Kinderbetreuung:"Wir haben einen Mangel"

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Wo soll es hingehen mit den Kitas? Dazu ist in Vaterstetten nun ein Runder Tisch in Vorbereitung. (Foto: Petra Schneider-Schmelzer /imago images)

Kinderbetreuung ist eine absolute Wachstumsbranche. Seit Jahren steigt der Bedarf an Kitaplätzen. In den vergangenen zehn Jahren ist fast 70 Prozent Personal aufgebaut worden. Und dennoch reicht es nicht. In Freising spitzt sich die Situation gerade akut zu.

Von Gudrun Regelein und Florian Tempel, Freising/Erding

In den Kindertagesstätten fehlt Personal. Schon seit Jahren ist das so, es ist immer knapp. In der Stadt Freising wird es aber gerade richtig akut. In elf der 15 Kindertageseinrichtungen, die die Stadt selbst betreibt, werden ab September die Betreuungszeiten um eine Stunde reduziert. Das heißt: wer seine Kind bislang um 17 Uhr aus der Kita geholt hat, muss dann schon um 16 Uhr kommen. Viele Eltern sind wütend, denn sie müssen nun ihren eigenen Arbeitgebern erklären, dass sie wegen Personalmangels früher aus ihrem Job müssen. Der Mangel wird weitergereicht.

Warum gibt es nicht genug Erzieherinnen und Erzieher? Steckt System dahinter oder gerade keines? Sind die Strukturen so schwach und unzureichend? Kann man den Bedarf nicht voraussehen? Reagieren die Kommunen, die für die Bereitstellung von Betreuungsplätzen zuständig sind, immer wieder zu spät? Mangelt es an Ausbildungsplätzen? Sind die Jobs in Krippe, Kindergarten und Hort zu schlecht bezahlt? Oder sind die Eltern zu unflexibel oder zu anspruchsvoll?

Um der Sache auf den Grund zu gehen, hat die Süddeutsche Zeitung in den Landkreisen Freising und Erding das Gespräch mit vielen Beteiligten gesucht sowie Daten und Statistiken analysiert.

Die nüchternen Zahlen zur Entwicklung in der Kinderbetreuung weisen Kinderbetreuung als absolute Wachstumsbranche aus. Die Steigerungen sind imposant. Im Landkreis Erding mit seinen aktuell 89 Kitas und Horten waren im Jahr 2011 insgesamt 806 Menschen beschäftigt. Zehn Jahre später war ihre Zahl auf 1342 angewachsen, das sind 66,5 Prozent mehr. Im Landkreis Freising ging es im gleichen Zeitraum noch stärker von 1069 auf 1802 nach oben, das war ein Plus von 68,6 Prozent. Dass die Zahl der Kinder in Kindertageseinrichtung in beiden Landkreisen um je 22,8 Prozent, also viel weniger stark zugenommen hat, hat einen Grund: Der Zuwachs resultiert vor allem daraus, dass viel mehr Kinder unter drei Jahren in Kitas betreut werden und für die Betreuung von Kleinkindern erheblich personalintensiver ist.

Die Hälfte der Erzieherinnen und Erzieher in Bayern verdient mehr als 4130 Euro brutto

Auch bei der Bezahlung in den Erziehungsberufen ist in den vergangenen Jahren deutlich nachgebessert worden. Laut dem Entgeltatlas der Arbeitsagentur verdient die Hälfte der Erzieherinnen und Erzieher in Bayern mehr als 4130 Euro brutto. Im Vergleich mit anderen Berufen mit einem vergleichbaren Qualifikationsniveau liegen sie so etwa im Mittelfeld der Spezialisten-Berufsgruppen. Klempner verdienen weniger, Ernährungsberater etwas mehr. Kinderpflegerinnen erhalten mit einem Median-Gehalt von 3385 Euro zwar erheblich weniger als Erzieherinnen, liegen jedoch verglichen mit anderen Berufsgruppen ähnlichen Ausbildungsniveaus über dem Durchschnitt. Es gibt von Träger zu Träger Unterschiede. Grundsätzlich gilt aber, dass wer nach Tarif im öffentlichen Dienst bezahlt wird, am besten fährt. Die Gewerkschaft Verdi legt bei der Gehaltsrechnung den Fokus auf einen anderen Aspekt. Laut Angaben von Verdi "beträgt das Einstiegsgehalt 3006 Euro brutto im Monat, nach fünf Jahren bekommen Erzieher*innen gerade mal 3217 Euro - wenn sie nach Tarif bezahlt werden". Das ist aus Gewerkschaftssicht zu wenig: "So komplex und verantwortungsvoll dieser Beruf ist, so unbefriedigend ist die Bezahlung."

Ulrike Scharf. (Foto: Stephan Rumpf)

Ulrike Scharf (CSU), bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales:

"Wir brauchen mehr Erzieherinnen und Erzieher, das ist ganz eindeutig. Wenn ich mir die Entwicklung der Nachfrage für Kinderbetreuung ansehe, ist klar: Wir haben einen Mangel. Es gibt mehrere Gründe, warum der Bedarf steigt: Zum einen ist die Geburtenzahl stark gestiegen. 2011 kamen 104.000 Kinder in Bayern zur Welt, zuletzt waren es mehr als 134.000, das sind 30 Prozent mehr. Bayern wächst aber auch durch Zuzug. Drittens buchen die Eltern immer längere Betreuungszeiten, was ich nachvollziehen kann, das hängt vor allem mit der wirtschaftlichen Situation zusammen. Alles kombiniert führt zu steigender Nachfrage. Und ja, wir müssen uns anstrengen, was die Deckung dieses Bedarfs angeht. Wir versuchen auf mehreren Wegen gegenzusteuern. Wir haben Aktionen und Kampagnen gestartet, um für diesen tollen Beruf mit Kindern zu werben, damit sich mehr junge Menschen für ihn interessieren. Wir setzen ganz stark auf Fort- und Weiterbildung, das ist zentral und wichtig, weil wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kinderbetreuungseinrichtungen so eine Perspektive für ihre berufliche Zukunft geben. Wir haben die klassische Erzieherausbildung von fünf auf vier Jahre verkürzt und modernisiert, auch das wirkt. Wir investieren außerdem viel Geld in die Qualität der Kitas, zum Beispiel für digitale Bildung. Das erhöht die Attraktivität auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Warum es mit der Erdinger Kinderpflegeschule so lange gedauert hat? Es braucht Zeit, bis solche größeren Projekte genehmigt, geplant und gebaut sind. Ich freue mich, dass es im Herbst los geht. Weil das die einzige Lösung ist: ausbilden, weiterbilden, fortbilden."

Eine Mutter aus Freising, die unerkannt bleiben möchte:

"Wir haben am Pfingstsamstag einen Brief von unserem Kindergarten bekommen, in dem uns mitgeteilt wurde, dass die Öffnungszeiten im neuen Kindergartenjahr verkürzt werden müssen. Als Grund wurde uns Personalmangel genannt. Statt 16.30 Uhr endet die Betreuungszeit dann eine Stunde früher, also um 15.30 Uhr. Für mich ist das ein riesiges Problem: Ich arbeite an zwei Tagen - und an diesen Vollzeit. Anders ist es nicht möglich, weil mein Arbeitsplatz an den anderen Tagen von einer Kollegin besetzt ist. Ich fange schon jetzt immer sehr früh an zu arbeiten, um pünktlich um 16 Uhr Schluss machen zu können. Der Zeitplan ist schon jetzt sehr eng gestrickt. Ich habe inzwischen mit meinem Arbeitgeber darüber gesprochen, er war nicht begeistert, als er davon gehört hat, meinte aber, dass sich eine Lösung finden wird. Welche das genau sein wird, weiß ich momentan noch nicht. Wir werden sehen. Im Notfall kann vielleicht auch mein ältester Sohn unsere Tochter mal abholen. Also ich habe Verständnis für die Situation, es ist auch nicht erstaunlich, wenn keine Betreuungskräfte da sind bei diesem Lohn. Da muss sich die Politik etwas einfallen lassen. Der Personalmangel ist auch nichts Neues, den gab es schon, als mein jetzt 14-jähriger Sohn im Kindergarten war. Was mich aber wirklich verärgert hat, war die Kommunikation des Kindergartens. Wir Eltern wurden überhaupt nicht einbezogen, es gab keinen Elternabend, keine Informationen, auch keine Umfrage, welche Betreuungszeiten für uns wichtig wären. Nur diesen einen Brief. Vielleicht wäre in einem gemeinsamen Gespräch aber eine praktikablere Lösung gefunden worden."

Sandra Liebold, schon lange bei der AWO, ist fortan als Vorständin des Kreisverbands Erding tätig. (Foto: Renate Schmidt)

Sandra Liebold, Fachbereichsleiterin Kinder und Jugend bei der AWO Erding:

"Der Beruf wird in den Medien oft schlecht dargestellt: Die verdienen zu wenig Geld, die Ausbildungszeit ist zu lang, die haben zu viel Stress. Das schreckt doch ab! Dabei ist es wirklich ein schöner Beruf. Ja, er ist fordernd, aber auch sehr, sehr spannend - weil ich zum Beispiel eine Entwicklung bei den Kindern erkennen kann, oft auch kurzfristig schon. Ich bekomme direkte positive Rückmeldung von den Kindern und den Eltern. Diese Seite des Erzieherinnenberufs müsste stärker herausgearbeitet werden. Nachteile gibt es schon und die sollen auch angesprochen werden, aber eben nicht ausschließlich. Die Kita ist die erste Bildungseinrichtung, die ein Kind besucht. Das muss mehr betont werden. Es geht hier um Herzensbildung, motorische, kognitive und soziale Entwicklung. Das ist ein gesellschaftlich wichtiger Auftrag. Für den wir aber nicht die entsprechende Wertschätzung erfahren. Am Personalmangel sind aber vor allem die Rahmenbedingungen schuld: Mit dem gesetzlichen Anspruch auf Betreuung für Kinder ab einem Jahr hat sich ab 2014 ganz viel geändert - und der Fachkräftemangel hat angefangen. Was man damals vergessen hat, ist, dass die Ausbildung vier bis fünf Jahre dauert. Und es wurde so langsam reagiert. In Erding eröffnet erst in diesem September eine Kinderpflegeschule."

Michaela Then, weitere stellvertretende Leiterin der Fachakademie für Sozialpädagogik und der Berufsfachschule für Kinderpflege Freising:

"Die Nachfrage ist zumindest da, sie steigt sogar. Im vergangenen Jahr gab es Wartelisten für die Praxisintegrierte Ausbildung und das Sozialpädagogische Einführungsjahr. Wieso es dann dennoch diesen Mangel gibt? Das liegt sicher mit an dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr. Und immer mehr Eltern nehmen das inzwischen auch in Anspruch. Früher war es wahrscheinlich noch häufiger so, dass die meisten Mütter die ersten drei Jahre zu Hause bei dem Kind blieben, das ist inzwischen anders. Ein Grund dafür kann sein, dass sich gerade im hochpreisigen Landkreis Freising mit den hohen Lebenskosten viele Familien sich das gar nicht mehr leisten können - und beide Eltern arbeiten müssen. Und dann ist es ja so, dass der erste Jahrgang bei der Praxisintegrierten Ausbildung noch am Laufen ist, die ersten 13 Teilnehmerinnen werden in diesem Sommer fertig. Bei der klassischen Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin an der Fachakademie haben wir gerade zweizügig 87 Studierende. An der Fachschule für Kinderpflege sind es momentan 80 Auszubildende, heuer werden 46 ihren Abschluss machen. Die Ausbildung zur Erzieherin wurde bereits schon um ein Jahr verkürzt, eine weitere Verkürzung, um schneller Fachkräfte zu bekommen, halte ich für nicht sinnvoll, das würde enorme Qualitätseinbußen bedeuten. Der Beruf stellt große Ansprüche, es geht nicht nur um die Betreuung von Kindern, sondern er umfasst in schwierig werdenden Zeiten unter anderem Bildungsaufgaben, pädagogische Aufgaben, Elterngespräche, interkulturelle Arbeit und Konfliktmanagement. Inklusion ist ein immerwährendes Thema, die Corona-Krise und zuletzt die aus der Ukraine geflüchteten Kinder kamen on top. In anderen Ländern ist es übrigens kein Ausbildungsberuf, sondern es muss dafür sogar ein Studium absolviert werden."

Angela Strohmeier, Praxisintegrierte Ausbildung zur Erzieherin:

"Ich habe mein Fachabi gemacht und danach erst einmal studiert. Einige Semester Sozialwissenschaften und danach noch einige Semester Landschaftsarchitektur. Ich habe dann aber gemerkt, dass mir das einfach zu theoretisch ist und mich über die Erzieherinnenausbildung informiert. Ich bin empathisch und feinfühlig - und die Praktika in Kitas, die ich noch während der Schulzeit gemacht habe, haben mir sehr gut gefallen. Die klassische Ausbildung zur Erzieherin wird aber nicht bezahlt, das wäre für mich nicht machbar gewesen. Ich bin inzwischen 23 Jahre alt, muss mein Leben finanzieren und Miete bezahlen. Deshalb habe ich mich für die Praxisintegrierte Ausbildung entschieden: 50 Prozent sind hier Theorie, 50 Prozent Praxis. Ich arbeite in einer integrativen Einrichtung und bekomme das bezahlt. Ich finde, es ist ein gutes Modell. Dass es einen Erzieherinnen-Mangel gibt, liegt sicher mit an der langen Ausbildung ohne Bezahlung. Geld spielt eben auch eine Rolle. Daneben ist es ein sehr fordernder Beruf, bei dem man immer wieder an seine Belastungsgrenzen kommt."

Sophia Segerer, Praxisintegrierte Ausbildung zur Erzieherin:

"Ich habe nach der Schule mit einer Ausbildung zur Bankkauffrau begonnen und das auch durchgezogen, obwohl ich schon damals wusste, dass es nicht das Richtige für mich ist. Danach habe ich auch noch als Bankkauffrau gearbeitet, bis ich dann schwanger wurde und mein Sohn geboren wurde. Ich war dann drei Jahre in Elternzeit und habe mir überlegt, was ich danach machen will. Ich liebe es, mit Kindern zusammen zu sein und ich hatte mir auch schon nach der Schule überlegt, mit einer Ausbildung zur Erzieherin zu beginnen. Die dauerte damals aber noch fünf Jahre, das war mir zu lang. Die Praxisintegrierte Ausbildung kann ich machen, da ich schon eine Ausbildung habe. Die dauert nur drei Jahre und man bekommt etwas bezahlt. Ich denke, dass die übliche Erzieherinnenausbildung deutlich attraktiver wird, wenn auch sie bezahlt werden würde. Das müsste mit anderen Ausbildungen gleichgestellt werden. Unter den Erzieherinnen-Mangel leide ich übrigens gerade auch selber. Der Kindergarten, den mein Sohn besucht, wird ab dem Herbst die Öffnungszeiten verkürzen. Ich bin alleinerziehend und habe keinen Partner, der meinen Sohn auch einmal abholen könnte. Ich muss jetzt für dieses Problem eine Lösung finden, sonst kann ich meine Ausbildung nicht weitermachen."

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