Gewerbegebiet Erding West:Vor Schuhen und T-Shirts wird gewarnt

Deutliche Worte des Gutachters: Weitere Verkaufsflächen auf der grünen Wiese werden den Handel in der Innenstadt noch stärker unter Druck setzen

Von Antonia Steiger, Erding

Der Wirtschaftsgeograf Ralf Popien ist am Dienstag deutlich geworden: Wenn im Gewerbegebiet Erding West noch mehr Geschäfte "innenstadtrelevante" Waren anbieten, wird das für den Einzelhandel in der Innenstadt nach seiner Einschätzung negative Folgen haben. 15 Prozent weniger Umsatz als 2004 verbuchte der Einzelhandel in der Innenstadt 2014 mit Schuhen, Kleidung, Deos und vergleichbaren Waren, das ergab Popiens Untersuchung. Weitere Umsatzeinbußen in diesem Bereich wären zu befürchten, wenn die Stadt Erding dem Wunsch zweier Investoren nachgibt, die unter anderem Textilgeschäfte in das Gewerbegebiet locken wollen. Über die neuen Erkenntnisse werden nun erst einmal die Fraktionen beraten.

Zwei Flächen liegen im Gewerbegebiet Erding West noch brach, und die Investoren tun sich schwer, dort weitere Einzelhändler anzusiedeln. Denn der Bebauungsplan gibt vor, welche Sortimente dort verkauft werden müssen: unter anderem Möbel auf 20 000 Quadratmeter Verkaufsfläche. Dass das so nicht umzusetzen ist, darin sind sich Politik und Investoren mittlerweile einig. Unklar ist jedoch die Frage, ob die Politik die Wünsche der Investoren, was die Sortimente im Gewerbegebiet betrifft, erfüllen soll. Popien sagt: Nein.

Gewerbegebiet Erding West: Wenn im Gewerbegebiet das Geschäft brummt, hat der Einzelhandel in der Innenstadt davon so gut wie nichts.

Wenn im Gewerbegebiet das Geschäft brummt, hat der Einzelhandel in der Innenstadt davon so gut wie nichts.

(Foto: Bauersachs)

Insgesamt weitere 3250 Quadratmeter Verkaufsfläche für Textilien wünschen sich die Investoren für die beiden noch brach liegenden Flächen, dazu 2400 Quadratmeter für Schuhe und 1700 Sport und Sportzubehör. Mit den Forderungen nach 4650 Quadratmeter Verkaufsfläche für Lebensmittel befasste sich Popien nicht. Gegen einen Baumarkt, Tierbedarf und einen Babyfachmarkt gebe es nichts zu sagen, denn sie seien in der Innenstadt wegen des großen Platzbedarfs nicht unterbringen. Sehr kritisch sieht Popien aber auch das Ansinnen, Dienstleistung und Gastronomie im Gewerbegebiet Fuß fassen zu lassen. Wenn der Einzelhandel die Innenstadt "nicht mehr retten" könne, fielen Dienstleistung und Gastronomie noch wichtigere Aufgaben zu. Die Innenstadt sei sehr lebhaft. Mit dem Slogan "Eistüte statt Einkaufstüte" beschrieb Popien das schon bestehende Übergewicht der Gastronomie.

Im Stadtentwicklungsausschuss staunten manche Stadträte sehr über Popiens deutlichen Aussagen. So empfahl er den Erdingern, ihre Bemühungen um einen namhaften Textilhändler zu verstärken. Fast schon schmerzhaft der Hinweis auf Freising: Dort sei es gelungen, H&M für eine Immobilie in der Innenstadt zu gewinnen. Freising verfüge über einen sehr viel höheren Grad der Filialisierung - ein altbekanntes Erdinger Manko: Zu wenig Ketten lassen sich mit einer Filiale in der Innenstadt nieder. C&A ist mit seiner Kinderkleidung in der Langen Zeile eine Ausnahme. Popien warnte die Erdinger auch davor, den Drogeriemarkt Müller möglicherweise an die Peripherie ziehen zu lassen. Damit verlöre die Innenstadt einen seiner drei Magneten - die anderen beiden sind das Gewandhaus Gruber und der Drogeriemarkt dm. Noch größere Gefahr drohe der Innenstadt jedoch, wenn die Ausweitung des Schuh- und Sportangebots im Gewerbegebiet diese Branche in der Innenstadt unter noch stärkeren Druck brächte. Dann könnte der drittgrößte Innenstadthändler - Der Name Gerlspeck fiel nicht ausdrücklich - möglicherweise schließen oder auch an die Peripherie ziehen. Das zöge weitere Schließungen nach sich.

Gewerbegebiet Erding West: Es geht lebhaft zu im Erdinger Zentrum. Doch zum Einkaufen kommen die wenigsten, die meisten wollen essen und trinken - und sich unterhalten lassen.

Es geht lebhaft zu im Erdinger Zentrum. Doch zum Einkaufen kommen die wenigsten, die meisten wollen essen und trinken - und sich unterhalten lassen.

(Foto: Bauersachs)

Die Wortmeldungen der Stadträte machten die Probleme noch deutlicher: Es gebe keine adäquaten Raumangebote in Erding, sagte Jakob Mittermaier (CSU). Würde eine Fläche zur Verfügung stehen, "dann scheitert es am Preis". Freising verfüge als ehemalige Residenzstadt über ganz andere Raumtiefen, fügte OB Max Gotz (CSU) an. Dass der Internethandel die Lage für die Einzelhändler noch verschärfe, bestätigte Popien auf Nachfrag von Harry Seeholzer (Erding jetzt). Und er bestätigte den Wirtschaftsreferenten Rainer Mehringer (FW), dass weitere Lebensmittelmärkte im Gewerbegebiet nicht wünschenswert seien.

Popien klärte die Stadträte über neue Verhaltensmuster auf. So bevorzugen Jüngere größere Geschäfte, das gehe zu Lasten des kleinen Einzelhandels. Immer mehr betrachten zudem den Einkauf im Gewerbegebiet als Shopping-Erlebnis. Und es gelingt laut Popien weiterhin nicht, die Kunden vom Gewerbegebiet in die Innenstadt zu locken. Besonders drastisch sieht dies bei den Kunden der Fachmarktzeile mit TK Maxx, C&A und New Yorker aus: 92 Prozent fahren mit dem Auto dort hin, kaufen ein und fahren wieder heim. Die allerwenigsten erwägen einen Kauf auf der andere Seite des Gewerbegebiets - bei Dehner, Media Markt oder Vögele.

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