Forstinning/Rosenheim:10 000, 12 000 oder 16 000 Autos?

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Der Bund Naturschutz geht im Streit um die geplante Umgehungsstraße bei Forstinning in die Offensive. Nach Auffassung der Kreisgruppe Ebersberg basiert das Projekt auf irreführenden Zahlen. Die Baubehörde sieht das anders

Von Korbinian Eisenberger, Forstinning/Rosenheim

Das Schild hat über die Jahre sein Aussehen verändert. Die weiße Schriftfarbe ist teilweise abgeblättert. "Es reicht uns" und "Ortsumgehung jetzt" ist aber immer noch lesbar. Zum größten inhaltlichen Wandel trugen aber die Verfasser selbst bei. "16 000 Autos täglich" wurde mit "ca. 12 000 Autos täglich" überklebt. Es handelt sich hierbei um die täglichen Verkehrsbewegungen auf der Staatsstraße 2080 durch den Forstinninger Ortsteil Schwaberwegen. Auf Hinweise des Staatlichen Bauamts Rosenheim haben die Befürworter der umstrittenen Umgehungsstraße die Zahl um 4000 nach unten korrigiert. Ende Januar 2021 melden sich nun die Gegner der Umfahrung mit einer neuen Zahl zu Wort: 10 000.

Zu den Kritikern der Pläne des Forstinninger Gemeinderats und des Staatlichen Bauamts Rosenheim zählt die Ebersberger Kreisgruppe des Bund Naturschutz (BN). Der Sprecher des BN-Arbeitskreises Verkehr Benjamin Wirth kommt zu der Einschätzung, dass die Entscheidung für den Bau der Umgehungsstraße auf irreführenden Zahlen beruhe. Die Verkehrsprognose von 2014, die als Grundlage dient, basiere "auf nicht eingetroffenen Annahmen", schreibt Wirth in einer Pressemitteilung. "Im Gegensatz zur Prognose von 2014 wurde die A94 weitergebaut", heißt es weiter. Zudem hat Ebersberg sich bisher nicht für eine Ortsumfahrung entschieden, "was beides zu einer Entlastung, statt wie im Gutachten angenommen, zu einer weiteren Belastung der St 2080 bei Forstinning führt".

Das Staatliche Bauamt Rosenheim ist bei dieser Frage anderer Auffassung. "Es werden hier Verkehrszahlen miteinander verglichen, die so nicht vergleichbar sind", heißt es auf Nachfrage. "Bei den genannten Verkehrsbelastungen von 12 000 bis 16 000 Kraftfahrzeuge in 24 Stunden auf der St 2080 südliche vom Forstinninger Ortsteil Moos handele es sich um Werte, "welche die Verkehrsuntersuchung für die Prognose im Jahre 2030 unter Berücksichtigung vieler Randbedingungen - zum Beispiel auch einer Ortsumfahrung von Ebersberg - ermittelt hat".

Dem Statement des Bauamts zufolge hält die Prognose von 12 000 Autos also auch ohne die Ortsumfahrung der Kreisstadt Ebersberg und mit der ausgebauten Autobahn stand. Im Zählquerschnitt prognostiziert die Verkehrsuntersuchung 12 100 Fahrzeuge, also eine Steigerung von rund 20 Prozent im Prognosezeitraum der Untersuchung von 16 Jahren. "Seitens des Staatlichen Bauamtes Rosenheim ist darin kein Widerspruch oder Fehler zu erkennen."

In der amtlichen Verkehrszählung von 2015 hatte die Behörde einen durchschnittlichen täglichen Verkehr (DTV) von 9921 Fahrzeugen in 24 Stunden gemessen. Bei der Ermittlung des DTV wird die Verkehrsbelastung über das ganze Jahr gemittelt. Er berücksichtigt auch Zeiten, in denen der Verkehr geringer ist, etwa in den Ferien oder am Wochenende. Die der Planfeststellung zu Grunde liegende Verkehrsuntersuchung hat durch die Zählung 2014 einen werktäglichen Verkehr (DTVw) im selben Abschnitt der St 2080 ermittelt, der mit 10 200 Fahrzeugen in 24 Stunden um 2,7 Prozentpunkte über dem 2015 ermittelten DTV liegt. "Der Wert korreliert damit sehr gut mit der amtlichen Verkehrszählung", so das Bauamt.

Der Bund Naturschutz hat einen zweiten Punkt, in dem er die Planer der Umgehung kritisiert. Anlass hierzu sind die Umstände der Pandemie. Es sei zwar verständlich, dass gerade wenig Raum für eine neue strategische Ausrichtungen ist. "Wenn man allerdings die aktuelle IFO-Berechnung berücksichtigt, die besagt, dass etwa 56 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland prinzipiell einen Zugang zu Home-Office haben, muss man die vor Corona getroffenen Entscheidungen dringendst in Frage stellen und den aktuellen Trend zu mehr Home-Office als Chance begreifen, den klima- und umweltschädlichen Straßenverkehr endlich zu reduzieren", so Wirth.

Das Bauamt erklärt, hierzu, dass die Verkehrsbelastung insbesondere im öffentlichen Verkehr "deutlich zurückgegangen" sei. Gleichwohl deute sich jedoch an, "dass das Privatfahrzeug als sicherer Rückzugsort als eine Art 'Krisengewinner' aus der Pandemie hervorgehen könnte". Die Belastung durch Schwerverkehr habe nach kurzfristigen Einbrüchen wieder sehr schnell zugenommen und befinde sich in etwa auf Vorjahres-Niveau. "Insofern kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass bestehende Verkehrsgutachten überholt wären", so das Bauamt. Die langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf das Verkehrsgeschehen seien derzeit jedoch noch nicht absehbar.

Wie die Zahlen für die Verkehrsentwicklung in Forstinnings aktuell lauten, ist ungewiss. Die turnusmäßig für das Jahr 2020 vorgesehene amtliche Zählung wurde wegen der Pandemie ausgesetzt. Ob sich der Verkehr mittelfristig Corona-bedingt verändern wird, soll durch eine bundesweite amtliche Verkehrszählung ermittelt werden. Was das für die Zukunft des Schildes im Wandel der Zeit und Zahlen bedeutet, ist ungewiss.

© SZ vom 01.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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