Flughafen:Langsam nach oben

Am Flughafen München steigt nicht nur die Zahl der Flüge wieder, sondern laut Freisinger Bürgerverein auch die Feinstaubbelastung. Ob der Flugverkehr jemals wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht, ist strittig

Von Nadja Tausche, Freising/Flughafen

Es geht wieder los - wenn auch langsam. Rund 300 Flugbewegungen verzeichnet der Münchner Flughafen derzeit pro Tag: Im Vergleich zu den regulär täglich 1100 Starts und Landungen ist das immer noch wenig. Im April allerdings fanden nur noch gut fünf Prozent der Flüge statt - mittlerweile sind es wieder mehr als 27 Prozent. Statt 120 000 starten derzeit zwischen 30 000 und 35 000 Menschen vom Münchner Flughafen in den Urlaub oder auf sonstige Reisen, wie ein Sprecher aktuell mitteilt.

Der Anstieg der Flugbewegungen macht sich in den Ultrafeinstaubwerten bemerkbar. "Man sieht, es wird mehr", sagt Wolfgang Herrmann, stellvertretender Vorsitzender des Bürgervereins Freising. Im Vergleich zu den vor der Corona-Krise gemessenen Werten seien die Zahlen aber kein Vergleich. Konkrete Werte kann der Bürgerverein noch nicht nennen - die müsse man gemeinsam mit den Projektpartnern erst auswerten, so Herrmann: Wie seit vergangenem Monat bekannt ist, beteiligen sich nun auch das bayerische Umweltministerium, das Helmholtz Zentrum sowie die Uni Bayreuth an den Ultrafeinstaubmessungen. Herrmann bezeichnet das zwar als "Meilenstein" - es täusche aber nicht über die Tatsache hinweg, dass der Flughafen eigentlich genau jetzt, nämlich in Zeiten deutlich reduzierter Flugbewegungen, über Konzepte mit weniger Ultrafeinstaub nachdenken sollte, findet er. "Denn dass die Partikel da sind und dass sie gesundheitsschädlich sind, steht eigentlich außer Frage", sagt Herrmann.

Wann und ob überhaupt die Zahl der Flugbewegungen wieder auf Vor-Corona-Niveau ansteigen wird, da gehen die Meinungen auseinander. Christian Magerl ist skeptisch: "Es wird noch viele Jahre dauern, wenn es überhaupt jemals wieder so wird", sagt der einstige Grünen-Landtagsabgeordnete und Sprecher des Bündnisses Aufgemuckt, das sich gegen eine dritte Startbahn einsetzt. Denn, so sein Argument: Firmen hätten in der Corona-Krise technisch aufgerüstet und gemerkt, dass Videokonferenzen weniger Aufwand und auch weniger Kosten bedeuteten. Urlauber realisieren nach Meinung von Magerl in diesem Sommer, dass es nicht immer zwingend der Flug in ferne Gefilde sein müsse.

Auch Ludwig Grüll, Sprecher der Gruppe Plane Stupid und Bewohner eines Hauses in Attaching in der Einflugschneise des Flughafens, ist überzeugt: "Der Flugverkehr wird sich auf lange Zeit nicht erholen." Er gibt allerdings zu, dass da wohl ein wenig Wunschdenken mit reinspielt. Denn möglich ist auch, dass die Urlauber, die sich in diesem Sommer noch nicht in die Flugzeuge trauen, ihre Reisen im nächsten Jahr erst recht aufholen. Im Gegensatz zu Magerl und Grüll ist Flughafenchef Jost Lammers überzeugt: "Wir werden wieder volle Flughäfen sehen." So sagte er es im Mai.

In der Zwischenzeit genießt Ludwig Grüll noch die Ruhe. Normalerweise müsse die Familie auf der Terrasse Gesprächspausen machen, wenn ein Flugzeug darüber fliegt, erzählt er, oft genug werde man zudem von startenden und landenden Exemplaren aufgeweckt. Derzeit dagegen sei es erträglich, Grüll spricht von einem "ganz neuen Lebensgefühl". Christian Magerl ist derweil oft im Umland des Flughafens unterwegs, um Vögel zu kartieren. Konkret verändert habe sich etwa für die Kiebitze und die vom Aussterben bedrohten Brachvögel im Freisinger und Erdinger Moos nichts: "Es ist nicht so, dass die Population schlagartig angestiegen ist", so sein Fazit nach mehreren Monaten Vogelbeobachtung unter quasi leerem Himmel.

Was die Entwicklung nun für die dritte Startbahn bedeutet, da sind sich Grüll und Magerl einig: Der Bedarf sei vor Corona nicht da gewesen und sei es jetzt erst recht nicht. "Corona mag irgendwann vorbei sein, aber der Klimawandel ist nach wie vor da", argumentiert Grüll. Auch weiterhin will er sich mit der Gruppe Plane Stupid gegen das Großprojekt einsetzen, das wegen des Moratoriums derzeit in der Schublade liegt. "Der Widerstand ist nach wie vor nicht gebrochen", so formuliert es Grüll, "im Gegenteil": Erst durch die Corona-Krise habe man gemerkt, wie viel man an Lebensqualität eingebüßt habe.

Am Flughafen selbst geht es derweil nicht nur bei den Flugbewegungen, sondern auch bei den Geschäften wieder in Richtung Normalzustand. Die sind vereinzelt wieder geöffnet, darunter solche im Gastronomiebereich sowie vereinzelt Einzelhandelsgeschäfte, heißt es vom Flughafen. Allerdings ist immer noch ein großer Teil der Mitarbeiter in Kurzarbeit, betroffen sind 7000 von 10 000 Angestellten. Der Flughafen hatte die ruhige Zeit genutzt, um erst die südliche und dann die nördliche Startbahn zu sanieren - seit dem 1. August sind nun beide Bahnen wieder in Betrieb.

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