Geübter Ernstfall:Sirenengeheul in Eching

Wenn Feuerwehr und Rotes Kreuz einen Großeinsatz üben, ist es zuweilen hektisch. Sie müssen nicht nur brennende Autos löschen, sondern auch "Verletze" versorgen - und einige Einsatzkräfte bleiben für den Ernstfall daheim

Von Clara Lipkowski, Eching

Als am Sonntagmittag in Eching der Feuerwehralarm losgeht, klingelt bei Thomas Kellerbauer das Handy. Was da los ist, will man vom Dritten Bürgermeister der Gemeinde wissen, man höre hier die Sirene, da ist doch was passiert. Alles in Ordnung, beruhigt Kellerbauer, er sei informiert.

Während Kellerbauer telefoniert, machen sich etwa 100 Einsatzkräfte auf den Weg zu den Bahngleisen nahe des Möbelhauses Ikea. Manche sind auf der Wache, bei anderen klingelt daheim der Funkruf. Eine S-Bahn hat bei einem Bahnübergang die Fahrerseite eines Autos gerammt und den Wagen mitgeschleift, die zwei Insassen sind eingeklemmt. Der violette Ford ist zerquetscht. In der S-Bahn wurden einige der etwa 70 Fahrgäste durch den Aufprall verletzt, plötzlich ist überall Rauch, dann geht am Gleis auch noch ein anderes Auto in Flammen auf.

Geübter Ernstfall: Für die Helfer war es eine technische Herausforderung, die Insassen aus dem völlig demolierten Auto heraus zu schneiden. Dafür waren sie mit schwerem Gerät angerückt. Das Auto hatte die Feuerwehr Eching vom Schrottplatz geholt.

Für die Helfer war es eine technische Herausforderung, die Insassen aus dem völlig demolierten Auto heraus zu schneiden. Dafür waren sie mit schwerem Gerät angerückt. Das Auto hatte die Feuerwehr Eching vom Schrottplatz geholt.

(Foto: Marco Einfeldt)

Das Horrorszenario ist wohlgeplant. Die Freiwilligen Feuerwehren aus Eching und der Umgebung üben den Notfall. Kellerbauer ist gekommen, um sich im Namen der Gemeinde die Arbeit der Helfer anzuschauen, schließlich liegt Eching direkt an der S-Bahn. Die Helfer werden, bevor sie die Wache verlassen, über die Übung informiert. "Trotzdem: Für uns ist es wichtig, zu sehen, wie wir im Einsatz reagieren und wo es vielleicht noch hakt", sagt Christian Göring, Sprecher der Echinger Feuerwehr, der am Rand des Geschehens steht. Nach wenigen Minuten sind die ersten Helfer am Unfallort, erst die Echinger, später die Dietersheimer, Günzenhausener und Neufahrner Kollegen.

Geübter Ernstfall: Zu allem Übel ging - allerdings geplant - am Ende des Zugs auch noch ein Auto in Flammen auf.

Zu allem Übel ging - allerdings geplant - am Ende des Zugs auch noch ein Auto in Flammen auf.

(Foto: Marco Einfeldt)

"Hier! Hilfe!", ruft der Lokführer, er winkt aus dem Fenster seiner Fahrerkabine, aber die Einsatzwagen biegen noch vor der Unfallstelle ab. Dann halten sie doch auf die S-Bahn zu.

Torsten Funke ist beruflich tatsächlich Lokführer, heute aber tritt er als Schauspieler auf. Er wehrt sich, als die Feuerwehrmänner ihn aus der Lok ziehen wollen, "die Fahrgäste" ruft er, als wolle er sie nicht im Stich lassen, wie der Kapitän eines sinkenden Schiffes. Derweil schneiden zwei Feuerwehrmänner die Insassen aus dem Auto heraus, wie sich herausstellt: Zwei Puppen.

Geübter Ernstfall: Auch wenn im Auto nur Puppen saßen und die verletzten S-Bahn-Fahrer schauspielerten: Eile war geboten.

Auch wenn im Auto nur Puppen saßen und die verletzten S-Bahn-Fahrer schauspielerten: Eile war geboten.

(Foto: Marco Einfeldt)

Die Fahrgäste in der Bahn allerdings sind echt. Rund 70 Statisten haben der TSV Eching, die Feuerwehren und das Bayerische Rote Kreuz (BRK) angeheuert, sogar mit Rollstuhl und Rollator. Die Bahn wird nach und nach evakuiert, einige Leute schreien, weinen, husten, drei, vier sind scheinbar bewusstlos, die Feuerwehrmänner tragen sie durch den Platzregen zu den Rettungswagen. Zeitweise herrscht Chaos, die Einsatzkräfte laufen durcheinander.

Das brennende Auto ist schon gelöscht. Weil aber ein fiktiver Gastank daneben zu explodieren droht, errichtet die Wehr ein "Hydroschild", eine Wasserwand, die verhindert, dass sich das Feuer ausbreitet.

Hoch spektakulär geht es zu in Eching. Eine Drohne filmt das Geschehen aus der Vogelperspektive, außerdem sind Bodycams im Einsatz. Für die Auswertung, meint Göring. Später wird er sagen, dass alles sehr gut verlaufen sei und nur Kleinigkeiten auffällig waren. Das Versorgungszelt des BRK zum Beispiel war beim Aufbau etwas widerspenstig.

Die S-Bahn ist mittlerweile evakuiert, das BRK-Zelt steht und im Innern werden die Verletzten versorgt. Michael Kraus ist Gruppenführer beim Roten Kreuz und hat Überblick über die Lage: "In so einer Situation haben wir Verletzte mit Schädelhirntraumata, Verbrennungen und Rauchgasintoxikation", sagt er. Das Zelt schützt sie vor Wind und Wetter. "An einer Autobahn wäre es denkbar, sie so auch vor Gaffern zu schützen", sagt Göring. Immer wieder gebe es Autofahrer, die auf der Gegenseite plötzlich langsamer fahren, gar anhalten. "Ein Mann hat mal einen Unfall mit dem I-Pad gefilmt."

Für die Feuerwehr wird es nun ruhiger, das BRK hat immer noch zu tun. Ein junger Mann liegt auf einer Trage, zugedeckt mit einer goldenen Wärme-Kälte-Decke und schreit seit gut zehn Minuten "Ah-ah!". Eine ältere Frau hustet, krümmt sich am Boden. Ein anderer hingegen, der gerade noch leichenblass geschminkt aus der S-Bahn getragen wurde, steht jetzt grinsend am Rand des Geschehens. Einmal im Jahr wolle man jetzt so eine Großübung machen, sagt Göring, von der Szenerie eher amüsiert als beeindruckt - trotz des Aufwands: die ersten Vorbereitungen liefen seit dem Frühjahr. Normalerweise wäre auch das THW involviert und das BRK mit einem dreifach so großem Aufgebot vor Ort, aber das hätte den Rahmen gesprengt. Außerdem müssen parallel zur Übung Einsatzkräfte jederzeit ausrückbereit sein. "Dafür sind zwei der Löschwagen unberührt und Neufahrn hat nicht alle Wagen geschickt", sagt Göring. Nur kurze Zeit später zeigt sich der Sinn der Vorsicht: Ein Notarztwagen rauscht mit Blaulicht vorbei - auf direktem Weg zu einem echten Einsatz.

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