Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:"Dringende Bitte um Überprüfung"

Die Aktionsgruppe Asyl hat Landtagspräsidentin Barbara Stamm eine neue Petition übergeben. 662 Unterstützer fordern ein Ende der restriktiven Behördenpraxis bei den Arbeitserlaubnissen

Von Florian Tempel, Erding/München

Für die Aktionsgruppe Asyl (AGA) Erding ist es eine richtige Landtagswoche. Am Dienstagabend waren AGA-Vertreter auf Einladung von Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) im Maximilianeum. In der Reihe "Der Landtag im Gespräch" diskutierten Politiker und mehr als 300 Asylhelfer aus dem ganzen Freistaat über die bayerische Flüchtlingspolitik. AGA-Sprecherin Maria Brand und Susanna Nadler nutzten zu Beginn der Veranstaltung die Gunst der Stunde und übergaben Stamm eine von 662 Unterzeichnern unterstützte Petition - mit "der dringenden Bitte um Überprüfung und Beendigung" der restriktiven Behördenpraxis bei Arbeits- und Ausbildungsgenehmigungen für Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

Am morgigen Donnerstag werden die AGA-Vertreterinnen und Mitstreiter aus verschiedenen Helferkreises des Landkreises schon wieder im Landtag sein. Dann will der Sozialausschuss nach mehr als eineinhalb Jahren Bearbeitungszeit die im Juni 2016 eingereichte Petition zur Abschaffung der Flüchtlingsgeldkarte Kommunalpass letztmalig behandeln. In dieser Petition, die mehr als 3200 Menschen unterstützten, war die Bitte aller Asylhelferkreise aus dem Landkreis formuliert, die in vielerlei Hinsicht ungute Geldkarte Kommunalpass abzuschaffen. Seit Mai 2016 erhalten alle Flüchtlinge, die noch nicht anerkannt sind, die staatlichen finanziellen Leistungen - in etwa Hartz IV-Sätze - auf ein virtuelles Konto eingezahlt. Zum Einkaufen und Bezahlen sollten sie nach dem Willen von Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) ausschließlich die Geldkarte benutzen. Den Flüchtlinge im Landkreis Erding hatten somit zunächst kein Bargeld mehr zu Verfügung. Dieser unzumutbare Umstand wurde nach scharfen Protesten so abgemildert, dass zumindest ein Teilbetrag am Geldautomaten abhebbar wurde. Der Kommunalpass erwies und erweist sich jedoch bis heute als unpraktische und fehleranfällige Chipkarte. In der Petition wird gefordert, den Flüchtlingen die Sozialleistungen viel einfacher auf echte Bankkonten zu überweisen.

Zum anhaltenden Unmut über den Kommunalpass, den es ausschließlich im Landkreis Erding und sonst nirgends in Bayern gibt, ist in diesem Jahr ein weiteres Thema dazu gekommen. Seit Ende 2016 werden Arbeits- und Ausbildungserlaubnisse für Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch läuft, von der Ausländerbehörde am Landratsamt Erding sehr restriktiv behandelt. Im Landkreis Erding werden ganz erheblich weniger Anträge genehmigt als zum Beispiel im benachbarten und ebenfalls CSU-geführten Landkreis München. In Erding werden 80 Prozent der Anträge auf Arbeitserlaubnis abgelehnt. Im Landkreis München sind laut Auskunft des dortigen Landratsamtes von Januar bis Ende Oktober mehr als 90 Prozent der Anträge genehmigt worden. Das sind enorme Unterschiede. Ebenso eklatant ist die unterschiedliche Behördenpraxis bei der Genehmigung von Ausbildungsplätzen. In Erding waren bis Anfang Oktober von 26 Anträgen nur sieben positiv beschieden worden. Im Landkreis München wurden hingegen von 60 Anträge auf Ausbildung nur drei abgelehnt, was eine Genehmigungsquote von 95 Prozent ergibt.

Die offensichtliche Ungleichbehandlung von Flüchtlingen, je nachdem wo sie leben, ist nur ein Aspekt. In der Petition betont die AGA Erding vor allem die negative Wirkung der restriktiven Behördenpraxis auf die Betroffenen. In der Begründung der Petition heißt es: "Asylsuchende werden durch erzwungene Untätigkeit psychisch krank, zeigen immer häufiger Anzeichen von Depression oder Aggression, sind in Gefahr, aufgrund fehlender Tagesstruktur und Zukunftsperspektiven auch Opfer von Radikalisierung zu werden." Zudem kosteten die behördliche Arbeitsentzug- oder -verweigerung den Steuerzahler viel Geld, obwohl es einen breiten Konsens in der Bevölkerung gebe, dass alle Flüchtlinge arbeiten sollten.

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SZ vom 30.11.2017
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