Süddeutsche Zeitung

Flughafen:"Wir sind es wert"

Mehrere Hundert Lufthansa-Mitarbeiter aus allen Sparten des angeschlagenen Konzerns demonstrieren am Münchner Flughafen. Sie appellieren an die Aktionäre, dem ausgehandelten Rettungspaket zuzustimmen

Von Thilo Schröder, Flughafen

Vor der Jahreshauptversammlung der Lufthansa AG an diesen Donnerstag haben mehrere Fluggewerkschaften gestern am Münchner Flughafen demonstriert. Zeitgleich fanden ähnliche Kundgebungen in Frankfurt, Hamburg und Berlin statt. Hintergrund ist das von der Bundesregierung, der Europäischen Union und der Lufthansa ausgehandelte Paket zur Rettung des Luftfahrtkonzerns angesichts der Corona-Folgen - das aktuell auf der Kippe steht.

250 Teilnehmer schätzte der Einsatzleiter der Polizei am Münchner Flughafen zwischenzeitlich, wahrscheinlich waren es noch mehr. Maximal 200 Teilnehmer hatte das Freisinger Ordnungsamt mit Verweis auf die Versammlungsbeschränkungen zugelassen, 400 wollten die Veranstalter anmelden. Man toleriere die Entwicklung, sagte der Einsatzleiter, denn: "Die Not der Lufthansa-Mitarbeiter ist groß."

"Es geht heute nur um uns, um die Sache. Und dass wir wieder abheben, dass wir wieder abheben müssen", rief der Flugbegleiter Nikolaus Moehren, 29, in die Menge. In ihren jeweiligen Uniformen samt gelbem Lufthansa-Leibchen standen Vertreter sämtlicher Sparten des Konzerns - von Technik bis Flugbegleitung - in kleinen Grüppchen im Atrium des Airport Centers beisammen, mit Masken und Abstand. Als "gesundes Unternehmen" mit einem Jahresumsatz von zuletzt 36,4 Milliarden Euro sei das Unternehmen von einem kleinen Virus "in die Knie gezwungen" worden, sagte Moehren. "Innerhalb weniger Monate steht die Lufthansa vollkommen unverschuldet vor einer möglichen Insolvenz."

Etwa 14 000 Lufthansa-Beschäftigte gibt es laut der Pressestelle am Standort München. Das ist mehr als jede zehnte Stelle. Weltweit arbeiteten bei dem Konzern etwa 138 000 Menschen, flögen 762 Flugzeuge um den Globus - "zumindest heute noch", sagte Moehren.

Jens Hofmann, 37, einer der Organisatoren von der Technik Gewerkschaft Luftfahrt, drückte es so aus: "Wir sind heute hier, weil das unsere letzte Chance ist, die Aktionäre davon zu überzeugen, dass es wert ist, das Rettungspaket zu akzeptieren." Bernhard Englmann, 53, arbeitet seit 1996 für die Lufthansa. "Es geht um den Erhalt der Firma, da hängen viele Einzelschicksale dran, viele Familien", sagte der Kapitän. Man wolle nicht, dass die Lufthansa an einen privaten Investor übergehe. Neben ihm seine achtjährige Tochter und seine Frau. Die 46-jährige Studienrätin ist sauer: "Man hätte schon viel früher eingreifen können. Wenn die Lufthansa insolvent geht, was ist dann mit der Altersvorsorge, mit dem Vorruhestand? Das ist eine Blamage für unseren Staat."

Bei Andrea Buchmüller klingt der Protest euphorischer, kämpferischer: "Wir kämpfen für unsere Arbeit, wir lieben unsere Arbeit", sagte die 51-jährige Flugbegleiterin, auch sie steht seit fast 20 Jahren im Dienste des deutschen Branchenprimus. "Das ist kein Beruf, das ist eine Berufung. Wir hoffen alle bis zum Schluss."

Passend zum grundsätzlich friedlichen Tenor der Veranstaltung forderte eine Mitarbeiterin die Versammelten auf, einen Luftfahrtklassiker des Liedermachers Reinhard Mey zu singen. "Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein...", schallte es durch das Atrium.

Moehren erinnerte an mit der Luftfahrt verknüpfte Wirtschaftszweige: von der Reisebranche bis zur Cafébar am Flughafen. "Wir wollen auch für die kleinen und mittleren Unternehmen kämpfen." An Politik und Anteilseigner des Konzerns gewandt, sagte er: "Wir appellieren aus vollem Herzen an unsere Aktionäre, sich zur Lufthansa zu bekennen. Wir appellieren gleichzeitig an die Vertreter der Bundesregierung und der EU-Kommission, zu dem Rettungspaket zu stehen. Sagen Sie Ja zur Lufthansa, sagen Sie Ja zum Rettungspaket, sagen Sie Ja zu 138 000 Beschäftigten, sagen Sie Ja zum traditionsreichsten Luftfahrtunternehmen der Bundesrepublik Deutschland (...) Wir sind es wert."

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SZ vom 25.06.2020
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