Süddeutsche Zeitung

Flughafen München:Freispruch für Abschiebegegnerin nach Flugblattaktion

  • Mit einer Flugblattaktion am Flughafen hat eine 26-Jährige die Abschiebung eines Kurden verhindert. Dafür wurde sie angeklagt.
  • Das Amtsgericht Erding hat nun den Vorwurf der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt einkassiert.

Von Florian Tempel, Erding

Mit einer Flugblattaktion direkt am Abfluggate hat es eine 26 Jahre alte Frau aus Nürnberg im Oktober 2018 geschafft, die Abschiebung eines Kurden von München nach Bulgarien zu verhindern. Der verunsicherte Pilot weigerte sich, den Mann, der selbst keinen Widerstand leistete, mitzunehmen. Die insofern erfolgreiche Aktivistin - der 29 Jahre alte Kurde wurde wenig später doch abgeschoben - erhielt jedoch eine Anklage wegen "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" und einen Strafbefehl über 1200 Euro. Das für den Flughafen München zuständige Amtsgericht Erding sprach die Frau nun frei. "Aus rechtlichen Gründen", wie Richter Andreas Wassermann betonte.

Der Richter erläuterte, dass von Beihilfe nur die Rede sein könne, wenn eine strafbare Haupttat vorliege. Man könne aber dem Kurden nicht anlasten, dass er sich nach der Flugblattaktion illegal in Deutschland aufgehalten habe, erklärte Wassermann in seiner Urteilsbegründung: "Er hatte keine Sekunde die Möglichkeit, sich außerhalb des Polizeigewahrsams aufzuhalten." Weil er "eingesperrt war" und sich nicht "unerlaubt aufhielt", konnte die Angeklagte auch keine Beihilfe dazu leisten.

Die Erkenntnis, dass es in diesem Fall zu nichts anderem als einem Freispruch kommen konnte, kam dem Richter offenkundig schlagartig, als der Münchner Rechtsanwalt Mathes Breuer mitten in der Verhandlung den Antrag stellte, als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Breuer sagte, dass die juristische Materie doch ziemlich schwierig sei und man in das tiefere Verständnis dessen einsteigen müsse, was einen illegalen Aufenthalt ausmache. Im Fall des 29-jährigen Kurden verhielt es sich so, dass er bereits bei seiner Einreise an der deutsch-österreichischen Grenze festgenommen worden war. Danach befand er sich durchgehend in verschiedenen Haftanstalten, und auch vom Flughafen wurde er umgehend zurück in Haft genommen.

Richter Wassermann ging darauf sofort ein und fragte den Polizeibeamten, der den Fall bearbeitet hatte, wann denn seiner Meinung nach der unerlaubte Aufenthalt gewesen sein solle. Der polizeiliche Sachbearbeiter sagte, er wisse das nicht, es sei auch nicht seine Aufgabe, es zu wissen. Rechtsanwalt Breuer sagte der SZ, die Akten zeigten, dass die entscheidende rechtliche Einschätzung aus dem bayerischen Innenministerium komme. Die Polizei hatte dort nachgefragt, inwiefern sich die Aktivistin strafbar gemacht haben könnte. In der Antwort aus dem Ministerium wurde der Tatbestand einer Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt genannt.

Nachdem der Richter zu erkennen gegeben hatte, wie er den Fall sah, entspannte sich die bis dahin gereizte Atmosphäre im Gerichtssaal. Die Angeklagte war von circa 20 Mitstreitern aus Nürnberg und München zum Prozess begleitet worden. Vor Verhandlungsbeginn gab es vor dem Amtsgericht eine Solidaritätskundgebung. Im Gerichtsgebäude wurden die Zuhörer dann einem doppelten Sicherheitscheck unterzogen. Nach der Einlasskontrolle folgte eine weitere gründliche Personenkontrolle direkt vor dem Gerichtssaal. Verteidiger Breuer kritisierte, die Kontrollen seien strenger "als bei einem Terrorismusprozess". Nachdem die Angeklagte eine vorbereitete Rede verlesen hatte und dafür Applaus erhielt, warnte Richter Wassermann die Zuhörer, sie müssten sich still verhalten: "Das ist hier keine Show und keine Demonstration." Ganz am Ende verbat er sich Beifall für den Freispruch.

Die Staatsanwältin pochte nach telefonischer Rücksprache mit Kollegen auf eine Verurteilung wie im Strafbefehl gefordert. Sie argumentierte, der unerlaubte Aufenthalt habe während der kurzen Zeitspanne bestanden, als der Kurde auf dem Weg zurück in die Abschiebehaft gewesen sei. Richter Wassermann wies das als abwegige Argumentation zurück. Er sagte aber auch, dass das Verteilen der Flugblätter seiner Auffassung nach durchaus strafbar hätte sein können. Die gerichtlich überprüfte Entscheidung einer Abschiebung müsse von jedem Bürger akzeptiert werden. Rechtsanwalt Breuer sah das anders. Abschiebungen nach Bulgarien seien fragwürdig, sagte er, weil Menschen von dort aus mitunter sehr schnell in Länder abgeschoben würden, in denen Haft und Folter drohe: "Das ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, dagegen darf und soll man protestieren."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4518579
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.07.2019/mmo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.