Süddeutsche Zeitung

Flughafenprojekte:Wie der Airport unabhängiger von wirtschaftlichen Unsicherheiten werden soll

  • Die Flughafen München GmbH hat zahlreiche Aus- und Umbaupläne.
  • Grund für die Bautätigkeiten sind einerseits gestiegene Passagierzahlen.
  • Doch auch jenseits des Fluggeschäfts wird kräftig gebaut, denn die dritte Startbahn weiter nicht in Sicht ist und damit auch keine zusätzlichen Kapazitäten bei Starts und Landungen.

Von Gerhard Wilhelm

Eigentlich geht es ja auf einem Flughafen ums Fliegen. Doch wer derzeit den Münchener Airport ansteuert, egal auf welchem Weg, ob aus der Luft, per S-Bahn, Bus oder mit dem Auto, der sieht vor allem eines: Baustelle reiht sich an Baustelle. Und man mag sich ein bisserl an die offenbar nie endende Großbaustelle Flughafen Berlin (BER) erinnern. Doch im Gegensatz zu Berlin ist der Münchner Airport (MUC) tatsächlich schon seit 27 Jahren fertig. Dass es aber einen anderen Eindruck macht, liegt an zahlreichen Aus- und Umbaupläne der Flughafen München GmbH (FMG).

Grund für die Bautätigkeiten sind einerseits gestiegene Passagierzahlen: 2018 sind laut FMG-Finanzchef Thomas Weyer rund 46,3 Millionen Menschen von und nach München geflogen, knapp 1,7 Millionen mehr als im Vorjahr. Die Anzahl der Starts und Landungen erhöhte sich um 2,2 Prozent auf mehr als 413 000 Flugbewegungen. Andererseits will man sich auf das Fluggeschäft alleine nicht mehr verlassen, vor allem, da die dritte Startbahn weiter nicht in Sicht ist und damit auch keine zusätzlichen Kapazitäten bei Starts und Landungen.

Knapp die Hälfte des Umsatzes, der 2017 bei etwa 1,47 Milliarden Euro lag, stammt aus Bereichen, die nicht direkt mit dem Flugbetrieb zu tun haben. "Mit Blick auf weltwirtschaftliche Unsicherheiten, den intensiven Wettbewerb in der Luftverkehrsbranche und die gedeckelten Wachstumsmöglichkeiten an unserem Flughafen dürfen wir uns allerdings nicht allein auf die Erlöse aus dem klassischen Aviation-Segment verlassen. Daher ist es wichtig, dass wir uns breiter aufstellen. Wir müssen neue strategische Geschäftsfelder wie ,Lab Campus', das geplante unternehmens- und branchenübergreifende Innovationszentrum am Flughafen München, erschließen", sagt Weyer.

Alleine in diesem Jahr will die FMG 374 Millionen Euro investieren. 2020 sollen es mehr als 530 Millionen sein für 2021 hat die FMG fast 600 Millionen Euro eingeplant. Die drei größten Projekte sind der sogenannte "Lab Campus", ein Forschungs- und Innovationszentrum, die Erweiterung des Terminals 1 sowie die unterirdische Verlängerung des bestehenden S-Bahn-Tunnels als erste Etappe für den Erdinger Ringschluss, um die Erreichbarkeit des Flughafens auf der Schiene zu verbessern. Auch am Boden wird an einer Optimierung der Straßenführung aus dem Osten/Flughafentangente gearbeitet.

Das flächenmäßig größte Projekt ist der "Lab Campus" (1) im Nordwesten des Flughafens, der in den Umlandgemeinden nicht ganz unumstritten ist. Dort soll nach dem Vorbild des nordamerikanischen Silicon-Valley eine Art Ideensammelplatz entstehen. Insgesamt plant die FMG mit einer Gesamtfläche von fünfzig Hektar. Die ersten beiden Gebäude sollen schon im Jahr 2021 bezugsfertig sein. Wenn es keine Verzögerungen gibt, soll der Campus im Jahr 2024 einen zweistelligen Millionenbetrag liefern, zwischen 20 und 35 Millionen Euro pro Jahr - primär durch Mieten und Betreibereinnahmen, wie die FMG hofft. Als Erstes sind ein neues Bürogebäude und die neue Airport Academy geplant. In den nächsten Jahren entstehen darüber hinaus neben dem Novotel ein neues Budget Hotel und die neue Konzernzentrale des Flughafens München. In den Landkreisen Erding und Freising wird befürchtet, dass durch den neuen Lab Campus noch mehr Menschen in die Region ziehen als ohnehin - und damit der Druck auf den Wohnungsmarkt und die Verkehrsinfrastruktur überproportional zunimmt. Zurzeit geht die FMG von 3000 permanenten neuen Arbeitsplätzen im ersten Quartier aus. Aber nach Finanzchef Thomas Weyer bedeute das nicht, dass demnächst 3000 Menschen rund um den Flughafen eine Wohnung suchen würden. Man gehe davon aus, dass etwa die Hälfte der Leute bereits in München oder dem Umland wohne, zum Beispiel die Mitarbeiter der Airport Academy. Die Skepsis bleibt in den Landkreisen.

Teil des Campus ist der neue Handwerkerhof (2) mit 7000 Quadratmetern Baugrundfläche, der nördlich der neuen Immobilienzentrale entsteht soll. Er soll nach Fertigstellung 2019/2020 von der Flughafen München GmbH und Unternehmen am Campus zunächst genutzt werden, von Mitte 2013 an auch von Handwerker- und Dienstleistungsfirmen.

Für die FMG und mehrere Tochtergesellschaften sind zudem ein zentrales Lager und Logistikzentrum (3) geplant, wie der Flughafen mitteilt. Die Baustelle ist eingerichtet und Baubeginn ist noch im April. Damit sollen extern angemietete Lagerflächen künftig entfallen. Fertigstellung: 2021.

Auch der Autokonzern BMW baut sein Servicezentrum (4)am Flughafen an einem neuen Standort an der sogenannte "AirSite West", also das Gebiet zwischen den Hangars im Süden und dem Neubauareal im Nordwesten, aus. Die Inbetriebnahme ist noch in diesem Jahr vorgesehen.

Gebaut wird auch schon an einer Airport Academy (5). 14 500 Quadratmeter Nutzungsfläche soll der geplante Neubau für das Schulungszentrum des Flughafens umfassen.

Neben der Airport Academy soll am "Lab Campus" ein Bürogebäude (6) mit einer Nutzungsfläche von fast 30 000 Quadratmetern entstehen. Baubeginn soll noch heuer sein. Derzeit ist nicht vorgesehen, die Tankstelle dafür zu verlegen.

Für Urlauber sowie Besucher und Mitarbeiter an der "AirSite West" wird an zwei neuen Parkhäusern gebaut - die Parkpaletten P43 und P44 (7). Derzeit laufen die Vorbereitungen für das Baufeld.

Um den Campus besser erreichen zu können, optimiert der Flughafen auch das Straßennetz. Vorhaben wie der "Knoten West Null" (8) sind bereits in der Umsetzung: Bis Ende 2020 wird eine weitere Brücke über die Zentralallee gebaut. Das Bauwerk verbindet dann Nord-, Zentral- und Wartungsallee.

In der Wartungsallee entsteht das neue "Audi Brand Experience Center" (9) mit Passiv-Energiestandard samt einer öffentlichen E-Tankstelle. Der Bau ist bereits weit fortgeschritten. Voraussichtliche Inbetriebnahme ist im zweiten Quartal 2019.

Entlang der Zentralallee wurden an der Grenze zum Vorfeld riesige Spundwände in den Boden getrieben - zur Vorbereitung auf die kommenden Bauarbeiten für den neuen Flugsteig am Terminal 1 (10), dem zweiten großen Projekt am Flughafen. Mit den Abbrucharbeiten im Bereich des Vorfeldes wird demnächst begonnen, der Baubeginn für die Gebäude ist für Anfang 2020 geplant. Das in drei Ebenen unterteilte neue Bauwerk soll mit einem Kerngebäude an die heutigen Module A und B des Terminals 1 - dem ersten des Flughafens überhaupt und seit 1992 bestehend - angrenzen und über Brücken direkt verbunden werden. Von dort ragt der Flugsteig dann 350 Meter weit ins westliche Vorfeld. Am Pier sollen künftig insgesamt sechs Großraumflugzeuge oder zwölf kleinere Maschinen andocken können. Die Gesamtfläche der Erweiterung inklusive der Umbauten in der heutigen Ankunftszone im Modul B beträgt rund 95 000 Quadratmeter. Im Kerngebäude des Flugsteigs ist ein Marktplatz mit Einkaufsmöglichkeiten und gastronomischen Angeboten geplant - bereits heute ist dieser Sektor mit rund 150 Geschäften und Boutiquen sowie rund 60 Restaurants, Cafés und Bistros eine wichtige Einnahmequelle für den Airport. Für das Ausbauvorhaben sind Gesamtprojektkosten von rund 455 Millionen Euro veranschlagt, die der Münchner Flughafen aus eigenen Mitteln aufbringen will. Außerdem werden die Sicherheitskontrollen zentralisiert und neu gestaltet. In einer Doppelspur könnten dann statt bisher 180 bis zu 400 Passagiere pro Stunde kontrolliert werden, erklärt die Immobilienverantwortliche für das Abfertigungsgebäude, Katrin Hennig.

Mehr Passagiere bedeutet auch mehr Autos. In der zentralen Zone ist geplant, zusätzliche Stellplätze für Passagiere und Mitarbeiter zu schaffen - der Parkbereich P22 (11). Die ersten 700 Stellplätze sollen 2020 eröffnet werden, weitere 1700 sollen Anfang 2021 folgen.

Damit Passagiere und Besucher sowie Mitarbeiter künftig schneller über das östliche Straßennetz zum Flughafen gelangen können, erhalten die Erdinger Allee und der Südring eine neue Streckenführung zum Flughafenzubringer Ost (Staatsstraße 2580) und Kreisstraße ED5 (12) und werden leistungsfähiger ausgebaut. Der Flughafenzubringer Ost verbindet die Erdinger Allee sowie den Südring mit der Flughafentangente Ost. Bis Ende 2020 wird der Zubringer vierspurig ausgebaut. Der Zubringer besteht aus zwei Armen: Dem Südring und nördlich davon der Erdinger Allee. Im Juli 2018 haben die Arbeiten für den zweispurigen Ausbau des Südrings begonnen, Ende 2019 soll Fertiggestellung sein.

Eine Baumaßnahme, die eher im Verborgenen abläuft, aber eine große Lücke in der Anbindung des Airports per Schiene schließen soll, ist die Verlängerung des S-Bahn-Tunnels (13). Anfang September 2018 begannen die Bauarbeiten für die Verlängerung des Zugtunnels in Richtung Erding. Der Tunnelrohbau soll im Jahr 2021 fertiggestellt und anschließend von der DB Netz AG mit der für den Zugverkehr notwendigen technischen Ausstattung ausgerüstet werden. Der Tunnel ist rund 1,5 Kilometer lang, wird um eine 300 Meter lange Rampe ergänzt und kostet die Flughafen München GmbH voraussichtlich rund 115 Millionen Euro. Vor dem Jahr 2029 rechnet zwar niemand mit einer kompletten Fertigstellung des Erdinger Ringschlusses bei der S-Bahn, aber die FMG will zumindest ihren Teil beitragen. Eine Nutzung der neuen Teilstrecke bis zur Wendeanlage Schwaigerloh ist dann voraussichtlich von 2025 an möglich. In Schwaigerloh sollen einmal drei S-Bahn-Linien halten: Neben der S 2 von und nach Erding auch die Züge der über den Flughafen hinaus verlängerten S 8 und S 1. Die beiden angestammten Flughafenlinien werden also später bis zu ihrer neuen Endstation Schwaigerloh fahren, dort in einer Umkehrschleife wenden und wieder zurück zum Flughafen und Richtung München fahren. Auf dem Erdinger Stadtgebiet sollen künftig die Züge vom Halt Altenerding bis zum neuen S-Bahnhof Erding auf dem dann aufgelassenen Fliegerhorst ab Haager Straße in einem Tunnel fahren.

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Quelle:
SZ vom 24.06.2019/vewo
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