Flughafen München:Schlechtes Wetter bringt Fluglärm nach Erding

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So fliegen die Maschinen an den Münchner Flughafen. (SZ Grafik)

  • Eigentlich ist Erding nicht vom Fluglärm betroffen, denn die Maschinen werden an der Stadt vorbeigeleitet.
  • Allerdings gibt es immer wieder Ausnahmen, etwa wegen schlechten Wetters.

Von Jan-Hendrik Maier, Erding

Immer wieder dröhnt es an jenem Abend über Erding. Das zischende, lang gezogene Geräusch von Turbinen schallt vom Himmel und ist auf einigen Balkonen deutlich zu hören. Es ist Sonntag, 29. Mai, kurz vor 19 Uhr. Bereits seit dem späten Nachmittag teilen sich Wolken und Verkehrsflugzeuge den Luftraum über der Kreisstadt. Streng genommen gehören die Jets hier nicht hin, denn offiziell führt keine Abflugroute über Erdings Stadtgebiet.

Dennoch, es ist keine Seltenheit, dass ein Reiseflieger kurz nach dem Start von der Südpiste am nahen Münchner Flughafen abdreht und die Stadt überfliegt. An jenem Sonntag bewegten sich dabei einige Maschinen in Höhen zwischen 4000 und 6000 Fuß, also zwischen 1219 und 1829 Metern. Grund für die Umwege war das schlechte Wetter auf den eigentlichen Routen.

Nach Angaben der Deutschen Flugsicherung (DFS) ist in den meisten Fällen das Wetter Schuld an den Umwegen. Piloten könnten eine "Einzelfreigabe", wie es im Fachjargon heißt, beantragen und auf einem anderen Weg als dem geplanten um die Schlechtwetterfront herumfliegen. "Das System ist hochdynamisch und komplex, daher kommt es aus Sicherheitsgründen immer wieder zu Abweichungen von den veröffentlichten Routen", sagt Martin Köppl, Sprecher der DFS in München.

Folgt man der Theorie, ist demnach ein abfliegendes Verkehrsflugzeug über Erding eine Ausnahme - die täglich eintreten kann. Im Durchschnitt starten im Erdinger Moos jeden Tag 517 Jets nach Instrumentenflugregeln (IFR), umgangssprachlich "Blindflug" genannt. Um besser zu verstehen, wie es zu den Abweichungen kommen kann, lohnt es sich, sich einmal vor Augen zu führen, wie der Abflug eines Jets nach IFR regulär funktioniert.

Allgemein gilt: Flugzeuge starten und landen gegen den Wind. Bei einer Landung würde so die Geschwindigkeit, mit der die Maschine auf den Boden aufsetzt, reduziert, erklärt Markus Wahl, Pilot bei der Lufthansa. "Sie müssen also nicht so doll bremsen und verbrauchen weniger Energie." Für den Start bedeute Gegenwind, dass maximaler Auftrieb entstehen und der Jet dadurch schneller abheben könne. Folglich richten auch Flughäfen ihren Betrieb an der Windrichtung aus. Wenn der Wind aus Osten weht - im Durchschnitt ist das am Flughafen München an vier von zehn Tagen der Fall -, steigt ebenso die Wahrscheinlichkeit, dass ein Jet über Erding an Höhe gewinnt.

Bundesstraßen in der Luft

Das hänge damit zusammen, dass Piloten beim Abflug mit ihrer Maschine genau festgelegten Routen folgen müssten, erklärt Köppl. Für jeden Flughafen gebe es solche "Standard Instrument Departures", kurz SID. Diese könne man sich als eine Art Bundesstraße vorstellen, auf der die Jets zur nächstgelegenen Autobahn - den Luftstraßen - fliegen. Denn wie am Boden gibt es auch im Himmel ein äußerst dicht geknüpftes Netz an Wegen.

Fluglotsen sollen Piloten und ihre Maschinen anhand fester Routen sicher durch dieses Netz navigieren. Dabei herrsche das Prinzip: "Der Lotse weist an, der Pilot setzt um." Während des Starts geben die Mitarbeiter der Flugsicherung im Tower dem Piloten einen Weg für den Abflug vor. Köppl beschreibt so eine SID: Wenn bei Ostwind Jets von der Südbahn abheben, fliegen sie zunächst geradeaus, südlich an Eitting vorbei.

Erding ist nicht betroffen

Im Bereich zwischen Eichenkofen, Glaslern und Lohkirchen erreichen die Maschinen einen Knotenpunkt, an dem sich ihre Wege in den Süden trennen. Der eine Teil dreht in Richtung Isen und Ebersberg ab, der andere fliegt östlich an Dorfen vorbei. "Im Normalbetrieb führt also kein Abflugverfahren über Erding", sagt Köppl. Grund dafür sei die Einhaltung des Lärmschutzes.

Zusätzlich zu den vorgegebenen Navigationspunkten versorgen die Lotsen beim Start die Besatzung an Bord mit weiteren Informationen, etwa über die Wetterlage und ob vorausfliegende Maschinen Turbulenzen gemeldet haben. Das sei erforderlich, sagt Köppl, da ausschließlich die Besatzung für die Sicherheit an Bord verantwortlich ist. Stellt ein Pilot also fest, dass ein sicherer Flug entlang der vorgegeben SID nicht möglich ist, bittet er um Erlaubnis, eine Umleitung fliegen zu dürfen. Das Prinzip dreht sich um.

Rechtlich gesehen sind die Umleitungen legal

Sofern kein "Flugsicherungsgrund" dagegen spreche, etwa weil der vom Piloten gewünschte Weg bereits belegt ist, würde die Freigabe auch stets erteilt. In der Vertikalen müssen zwei Flugzeuge mindestens 1000 Fuß, in der Horizontalen zwischen drei und fünf nautische Meilen voneinander entfernt sein. Im Fall der beschriebenen Route in Richtung Eitting geht eine Umleitung gerne über Erding. Rechtlich gesehen sei das auch legal, sagt Köppl, da "die Benutzung des Luftraums durch Luftfahrzeuge frei ist". So steht es im Luftverkehrsgesetz. Im Klartext heißt das: Generell darf jeder Punkt auf der Karte überflogen werden.

Etwa 90 Prozent der Einzelfreigaben bei Starts und Landungen seien wetterbedingt, sagt Pilot Markus Wahl. Oft müssten Gewitterzellen umflogen werden, da von ihnen eine "enorme Gefahr" für die Struktur des Flugzeugs ausginge und es die Maschine im "allerschlimmsten Fall" sogar zerreißen könnte. Von außen sehe man dem Gewitter seine Intensität eben nicht an, daher halten Piloten Abstand. Wie viel genau, schreiben die Fluggesellschaften individuell vor.

Wahl, der auch Sprecher der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit ist, gibt etwa 20 Meilen (knapp 37 Kilometer) als Richtlinie in Mitteleuropa an. Und in dieser Entfernung liegt möglicherweise die Krux für den Beobachter am Boden, der den strahlenden Sonnenschein sieht und sich zu Recht über den Jet am Himmel wundert, vom Gewitter aber nichts ahnt. Doch auch Vorstufen eines möglichen Gewitters, wie die ambossförmigen Cumulonimbus-Wolken, oder bestimmte Windphänomene, die erfahrungsgemäß zu Turbulenzen führten, wolle man vermeiden.

"Vieles ist beim Fliegen vorherbestimmt, aber das Wetter ist und bleibt die große Unbekannte", sagt Wahl. Ferner seien bei Abflugverfahren bestimmte Höhen und Geschwindigkeiten gefordert, die eine Maschine nicht immer rechtzeitig erreichen könne. Die Liste der Faktoren, die das Aufsteigen eines Jets beeinflussen, ist lang: Lufttemperatur, Windrichtung und Windstärke, Schub, Anzahl der Passagiere an Bord, Kerosin...

Es ist der Auftrag von Lotsen, den Verkehr in der Luft "sicher, geordnet und flüssig" zu halten. Um dieses Ziel zu erreichen, dürften auch sie einen Jet von einer SID nehmen, sobald er eine Höhe von 1524 Metern über Grund erreicht hat. "Das kann vorkommen, wenn ein Jet schnell gestiegen ist", sagt Köppl. Die Gründe für den Antrag auf eine Einzelfreigabe und das damit verbundene Abweichen von regulären Abflugrouten sind vielfältig. Letztlich sollten sie, so der Tenor der Flugsicherung, immer der Sicherheit dienen.

"Wetterbedingte Abweichungen"

Kairo, London, Marseille oder Basel - am 29. Mai führte der Weg für Abendmaschinen über Erding. Mal streiften sie Langengeisling und den Kronthaler Weiher, mal flogen sie in direkter Linie über die Stadt. Mit der Simulation "Stanly Track", die auf der Internetseite der DFS kostenlos zur Verfügung steht, kann jeder die Flugspuren nachverfolgen. Köppl bestätigt, dass an diesem Tag zahlreiche Jets direkt nach dem Abheben Umleitungen geflogen sind.

Im Tagesbericht der DFS sei von 16.45 Uhr an die Rede von "wetterbedingte Abweichungen". Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) hat ein Gewitter die Abflugschneisen "ein klein bisschen von Südwest nach Nordost geschrammt". Global betrachtet seien die Auswirkungen auf den Flugbetrieb aber gering gewesen, so der DWD. Die Erdinger haben in den drei Stunden zwölf Maschinen abbekommen.

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