Süddeutsche Zeitung

Grundstücke, Kosten, Nutzen:Die Mär von der verpassten Chance

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Viele Dorfener wünschen sich eine Ortsumfahrung, etliche machen sich aktuell bei Facebook Luft, der Stadtrat habe versagt. Aber es gibt viele sachliche Gründe dafür, dass das Projekt im Sande verlief

Von Thomas Daller, Dorfen

Für die Stadt Dorfen kommt es beim Autoverkehr in Kürze knüppeldick: Ab Oktober soll die A 94 in Betrieb gehen und laut Prognosen zwischen 1500 und 2400 zusätzliche Fahrzeuge auf der B 15 durch Dorfen anziehen. Ab April 2020 soll zudem die Brücke der B 15 über die Isen in Dorfen abgerissen und über Monate hinweg neu gebaut werden; das Chaos in der Innenstadt ist absehbar. Im gleichen Zeitraum wollen die Stadt und das Straßenbauamt mit weiteren Ampeln und Umbauten die B 15 für Fußgänger sicherer gestalten. Zahlreiche Dorfener schimpfen derzeit auf Facebook, die Stadt habe es versäumt, rechtzeitig eine Ortsumfahrung zu planen. Und weil zudem Kommunalwahlen anstehen, wird dieses Thema wohl auch dabei ausgeschlachtet werden. Es ist offenbar in Vergessenheit geraten, dass diese Diskussion bereits bei den Kommunalwahlen 2008 geführt wurde und man sich in den Folgejahren an einem Berg von Problemen die Zähne ausgebissen hat.

Der Stadtrat hat in Dorfen in puncto Entschlussfreudigkeit bei vielen eine Reputation wie das Britsche Unterhaus. Das macht es Kritikern einfach, pauschale Verunglimpfungen zu verbreiten. "50 Jahre Verkehrsverhinderungspolitik" wird den Stadträten im Rahmen einer Umfrage zu einer Ortsumfahrung vorgeworfen, die Stadtrat Josef Jung (ÜWG) gepostet hat: Es fehle ihnen am "gesunden Menschenverstand", und die Mehrheit im Stadtrat habe "einen an der Waffel". Und ein nicht unerheblicher Teil derjenigen, die sich in der Facebook-Gruppe Dorfen an der Diskussion beteiligen, hält es schlichtweg für ein Versagen der Stadtpolitik, dass es noch keine Ortsumfahrung gebe.

Dabei hat es etliche handfeste Gründe gegeben, warum die Planung vor zehn Jahren wieder im Sande verlaufen ist. Die Trasse zum Beispiel: Weitläufige Umfahrungen durch die Pampa wie in Haag werden vom Straßenbauamt nicht mehr realisiert. Was zählt, ist, wie viel Zeit man als Autofahrer spart, wenn man die Umfahrung nutzt. Sonst fährt man, wie in Haag, als Ortskundiger weiter durch die Stadt. Die kürzeste und somit beste Strecke aus Sicht des Straßenbauamtes wäre somit ein Abzweigen bei Scheideck, an der Abbiegung nach Erding, dann weiter zwischen Dorfen und Oberdorfen durch, bei Rutzmoos über die Bahnstrecke und dann hoch zum Kreisel Oberhausmehring. Das sah eine Machbarkeitsstudie vor, die im Juni 2010 im Dorfener Stadtrat erörtert wurde, aber dagegen liefen hunderte Oberdorfener Sturm. Keinen Quadratmeter Grund würden sie für diese Trasse hergeben, bekundeten sie bei einer Informationsveranstaltung der CSU. An die benötigten Grundstücke käme die Stadt Dorfen theoretisch nur mit zig Enteignungen heran, was zwar auf Bundes- oder Landesebene möglich ist, aber nicht auf kommunaler.

Gesetzt den Fall, die Oberdorfener würden sogar die benötigten Grundstücke verkaufen, kämen die nächsten großen Probleme auf die Stadt zu. Die Trasse würde durch das FFH-Gebiet Isental und seine Nebenbäche verlaufen. Die Stadt Dorfen würde sich in zwei Fronten zermürben: Nicht nur Naturschützer würden klagen, auch viele Dorfener würden sich gegen die Stadt wenden, die ihr Naherholungsgebiet an der Isen nicht verlieren möchten.

Auch wenn man vor diesem Problem beide Augen verschließen könnte, so wartet bereits das nächste: In einer ersten fachlichen Beurteilung des Projekts wies das Wasserwirtschaftsamt 2010 darauf hin, dass die Grundwasserstände im Isental sehr hoch seien, "teilweise bis Geländeoberkante" in dem betroffenen Bereich. Ein Straßenbau sei aus Sicht der Behörde nur bei "Errichtung ausreichend großer Brückenbauwerke" realisierbar; die Ortsumfahrung müsste quer durchs Isental auf Stelzen gebaut werden; nicht zuletzt auch wegen der Hochwassergefahr.

Damit kommt man zu den Kosten einer Dorfener Ortsumfahrung: Auf 25 Millionen Euro wurde diese Ortsumfahrung veranschlagt, auch wegen der aufwendigen Bauweise. Die Stadt Dorfen hoffte damals, man könne 20 Millionen Euro Zuschuss dafür erhalten; doch das erwies sich als illusorisch: Das entsprach der Summe, die 2010 in ganz Bayern im Fördertopf für kommunale Entlastungsstraßen zur Verfügung stand. Wobei allein in Bayern 80 bis 100 geplante Ortsumfahrungen anstehen, die noch nicht finanziert sind. Außerdem stammt die Zahl von 25 Millionen Euro aus dem Jahr 2011. Mittlerweile sind die Kosten bei kommunalen Hoch- und Tiefbauprojekten alljährlich um etwa zehn Prozent gestiegen. 50 Millionen Euro dürfte mittlerweile optimistisch geschätzt sein.

Juristische, ökologische und finanzielle Hürden begleiten jedoch viele größere Projekte. Politik ist das Bohren dicker Bretter. In der Abwägung, ob man das Naherholungsgebiet einer Ortsumfahrung opfern sollte, gilt es also noch einen letzten Punkt abzuwägen: Käme dadurch eine Menge Verkehr raus aus der Stadt, was die Lebensqualität der Dorfener unwidersprochen verbessern würde? Die Ergebnisse der Verkehrszählungen sagen leider etwas anderes: Der Stau, das sind zu einem Großteil die Dorfener selbst. Knapp 15 000 Fahrzeuge wurden nach Angaben des Bayerischen Innenministeriums auf der B 15 innerorts in Dorfen gezählt, außerorts waren es aber lediglich 5500 bis 6600 Fahrzeuge am Tag. Das ist vergleichsweise wenig, der Bundesdurchschnitt auf Bundesstraßen liegt bei 9900 Fahrzeugen. Den Eindruck, man werde vom Durchgangsverkehr überrollt, spiegeln die Zahlen nicht wider.

In Summe hat der Stadtrat zwischen 2008 und 2011 in Vorberatungen all dies abgewogen. Die einen haben das Projekt dann beerdigt, die anderen setzen seither weiter auf eine B 15 neu im Landkreis Mühldorf. Aber dass hier aus Unvermögen der Stadtrat etwas grundsätzlich falsch gemacht hat, ist nicht richtig. Vielmehr ist Dorfen zu einer Zuzugs-Pendlerstadt geworden, in der man auch viele kurze Wege mit dem Auto erledigt. So fair muss man im Netz und auch im kommenden Kommunalwahlkampf bleiben.

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Quelle:
SZ vom 18.05.2019
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