Große Herausforderungen:In der Warteschleife

Große Herausforderungen: Einen reichlich abgerissenen Eindruck macht inzwischen die Plakatwand vor dem Sonic in Erding. Bis auf Weiteres sind alle Veranstaltungen in den Räumen des Jugend- und Kulturhauses abgesagt. Jugendliche aus sozial schwierigen Familien leiden besonders unter den fehlenden Kontaktmöglichkeiten.

Einen reichlich abgerissenen Eindruck macht inzwischen die Plakatwand vor dem Sonic in Erding. Bis auf Weiteres sind alle Veranstaltungen in den Räumen des Jugend- und Kulturhauses abgesagt. Jugendliche aus sozial schwierigen Familien leiden besonders unter den fehlenden Kontaktmöglichkeiten.

(Foto: Renate Schmidt)

Die Corona-Pandemie durchkreuzt Pläne und Programm der Jugendarbeit im Landkreis Erding. Die Verantwortlichen bemühen sich, telefonisch oder online den Kontakt zu den Jugendlichen zu halten, damit im Lockdown keiner verloren geht. Das gelingt nicht immer

Von Michael Kienastl, Erding

Der neue "Lockdown Light" stellt auch die Jugendarbeit im Erdinger Landkreis vor große Herausforderungen. Viele haben sich zwar über den Sommer Gedanken zu Hygienekonzepten und alternativen Angeboten gemacht. Eine Sieben-Tage-Inzidenz jenseits der 200 zwingt die Einrichtungen aber in die Defensive. Obwohl sie versuchen, die Kinder und Jugendlichen auch weiterhin bestmöglichst zu unterstützen, fallen einige von ihnen durch das Raster.

Alexander Just, Leiter des Erdinger Sonic und des Altenerdinger Jugendtreffs, spricht von resignierten Jugendlichen, die sich wie in einer Warteschleife fühlen. Er und sein Team, zwei Sozialpädagogen in Altenerding, vier im Sonic, haben auf telefonische Beratung und Online-Angebote umgestellt. Hier sei die Hemmschwelle, Sorgen und Probleme zu äußern, deutlich höher als im persönlichen Gespräch. Manche Jugendliche gehen auch unter, erzählt der Jugendtreff-Leiter. Er erzählt von einem Mädchen, das eigentlich regelmäßig im Sonic war. Ein schwieriges Umfeld in Familie und Clique hätte zumindest begünstigt, dass sie einige Male geklaut hat und Probleme bekam. Mittlerweile sei sie fernab vom gewohnten Umfeld in einer betreuten Einrichtung in Landshut. Andere Jugendliche hätten Probleme mit Alkohol und Aggressivität. Unter normalen Umständen könnten in beiden Fällen regelmäßige Gespräche helfen.

Bereits die Kontaktbeschränkungen im Frühjahr haben allerdings die Möglichkeiten für ihn und sein Team erschwert, sagt Just. Oft fehle einfach der wichtige Blick von außen, jemand der sagt, "das, was du da machst, ist nicht okay" und Hilfe anbietet. Circa 60 Prozent der Jugendlichen im Sonic lebten in problematischen Familienverhältnissen und der Frust steige spürbar, wenn es außerhalb der Schule kaum mehr Kontakt- und Unterstützungsmöglichkeiten gibt. Deshalb seien die Sozialpädagogen auch gelegentlich draußen unterwegs und versuchten, Gespräche aufzubauen. Eigentlich unterstütze das Sonic die Jugendlichen auch dabei, Praktikums- und Ausbildungsplätze zu finden. Wegen Corona würden derzeit aber nur wenige Firmen überhaupt Plätze anbieten.

Im Offenen Jugendtreff Dorfen hat Leiter Peter Fischl mit großem Engagement bereits während der Kontaktbeschränkungen im Frühjahr ein Kummertelefon eingerichtet. Dieses wurde mit der erneuten Schließung Anfang November reaktiviert. Fischl spricht von verschiedenen Säulen der Betreuung. Wenn der gewohnte Kontakt nicht möglich sei, müsse man eben auf eine andere Säule ausweichen. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, zwischen 14 und 25 Jahre alt, haben jeden Dienstag und Donnerstag zwischen 14 und 18 Uhr die Möglichkeit, mit ihm zu telefonieren. Da dauerten Gespräche dann auch mal gerne eine Stunde, sagt Fischl. Neben Problemen in Schule, Beruf und Familie drehten sich viele Telefonate auch um die aktuelle Corona-Lage und die Maskenpflicht. Vor allem während der Herbstferien hätten viele bei ihm angerufen. Zudem gibt es Online-Angebote, wie einen digitalen Treff und regelmäßige Chats über die sozialen Netzwerke.

Die Brücke Erding, unter anderem Trägerin des Dorfener Jugendtreffs, will in Zeiten von Corona den Kindern und Jugendlichen vor allem eine Orientierung bieten. "Wir sind aktuell gefordert wie nie zuvor und wollen so viel Normalität leben, wie möglich", sagt die Brücke-Geschäftsführerin Barbara Huber. Deshalb spricht sie sich auch gegen die Schulschließungen aus. Die Schulsozialarbeit ist ein Tätigkeitsschwerpunkt. An den Schulen sei die Arbeit zwar weiterhin regulär möglich. Allerdings wachsen die Sorgen in den Familien, wie zum Beispiel vor Arbeitslosigkeit, sagt Huber. Oft gehe es darum, wachsam zu sein, die Kinder und Jugendlichen zu beruhigen und in einigen Fällen auch den Austausch mit den Familien zu suchen - am Telefon oder persönlich zu Hause.

Auch im Erdinger Kreisjugendring (KJR) nimmt man coronabedingt viel Verunsicherung und Zukunftsangst wahr, sagt die stellvertretende Vorsitzende Birgit Schwaiger. Deshalb ist sie zwar dafür, die Arbeit in den Einrichtungen der offenen Jugendarbeit als Letztes einzustellen. Zumal sich viele dann unkontrolliert in privaten Bereichen ohne Einhaltung von Hygieneschutzmaßnahmen treffen würden. Doch bei einem Inzidenzwert jenseits der 200 müsse man umdenken und über Schließungen sprechen, sagt Schwaiger. Aus diesem Grund rate auch der KRJ mittlerweile dazu, die offene Jugendarbeit im gewohnten Rahmen vorerst einzustellen. Die Hauptaufgabe des KJR ist es laut Schwaiger, Ehrenamtliche und Vereine der offenen Jugendarbeit im Landkreis beispielsweise in Taufkirchen oder Langenpreising zu beraten und zu unterstützen.

Dabei hat der KJR erst seit dem Frühjahr eine neue Fachkraft für die offene Jugendarbeit. Emi Hatellari hat in der albanischen Hauptstadt Tirana Soziale Arbeit studiert und später an der Katholischen Stiftungshochschule München ein internationales Brückenseminar abgeschlossen, wodurch ihr Abschluss auch in Deutschland anerkannt ist. Bevor es mit der eigentlichen Arbeit los ging, musste sie aber zuerst Hygienekonzepte für die offene Jugendarbeit im Landkreis erstellen. Danach habe sie an vielen theoretischen Online-Schulungen teilgenommen, um einen Überblick über die Arbeit des KJR zu bekommen. Doch vor allem die praktische Arbeit mit Jugendlichen und die Organisation von Jugendleiterschulungen (Juleica) für Ehrenamtliche macht ihr sehr viel Spaß, wie sie erzählt. Hier wird an einem Wochenende das nötige Handwerkszeug zur Organisation von offenen Treffs vermittelt. Leider musste auch die für Mitte November geplante Schulung auf das nächste Jahr verschoben werden.

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