Für Menschen da sein:Wenn es drauf ankommt, zusammenhalten

Martin Garmaier von der Pfarrei St. Johannes spricht über die Schwierigkeiten, die die Corona-Krise mit sich bringt und wie man ihnen am besten begegnet. Er plädiert dafür, die Situation ernst zu nehmen, ohne hysterisch zu werden

Interview von Sara Maria Behbehani

Seit 2015 arbeitet Martin Garmaier als Pfarrer und Seelsorger in Erding. Auch, wenn jetzt keine Gottesdienste mehr stattfinden können, ist es ihm wichtig, für die Menschen da zu sein. Ein Gespräch über Ängste, Einsamkeit, Ausgangssperren und was jeder einzelne jetzt tun kann.

SZ: Herr Garmaier, die aktuelle Situation ist für alle nicht leicht. Man soll zu Hause bleiben, soziale Kontakte herunterfahren, die Geschäfte sind geschlossen. Wie gehen Sie persönlich damit um?

Martin Garmaier: Für mich ist es derzeit sehr zwiespältig. Auf der einen Seite bin ich befreit von dem großen Termindruck, der oftmals auf mir lastet, auf der anderen Seite merke ich aber auch die Anspannung, die viele empfinden, auch bei mir. Die großen Fragen: Wie begegne ich der Situation? Vor allem: Wie begegne ich den Menschen in ihren Fragen und Ängsten?

Haben Sie Antworten auf diese Fragen?

Ganz offen und ehrlich, nein. Für mich ist das momentan eine Situation, in der ich präsent sein möchte, weil das für die Menschen wichtig ist. Gleichzeitig muss ich aufpassen, wie ich mit den Menschen in Kontakt trete. Denn ich möchte ja auch Verantwortung übernehmen und die Menschen schützen. Es geht jetzt darum, das Virus zu bremsen, verhindern können wir seine Ausbreitung nicht.

Wie also soll der Kontakt zu den Menschen aussehen?

Viel mache ich am Telefon. Ich versuche, die gebotenen Abstände einzuhalten, keine Hände zu schütteln und die Leute nicht zu umarmen. Dennoch aber bin ich da.

Gottesdienste können die Gläubigen jetzt nicht mehr besuchen.

Dafür kann man im kleinen Kreis beten. Ich stelle fest, wie Menschen sich in der Kirche versammeln und miteinander beten.

Und was ist mit Beerdigungen?

Da gibt es seit Donnerstag eine Anweisung der Regierung: Nur mit Sondergenehmigung und höchstens 15 Trauergästen. Darüber hinaus dürfen diese Verabschiedungen Verstorbener ausschließlich im Freien stattfinden. Aussegnungshallen und Kirchen sind hierfür geschlossen. Wir haben dementsprechend als Seelsorger in Erding einheitlich vereinbart, dass wir vor der Aussegnungshalle beten, gemeinsam zum Grab gehen, nichts in der Kirche machen.

All das löst in den Menschen gerade einen hohen psychischen Stress aus. Da ist die Angst vor dem Virus, die Angst, selbst krank zu werden. Da sind finanzielle Sorgen. Da ist die Gefahr von Vereinsamung und sozialer Isolation. Da ist aber vielleicht auch die Angst, dass der Staat den Menschen jetzt seiner Freiheit beraubt und in seine Persönlichkeitsrechte eingreift. Was raten Sie als Seelsorger den Menschen in dieser Zeit?

Ratschläge sind auch Schläge, habe ich einmal gelernt. Aber für mich ist es wichtig, dass man die Sache jetzt ernst nimmt und einsieht, dass die Maßnahmen eine Möglichkeit sind, um dem Ganzen zu begegnen, mit der man Leben retten kann. Gleichzeitig ist es mir ein großes Anliegen, dass die Menschen nicht hysterisch werden, dass sie nicht übertreiben.

Sind die Hamsterkäufe so eine Form der Übertreibung?

Ich habe schon mal im Scherz gesagt: Das Ganze geht nicht als Jahr des Corona-Virus in die Geschichte ein, sondern als Jahr des Klopapiers. Ich denke, dass manche Menschen realistischer sein sollten. Ich kann mir das nur so erklären, dass die Menschen am Anfang vorbereitet sein wollten, falls sie krank werden. Jetzt aber herrscht, glaube ich, so eine Angst, dass auf einmal nichts mehr da ist, dass es inzwischen eine Spirale ist, die sich immer weiter hinauf schraubt. Nur warum es jetzt ausgerechnet das Klopapier ist, das ist mir nicht ganz klar. Ich habe bisher nicht gehört, dass Corona mit Durchfall verbunden wäre.

Die geltenden Beschränkungen sind tiefe Einschnitte in den Alltag. Fällt es Ihnen leicht, sich an all das zu halten?

Ich persönlich bin am Ringen. Ich habe ganz am Anfang noch gedacht: "Dieses oder jenes mache ich nicht. Da sehe ich keine Notwendigkeit." Aber jetzt ist es nun mal notwendig. Ich habe auch ein Stück weit umgedacht und sehe es jetzt als Chance, das alles zu verlangsamen.

Was wollten Sie nicht machen?

Ich habe meine Eltern Mitte 80 noch besucht. Dann wurde ich von meinem Neffen darauf hingewiesen: "Wir wollen Oma und Opa noch länger haben, also bitte, auch wenn es deine Eltern sind, telefonier mit ihnen, aber besuch sie nicht." Er hat Recht.

Für Menschen da sein: Die Stühle sind zusammengeräumt. Mit dem draußen im Café Sitzen ist es vorerst vorbei. Dafür sorgte am Freitagmittag Ministerpräsident Markus Söder als er Ausgangsbeschränkungen verhängte.

Die Stühle sind zusammengeräumt. Mit dem draußen im Café Sitzen ist es vorerst vorbei. Dafür sorgte am Freitagmittag Ministerpräsident Markus Söder als er Ausgangsbeschränkungen verhängte.

(Foto: Tom Daller)

Gerade die alten, jetzt gefährdeten, Menschen sind die, die ohnehin schon oft unter Einsamkeit leiden.

Das ist das ganz große Problem.

In Altenheimen oder Pflegeheimen gibt es Besuchsverbote. Wie schlimm ist das für diese Menschen?

Ich habe mit diesen Menschen noch nicht gesprochen, aber ich stelle es mir wahnsinnig schwer vor. Das war, gerade in den Anfängen, auch mein großes Problem: Denn genau diese Menschen brauchen die Besuche. Auf der anderen Seite halte ich auch das für richtig. Das sind nun einmal die Gefährdeten. Sie und ich, wir können das Virus in uns tragen und es gar nicht spüren. Dennoch: Das ist ein großes Problem, für das ich keine Lösung habe. Man muss jetzt aufpassen, dass diese Menschen nicht komplett vereinsamen. Es gibt das Telefon, was den persönlichen menschlichen Kontakt nicht ersetzen kann, aber es ist wenigstens etwas.

Auch andere Menschen wurden isoliert und unter Quarantäne gestellt. Für die ist das auch nicht einfach. Wie gefährlich ist das für die Psyche des Menschen?

Ein gesunder Mensch verarbeitet das. Der nimmt das unter Umständen auch mit Galgenhumor. Das sieht man auch in Italien, wo die Menschen auf den Balkon gehen und singen. Psychisch gesunde Menschen werden das, platt und brutal gesagt, überstehen. Ein psychisch kranker oder einsamer Mensch hat es noch mal schwerer.

Es gibt trotz aller Information und Bewusstheit in der Bevölkerung immer noch Menschen, die die Vorgaben nicht ernst nehmen; Cafés und Kneipen blieben bis Freitag voll. Woher kommt das?

Ein Teil dachte sich vielleicht: Das müssen wir noch ausnutzen, bevor alles zugemacht wird. Und es gibt sicherlich auch Menschen, die bis jetzt noch nicht kapiert haben, was wirklich los ist.

Ist unsere Gesellschaft zu egoistisch und individualistisch, als dass einzelne nach dem Gemeinsinn handeln und zurückstecken würden?

In der Allgemeinheit nicht. Das sind einzelne, die es nicht verstehen oder aus einer Hilflosigkeit heraus ignorieren. Und es mag einzelne geben, denen alles egal ist. Aber im Großen und Ganzen würde ich sagen, dass die Gesellschaft jetzt hier beweist - und das haben wir auch schon anders erlebt -, dass wir für einander einstehen und das Beste aus der Krise machen.

Und die, die Corona-Parties feiern?

Bei denen habe ich das Gefühl, dass das vielfach eine Trotzreaktion ist: "Wir zeigen euch jetzt mal, dass das alles ein Krampf ist." Es ist eine Trotzhaltung, die ich persönlich sogar verstehen kann, weil ich manchmal auch ein Trotzkopf bin. Trotzdem denke ich mir: "Liebe Leute, wacht bitte auf." Trotz ist keine Lösung.

Er ist egoistisch, oder nicht?

Das möchte ich gar nicht als Egoismus bezeichnen, eher als Dummheit. Ich glaube, dass sie die Situation nicht begriffen haben, nicht verstehen, dass sie Menschenleben riskieren. Schlimm genug, dass nun unsere Politiker berechtigterweise mit Ausgangsbeschränkungen auf die Ignoranz einzelner - es ist ja nicht einmal die Mehrheit - reagieren müssen.

Ist der Mensch als soziales Wesen überhaupt zur Vereinzelung zu bewegen?

Notgedrungen "ja", wobei es darum geht, dass Menschen, auch wenn sie zu Hause bleiben müssen, nicht vereinsamen. In diesem Sinne hoffe ich, dass sie sich dennoch als Gemeinschaftswesen erfahren. Die Ausgangsbeschränkung passiert jetzt aus dieser Not heraus. Familien können näher zusammenrücken, wieder miteinander etwas machen. Das Telefon bleibt auch ein wertvolles Mittel.

Sind Sie froh, dass es Ausgangsbeschränkungen, keine Ausgangssperren gibt?

Für Menschen da sein: Martin Garmaier ist Pfarrer und Seelsorger.

Martin Garmaier ist Pfarrer und Seelsorger.

(Foto: Renate Schmidt)

Gott sei Dank heißt das jetzt nicht, dass jeder und jede sich einsperren muss. Wenigstens können und dürfen viele von uns auch weiterhin zur Arbeit gehen oder einkaufen. Andernfalls würden wir etwas scherzhaft gesagt das Virus aushungern.

Bekommen Sie schon etwas mit von den Nöten und Sorgen der Menschen?

Ab und an gibt es Telefonate, aber ich werde nicht groß bestürmt. Ich beobachte allerdings, dass die Menschen unwahrscheinlich zusammenrücken.

Inwiefern?

Sie sind aufmerksam für andere. Vor allem für die Risikogruppen. Da zeigen die Menschen eine große Hilfsbereitschaft. Menschen, die in Hausgemeinschaften Jahre lang nebeneinander leben, werden plötzlich wach und sensibel für den anderen. Bei meinen Eltern, die in München leben, habe ich das Gefühl, dass sie ständig zur Tür laufen, weil jemand klingelt um zu fragen: "Brauchen Sie noch etwas?" Und das setzt sich durch. Das bekomme ich auch in Erding mit. Und das ist etwas Schönes: Wenn es drauf ankommt, dann halten unsere Leute zusammen.

Ist es das, was jeder einzelne gerade tun kann? Schauen, wo man helfen kann?

Ja. Und ich habe das Gefühl, dass das auch wirklich der Fall ist.

Worin sehen Sie Ihre Aufgabe in der kommenden Zeit?

Die Menschen sollen wissen: Der ist und bleibt da und auf den können wir zählen.

Gibt es eine Einstellung, die helfen könnte, durch die kommende Zeit zu gehen?

Das Wissen, dass es irgendwie weitergeht und jedem Karfreitag Ostern folgt.

Hat das auch mit Gottvertrauen zu tun?

Sicherlich auch, aber nicht nur. Es gibt auch andere Menschen, die nicht glauben und die so denken. Aber es hilft mir natürlich schon und ich stelle auch fest, dass jetzt viele Menschen in die Kirche gehen.

Was ist das, was im Glauben an Gott diese Sicherheit und den Halt gibt?

Da gehe ich jetzt einfach mal von mir aus: Ich spüre, dass er da ist und egal, was kommt, er lässt mich nicht alleine. Irgendwo ist er und hilft. Sicher kann man auch manchmal sagen: "Lieber Gott, du tickst nicht ganz richtig." Und das ist berechtigt. Da gibt es auch viele Beispiele in der Bibel, wo namhafte Personen Gott alles vor den Latz knallen. Aber diese Menschen geben trotzdem nicht auf. Und dort hilft dieser Glaube, dass es auch wieder weitergeht. Das hilft mir auf und gibt mir Kraft.

Tun sich die, die nicht an Gott glauben, in solchen Phasen schwerer, diese Widerstandskraft aufzubringen?

Das vermag ich nicht zu sagen. Ich habe aber den Eindruck - allgemein, wenn Menschen sterben -, dass jemand mit einem Glauben leichter loslassen kann.

Was ist das, was sie sich für die kommende Zeit wünschen?

Dass die Leute nicht aufgeben und dieser Spuk möglichst bald zu Ende geht.

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