Flüchtlingspolitik im Landkreis Erding:Auf verlorenem Posten

Flüchtlingen wird im Landkreis Erding viel öfter als irgendwo anders Arbeit und Ausbildung verwehrt. Landrat Bayerstorfer fährt den bayernweit härtesten Kurs - und blockiert die Herausgabe von Informationen

Von Florian Tempel, Erding

Alle wissen es, die Flüchtlinge, die ehrenamtlichen Helfer, die Behördenmitarbeiter und die Politiker: Asylbewerbern und Geduldeten wird im Landkreis Erding öfter als irgendwo anders Arbeit und Ausbildung verwehrt. Es geht dabei nicht um ein paar Prozentpunkte Unterschied, sondern um eine extreme Ungleichbehandlung. Die Verantwortung dafür trägt Landrat Martin Bayerstorfer (CSU), der seinem Ausländeramt den besonders restriktiven Kurs verpasst hat. Darüber hinaus versucht Bayerstorfer aber auch, eine Herausgabe von Daten, die diesen Extremkurs belegen, zu blockieren. Die Pressestelle im Landratsamt darf nichts dazu herausrücken. Der SZ liegen dennoch Zahlen aus Bayerstorfers Behörde vor. Und die machen deutlich, was Bayerstorfer unter Verschluss halten wollte: Offenbar wurden nur fünf Prozent der Anträge auf Arbeitserlaubnis in Erding genehmigt, während man 95 Prozent ablehnte. In den Nachbarlandkreisen ist es genau anders herum. Laut den Zahlen der Landratsämter München und Freising werden in den Nachbarlandkreisen die allermeisten Anträge genehmigt.

"Es ist eine bekannte Tatsache, dass das Landratsamt Erding extrem restriktiv vorgeht." Das hatte die Erdinger Amtsrichterin Michaela Wawerla den Ministern Winfried Bausback und Bernd Sibler (beide CSU) erklärt, als die Minister im Juli zu einem Besuch in der Berufsschule Erding waren, um mit jungen Flüchtlingen über das deutsche Rechtssystem zu sprechen. Die jungen Leute, vorwiegend aus Afghanistan, hatte jedoch nur ein Thema: warum sie keine Erlaubnis erhielten, eine Ausbildung zu machen, so wie es anderswo möglich sei.

Flüchtlingspolitik im Landkreis Erding: Es gibt es viele Initiativen, Flüchtlinge in Arbeit bringen. Im März organisierte etwa die IHK einen Besuch bei Bucher Hydraulics in Erding. Eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, bleibt indes für viele schwierig.

Es gibt es viele Initiativen, Flüchtlinge in Arbeit bringen. Im März organisierte etwa die IHK einen Besuch bei Bucher Hydraulics in Erding. Eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, bleibt indes für viele schwierig.

(Foto: Renate Schmidt)

Das Landratsamt Erding wies Wawerlas Aussage per Presseerklärung mit wenig aussagekräftigen Sätzen zurück: Man prüfe jeden einzelnen Antrag nach den Vorgaben einer "ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift", und wenn man sich "nicht an die Vorschriften halten würde", würde das zu "Ungleichbehandlung" führen. Verzichtet hatte das Landratsamt Erding darauf, Zahlen zu den Arbeits- oder Ausbildungserlaubnissen zu nennen, die man mit anderen Landkreisen hätte vergleichen können.

Auf eine entsprechende Anfrage der SZ reagierte das Landratsamt erst gar nicht. Nach Wochen hieß es dann, man zähle wegen des enormen Arbeitsaufwands die Genehmigungen und Ablehnungen nicht mehr. Vor einem Jahr hatte das Landratsamt dagegen noch von sich aus Zahlen zu den Arbeitserlaubnissen herausgegeben. Im März gab es auf Anfrage binnen zwei Tagen nochmals die aktualisierten Daten. Dass die Presse einen gesetzlichen Auskunftsanspruch habe, wies das Landratsamt Erding ebenfalls zurück. Unter anderem mit der Rechtfertigung, es gebe "keinerlei Verpflichtung staatlicher Behörden, Informationen zu sammeln, noch sie in irgendeiner Form zur Verfügung zu stellen". Es wäre eine "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, deren Sinnhaftigkeit wir in Zweifel stellen", wenn man die Genehmigung und Ablehnungen zählen würde.

220 257 Menschen

aus den acht wichtigsten Asylherkunftsländern - Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien - hatten nach der Statistik der Arbeitsagentur zum Stichtag 31. März in Deutschland eine sozialversicherungs- pflichtige Beschäftigung. Das waren 58 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Im Landkreis Erding war die Zunahme der Beschäftigten aus den genannten Ländern mit 18,6 Prozent sehr viel kleiner. Es war bayernweit die geringste Zuwachsrate.

Man nimmt es staunend zur Kenntnis: Das Landratsamt Erding will darüber entscheiden, was für die Öffentlichkeit von Interesse ist und ob die Veröffentlichung Sinn macht.

Die Landratsämter München und Freising hatten dagegen kein Problem damit, der SZ ihre Zahlen zu nennen.

Es stellte sich später heraus, dass auch das Landratsamt Erding sehr wohl entsprechende Zahlen parat hat. Sie finden sich in zwei Schreiben einer Münchner Anwaltskanzlei, die das Landratsamt in anderer Sache juristisch vertritt. In einem auf den 25. Juni datierten Schreiben steht, die Erdinger Ausländerbehörde habe in einem nicht genannten Zeitraum "letztlich 11 Anträgen stattgegeben, etwa 200 Anträge wurden abgelehnt". Das ist eine Ablehnungsquote von 95 Prozent. In einem Schreiben mit dem Datum 28. September liest man: "Die Überprüfung der seit Januar 2017 insgesamt 353 bearbeiteten Vorgänge hat ergeben, dass (...)". Im Weiteren geht es um Einzelnachweise von Deutschkenntnisse. Festzuhalten bleibt, dass Mitarbeiter des Landratsamts alle Anträge seit 2017 nur zur Klärung eines Details durchgesehen hatten.

Die Situation im Landkreis Erding ist seit langem beklagenswert. "Es macht einfach keinen Sinn, Menschen mitunter jahrelang ohne Beschäftigung in den Unterkünften herum sitzen zu lassen und hier ein Klima der Frustration, Depression und psychischer und physischer Verwahrlosung zu begünstigen", schrieben erst vor kurzem Heiko Altmann, Michaela Meister und Franz Leutner, die Sprecher der Flüchtlingshilfe Dorfen. Die Isenerin Bettina Riep, Vorsitzende von "Unser Veto", dem Landesverband ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer, versteht die Haltung des Erdinger Landrats ebenso wenig: "Ich verstehe einfach nicht, wie man so daneben liegen kann. Man kann doch, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist, den Menschen eine Arbeit ermöglichen, sie in die Sozialsysteme einzahlen lassen." Im Landkreis aber, dass weiß auch Margot Hoigt, die Vorsitzende der Aktionsgruppe Asyl Erding, geht es sogar so weit, dass Asylbewerbern und Geduldeten, die schon Arbeit hatten, ihre Jobs behördlich gestrichen wurden.

Die ehemalige Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, Mechthilde Wittmann, hat im September in Anzing bestätigt, dass der Erdinger Landrat bei den Arbeitsgenehmigungen den härtesten Kurs in ganz Bayern fahren lasse. Was sie nicht weiter schlimm fand. Nun ist Wittmann selbst ihren Job los. Sie verlor als Landtagskandidatin in München-Moosach gegen den Grünen Benjamin Adjei.

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