"Genesis" und "Apokalypse":Pure Kraft und Energie

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Zeitgenössische Kunst am gotischen Hochaltar. Noch bis Weihnachten hängen die Werke "Genesis" (links) und "Apokalypse" in St. Johannes. (Foto: Renate Schmidt)

Seit 20 Jahren schmücken zwei Ölgemälde von Rudolf L. Reiter im Advent den Altar in St. Johannes

Von Regina Bluhme, Erding

Ernst blickt die Mutter Gottes in der Erdinger Pfarrkirche St. Johannes vom goldenen Hochaltar herab. Ihr zu Füßen leuchtet seit einigen Wochen die "Apokalypse", in wilden Strichen, in knallig-kräftigem Rot und dunklem Blau. Der Erdinger Maler, Grafiker und Bildhauer Rudolf L. Reiter hat das Werk nicht alleinstehend, sondern in Kombination mit einem zweiten Bild mit dem Titel "Genesis" gestaltet. Seit 20 Jahren zieren die beiden modernen Ölgemälde nun während der Advents- und Fastenzeit den spätgotischen Altar. Der frühere Erdinger Stadtpfarrer Josef Mundigl hatte ihn mit dem Auftrag bedacht. Reiter hat ihn in seinem expressiven Stil umgesetzt: "Mit der puren Kraft und Energie aus der Schöpfung."

Ein wenig überrascht sei er damals schon gewesen, dass er den Auftrag vom Pfarrer erhalten habe, gesteht Reiter. Schließlich habe er immer offen gesagt, dass er an die Wiedergeburt glaube, was Mundigl nicht so gut gefallen habe. Doch dann sei der Stadtpfarrer auf ihn zugekommen und gemeinsam hätten sie stundenlang die Bibel studiert. Format und Thema waren vorgegeben: Die Schöpfung, die Genesis, und das Ende der Welt, die Apokalypse, sollten auf 1,90 mal 1,20 Metern abgebildet werden.

"Sonst war ich vollkommen frei", betont der Künstler, der für den "Stil informell" bekannt ist. Dieser zeige "nichts auf dieser Welt je Erschautes", erklärt der 73-Jährige. Wie in Trance warte er auf die Eingabe, fügt er hinzu. Er sei dabei nur das Medium für die Eingaben, die er - in aller Demut - von Gottes Gnaden erhalte.

Insgesamt hat Reiter damals sechs Bilder geschaffen, dreimal die Genesis und dreimal die Apokalypse. Die Auswahl habe er den Kirchenvertretern überlassen. "Freund und Feind" hätten sich anschließend nur positiv über die beiden Werke geäußert. In der Kirche bemerke er wie immer wieder, "wie Leute vor den Bildern stehen bleiben, sie länger betrachten und mitunter ins Meditieren kommen". Das freue ihn sehr. Eines der sechs Bilder ist im Museum Erding ausgestellt. Die beiden Bilder der Pfarrkirche hängen außerhalb der Advents- und Fastenzeit im Meditationsraum im Pfarrheim St. Johannes. Fast hätte er übersehen, dass die moderne Apokalypse und Genesis heuer seit 20 Jahren den Hochaltar zieren. Zum Jubiläum gibt Reiter in kleiner Auflage Lithographien der beiden Werke für den engsten Sammlerkreis heraus.

Er würde sich sehr freuen, wenn heuer die beiden Bilder noch zur Christmette hängen würden, schließlich ist der vierte Advent heuer ein Sonntag. "Ich bekenne mich klipp und klar zu meinem christlichen Glauben", betont Reiter. Wobei er nicht die Kirche fürs Gebet benötige. "Ich kann genauso gut im Wald beten oder im Notzinger Moos, in einem norwegischen Fjord oder hier in meiner Galerie", sagt der Maler und Bildhauer.

Mit Pfarrer Mundigl, der mittlerweile in einem Seniorenstift in Landshut lebt, hält er nach wie vor Kontakt. "Er besucht alle meine Ausstellungen." Dass er an Reinkarnation glaubt, hat dem guten Verhältnis keinen Abbruch getan. In der Apokalypse am Hochaltar ist inmitten der feuerroten Farbwolken und der vielen Dunkelheit ein weißer Fleck zu sehen. Ein winziger Blick ins Ewige Licht oder der Anfangspunkt eines neuen Lebens? Rudolf L. Reiter zuckt mit den Schultern: Die Antwort liegt im Auge des Betrachters.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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