Süddeutsche Zeitung

Dachbodenfund:Schwedenkriege und Wunderbilder

In einem 170 Jahre alten Statistischen Jahrbuch für das Königreich Bayern finden auch Erding und Dorfen Erwähnung.

Von Thomas Daller, Dorfen

Sogenannte Dachbodenfunde, wenn alte Bücher, die Einblicke in die Zeitgeschichte geben, durch einen Zufall wieder ans Licht gelangen, sind im Lokaljournalismus ein geschätztes Sujet. Denn oftmals helfen sie, Lokalgeschichte dezidierter einzuordnen. So ein alter Wälzer ist kürzlich wieder aufgetaucht. Ilse und Peter Klotz aus Dorfen sind über das Buch gestolpert, als sie nach einem Fotoalbum gesucht haben. Es handelt sich um ein statistisches Jahrbuch des Königreichs Bayern von 1852, es ist also genau 170 Jahre alt. Darin enthalten sind auch Kapitel zum damaligen Dorfen und Erding.

Mitte des 19. Jahrhunderts war auch in Bayern eine Zeit des Umbruchs. Das Revolutionsjahr 1848 war zwar unblutig verlaufen, aber Ludwig I. musste dennoch zu Gunsten seines Sohnes Maximilian II. abdanken. Seine Landeskinder hatten genug von seinen Extravaganzen, der katholischen Frömmelei und der Mätressenwirtschaft. Erschwerend hinzu kam ein wahres Sakrileg, nämlich die Erhöhung des Bierpreises 1844, die das Fass zum Überlaufen brachte. So lautete auch ein zeitgenössisches Bonmot des Theologen Johann Baptist Metz: "Der Bayer hat ein irdisches Verhältnis zu Religion und ein mystisches zu Bier".

Maximilian II., ein Reformer, suchte Lösungsansätzen in Zahlen, Fakten und Tabellen

Seit 1848 regierte nun Maximilian II., ein bahnbrechender Reformer. Er reformierte das Wahlrecht dahingehend, dass auch die Bauern wahlberechtigt wurden. Er begünstigte die Entstehung einer bürgerlichen Gesellschaft durch Überwindung der Klassengrenzen. Unter seiner Regentschaft entwickelten sich Armenfürsorge, Krankenkassen und Arbeiterschutz. Auch die Begabten förderte Maximilian mit seiner Stiftung Maximilianeum. Zudem trug er zur Identifikationsförderung bei durch die Gründung des Bayerischen Nationalmuseums. Und er war bei der Suche nach Lösungsansätzen ein Freund von Zahlen, Fakten und Tabellen. Auf seine Initiative gingen die bayerischen Statistischen Jahrbücher zurück, die er bereits als Kronprinz in Auftrag gegeben hatte.

So heißt es im Vorwort zu der Ausgabe von 1852: "Ohne Kenntnis des Vaterlandes keine Vaterlandsliebe! Ohne Vaterlandsliebe kein Bestand eines Staates! Indem wir die Geschichte, die Vorzüge des Bodens, des Klimas, der Einrichtungen unseres Landes kennen lernen, sind wir befugt, und gewissermaßen verpflichtet, Vergleichungen mit den Zuständen unserer näheren und fernern Umgebung anzustellen."

Das Jahrbuch ist nach Ortschaften und Gerichtsbarkeiten gegliedert. In Erding zählt das Jahrbuch damals 598 Familien, 2203 Einwohner und 387 Gebäude auf. Die Stadt ist der Sitz eines Landgerichts, Rentamts, Dekanats und Pfarramts und besitzt eine Haupt- und eine Filialkirche, ein 1697 gestiftetes Krankenhaus mit einer Kapelle, ein Leichenhaus, eine 1829 gegründete Waisenhausstiftung, ein Spital zum Heiligen Geist, ein Rathaus, vier Benefiziantenhäuser, ein Schulhaus, Bräuhäuser, Branntweinbrennereien, eine Mühle, eine Wachsbleiche und bedeutende Lodereien, eine beträchtliche Schranne, Vieh- und Jahrmärkte, Gerbereien und eine 1741 gegründete Stiftung für arme Studierende. Erding sei einer der ältesten Orte in Bayern, heißt es in dem Kapitel. In den Jahren 902 bis 955 sei der Ort von den Hunnen viermal verwüstet worden; "doch sollen diese hier eine Niederlage erlitten haben, durch die sie 30.000 Mann verloren". Im Jahr 1487 sollen hier die Räte der Herzoge Albrecht und Georg versammelt gewesen sein, um ein neues Rechtsbuch für Bayern zu verfassen. Ferner heißt es: "In den Jahren 1632, 1634 und 1648 wurde Erding durch die Schweden abgebrannt und soll 210 Häuser und die meisten seiner Bürger verloren haben."

Auch Dorfen ist ein kleines Kapitel gewidmet, der Ort war damals ein Markt mit Magistrat sowie 224 Familien, 1135 Einwohnern und 285 Häusern. Es war ein Markt mit "einer Pfarrkirche, zwei Filialkirchen, zwei Kapellen, einem Dekanate, einem Priesterhause, einem Rathhause, einem Schul- und einem Armenhause, Bräuhäusern, drei Mühlen und einer Wachsbleiche". Die Pfarr- und Wallfahrtskirche sei 1350 erbaut worden. "Im 15. Jahrhundert hatte schon das Wunderbild in der Kirche außerordentlichen Zulauf. Im Jahre 1648 wurde der Markt von den Schweden verwüstet und 1650 in Asche gelegt. Doch erstand er neu und seine Wallfahrtskirche nahm an Besuch umso mehr zu, als 1707 durch bischöflichen Ausspruch das Marienbild als "wunderthätig" erklärt wurde. Im Jahre 1716 waren 45.350 Wallfahrer hier. Das hinter der Wallfahrtskirche in Form eines Klosters 1717 begonnene Priesterhaus wurde 1719 bezogen, im Jahre 1775 bis 1777 nördlich erweitert; durch Entschließung vom 12. September 1813 als "Correctionshaus für Geistliche, dann zum Unterricht für junge Geistliche in der Seelsorge umgestaltet". Ein Correctionshaus war in der damaligen Zeit eine Disziplinaranstalt für Geistliche, die wegen Verstoßes gegen kirchliche Gesetze zur Buße verurteilt wurden. Von daher leitet sich auch der in der Region bekannte Spruch ab: Wen Gott hat verworfen, den schickt er nach Dorfen.

Es gibt noch einen weiteren interessanten Aspekt in dem Kapitel über Dorfen, den das Jahrbuch erwähnt. Dorfen soll früher den Beinamen Drudberteshuiser beziehungsweise Drudbereghausen gehabt haben. Das ist zwar längst in Vergessenheit geraten, aber nicht der erste Hinweis auf diesen ungewöhnlichen Flurnamen im Raum Dorfen. Freiherr Ignaz Joseph von Obernberg veröffentlichte 1816 in seiner Buchreihe "Reisen durch das Königreich Baiern" einen Bericht über den Landgerichtsbezirk Erding. Zuerst besuchte er dabei Dorfen und berichtet über eine Urkunde Herzog Tassilos II. aus dem Jahr 774, in der eine Villa Druperhteshusir vorkommt, die der Priester Heribald der bischöflichen Kirche zu Freising zum Eigentum übergab. Von Obernberg vertritt die These, dass der Ruprechtsberg ein Opferplatz keltischer Priester war und Druperhteshusir eine Bezeichnung für Druidenhäuser sei: "Die ersten christlichen Glaubenslehrer benützten derley Orte und Gebäude für die Ausübung ihrer Religion." Je früher die Verehrung solcher Orte eingesetzt habe, umso wahrscheinlicher seien daraus später Wallfahrtsorte geworden, "zumal auf Höhen und Bergen, welche alle Völker für religiöse Uebungen stets vorzuziehen pflegten", schreibt von Obernberg.

Im Landkreis Erding begegnet man vielen Hinterlassenschaften der Kelten

Die These ist nicht völlig absurd. Im Landkreis Erding begegnet man vielen Hinterlassenschaften der Kelten: So sind beispielsweise Namen wie Sempt, Dorfen und Isen keltischen Ursprungs. Im Isental hat man auch schon keltische Scherben und Münzen gefunden. Und die Gräberfunde von Langengeisling und Klettham zeugen davon, dass das Gebiet um Erding schon vor mehr als 2000 Jahren vom keltischen Stamm der Vindeliker besiedelt war, deren Hauptstadt beim heutigen Manching lag. Aber Belege für einen "keltischen Hotspot" auf dem Ruprechtsberg gibt es bisher noch keine, betont der Archäologe und Leiter des Museums Erding, Harald Krause. Außerdem scheine dieser Flurname 800 Jahre nach den Kelten erstmals auf. "Die Kelten verschwanden kurz vor Christus, da ist schon ordentlich Geschichte dazwischen", sagt er. Und bei einer so langen mündlichen Überlieferung müsse man sehr vorsichtig sein: "Es kann sein, ich schließe das nicht aus, aber die Belege fehlen."

Im Statistischen Jahrbuch tauchen auch nur die Flurnamen Drudberteshuiser und Drudbereghausen auf, die weiter gehende Interpretation geht auf von Obernbergs Reiseerzählung zurück. Der Verfasser Pleickard Stumpf hält sich an die Tatsachen, dennoch bleibt das Buch nicht nur ein Zahlenwerk, sondern erzählt auch die Geschichte seiner Bewohner und erfüllt damit noch immer seinen Zweck, wie es im Schluss des Vorwortes heißt: "Mit dem Fleiße der Bienen wurden die einzelnen Daten aus den besten Werken gesichtet und zusammengetragen. (. . . ) So geh denn hin, mein Buch, sey Freund, Rathgeber und Lehrer meines Volkes. Gott gebe dir viele Freunde!"

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