt, Kreativwerkstatt und einer Metallwerkstatt sowie bei Außenarbeiten und Praktikumsstellen in örtlichen Betrieben. Die Werkstätten sind mit wenigen, dafür professionellen Maschinen versehen. Die Küche ist nach Maßstäben einer Großküche konzipiert, in der einige der Bewohner für alle kochen. Im Freizeitraum gibt es zudem Möglichkeit zur sportlichen Betätigung. Gewohnt wird in möblierten Doppel- und Einzelzimmer, jeweils mit Dusche/WC, TV-Anschluss. Auf jedem Flur gibt es außerdem einen Aufenthalts- und Gruppenraum.

Das tägliche Miteinander bestimmt eine Hausordnung, in der das tägliche "Miteinander bei gegenseitiger Wertschätzung und Achtung" im Mittelpunkt steht. "Natürlich gibt es immer wieder mal Zoff. Wo knirscht es nicht manchmal? Es ist ein bisserl wie bei eine Großfamilie", sagt Gehensel. Das Verbot von Gewalt, Einhaltung von Abstinenz mit den dazu gehörenden Kontrollen, Ausgangsregelung und Rückfallregelung sind weitere wichtige Bestandteile der Hausordnung. Das Tagesprogramm ist Pflicht. Einzelgesprächstermine beim Gruppenbetreuer oder Arbeitstherapeuten sowie Arzttermine werden mit dem Bewohner persönlich vereinbart. Wöchentlich einmal gibt es eine Arztvisite durch eine praktische Ärztin, alle zwei bis drei Wochen eine Visite durch einen Facharzt für Psychiatrie.

Haus Wartenberg: In der Kreativwerkstatt von Chroma an der Thennerstraße 5 (rechts) werden die von den Bewohnern hergestellten Sachen verkauft.

In der Kreativwerkstatt von Chroma an der Thennerstraße 5 (rechts) werden die von den Bewohnern hergestellten Sachen verkauft.

(Foto: Renate Schmidt)

Da das Haus selber wirtschaftlich nicht tätig sein darf, wurde der gemeinnützige Verein Chroma gegründet. Um die Leistungsfähigkeit der Bewohner zu erhöhen, werden in den verschiedenen Arbeitstherapiebereichen in Handarbeit Produkte hergestellt. Diese werden dann in der Kreativwerkstatt von Chroma an der Thennerstraße 5 in Wartenberg zum Verkauf angeboten. In der Metallwerkstatt wird beispielsweise Dekoratives für Haus und Garten sowie moderne Sakralkunst produziert und in der Holzwerkstatt aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz große und kleine Objekte hergestellt, die Funktion mit Dekoration verbinden wollen. Außerdem gibt es eine Schneiderei, einen Garten- und seit kurzem auch einen Bügelservice. Im Zuverdienstbereich werden für externe Firmen Montage-, Verpackungs- oder Sortierungsarbeiten angeboten. "Alles ermöglicht unseren Bewohner, einen sinnvollen, strukturierten Tag zu haben", sagt Gehensel.

Besonders stolz ist der Heimleiter auf das Buch "Janis Welt". Entstanden ist es in Kooperation mit der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Ursula Bussler, und es soll Kindern von alkoholkranken Eltern in altersgemäßer Form die Informationen geben, die sie brauchen, um die Welt, in der sie leben, besser verstehen zu können. Mit diesem Verstehen sollen sie dann in die Lage versetzt werden, besser für sich zu sorgen, um später nicht selbst in den Kreislauf der Sucht - sei es als Suchtkranker oder als Angehörige - hinein zu geraten. Die Figur eines trockenen Alkoholkranken hat ein Bewohner des Hauses Wartenberg geschaffen.

Dank des Erfolgs bei der Therapie von alkohol- und medikamentenabhängigen Menschen wird derzeit erweitert. Mitte Juli begannen die Bauarbeiten für das neue Angebot für alkohol- und medikamentenabhängige Frauen und Männer, die einen zivilgerichtlichen Unterbringungsbeschluss wegen Selbstgefährdung haben. Die neue Einrichtung, die Intensiv Betreute stationäre Soziotherapie, IBS, wird im August oder September 2017 eröffnet werden.

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