Süddeutsche Zeitung

Flucht und Sucht:Ohne Zukunft

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Wenn Flüchtlingen die Perspektive fehlt, geraten sie in Gefahr, zu Suchtmitteln zu greifen. Therapien könnten in einigen Fällen vielleicht helfen, ein Allheilmittel sind sie aber nicht

Von Florian Kistler, Erding

Mangelnde Perspektiven, traumatische Erfahrungen und Langeweile: Für viele Flüchtlinge gehört das zum Alltag, einige von ihnen greifen dann zu Suchtmitteln. Probleme mit illegalen Drogen gebe es durchaus, das sagt eine Flüchtlingshelferin aus dem Landkreis Erding, die anonym bleiben will. "Ich arbeite seit vier Jahren in diesem Bereich und habe selbst miterlebt, dass Flüchtlinge gekifft und gekokst haben."

Das Thema ist auch bei den Behörden angekommen. Michael Pflügl informierte auf einer Veranstaltung im Landratsamt Erding unter dem Motto "Von der Flucht in die Sucht" über verschiedene Suchtmittel und Gründe für eine Abhängigkeit. Pflügl ist Leiter und Sozialtherapeut der Intensiv Betreuten Stationären Soziotherapie (IBS) Wartenberg. Dabei stellte er heraus, dass mehrere Faktoren Flüchtlinge in eine Sucht treiben könnten. Zum einen versuchten sie, mit Rauschmitteln traumatische Erinnerungen wie Vergewaltigungen und Gewalt auf ihrer Flucht zu verdrängen. Pflügl sagte, dass solche Erinnerungen wiederkämen, wenn wieder etwas Ruhe in den Alltag der Flüchtlinge einkehre. "Zum anderen ist die Situation für die Geflüchteten aber sehr unbefriedigend." Sie könnten nicht arbeiten noch sich sicher sein, dass sie in Deutschland bleiben dürften. Um das zu kompensieren, griffen einige zu Suchtmitteln. Thomas Pölsterl, Leiter der psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstelle Prop in Erding, sieht das ähnlich. "Die Flüchtlinge sind enttäuscht und haben oft keine Perspektive. Da ist der Griff zu Suchtmitteln nicht weit." Der Prop-Leiter sagte aber auch, dass in seiner Beratungsstelle nur wenige Patienten mit Fluchterfahrungen behandelt werden. Im vergangenen Jahr seien es lediglich zehn Personen gewesen, er selbst habe zwei Patienten kennengelernt. "Einer hatte durch Cannabiskonsum seinen Führerschein verloren, ein anderer hatte Probleme mit Glücksspielen." Dabei habe es sich aber nicht um Sucht gehandelt, sondern um missbräuchlichen Konsum, der aufgrund von Langweile und Ungewissheit entstanden sei. Pölsterl betont, dass der Missbrauch von Suchtmitteln nicht zwangsläufig zu einer Sucht führen müsse.

Josef Vogel, Leiter des Kommissariats IV bei der Kripo Erding, teilt über die Pressestelle des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord mit, dass seit 2015 in den Flüchtlingsunterkünften "wiederkehrend Handel mit Marihuana" betrieben werde. Das betreffe aber nicht speziell den Landkreis Erding, das sei auch in anderen Landkreisen zu beobachten. Laut Vogel gibt es auch immer wieder einmal Einsätze und Kontrollen in den Unterkünften, Verstöße werden angezeigt. Wie viele das sind, ist nicht auszumachen. Thomas Steinkraus-Koch, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Landshut, sagt, es gebe keine Statistiken, die nach der ethnischen Herkunft der Täter unterscheiden. Für eine solche Aufschlüsselung gäbe es "schlichtweg keine rechtliche Grundlage".

Wie Pölsterl kritisiert die Flüchtlingshelferin die mangelnden Perspektiven für Flüchtlingen. Sie gibt der Politik eine Mitschuld. "Die ganzen Asylverfahren dauern sehr lange. In der Zeit haben die Geflüchteten keine Chance auf Arbeit und können keine Deutschkurse absolvieren." Sie hält die Drogenproblematik bei Flüchtlingen für ein Tabuthema, das totgeschwiegen und unterschätzt werde. "Da wurden in den vergangenen Jahren zu wenig gemacht", sagt sie. Und sie fordert, dass die Helfer mehr zusammenarbeiten und einheitliche Regeln aufgestellt werden, wie mit dieser Problematik umzugehen ist. "Es müsste auch mehr Prävention geleistet werden. Man muss mit den Flüchtlingen über das Thema sprechen."

Thomas Pölsterl stimmt dem nur teilweise zu. Für ihn steht an vorderster Stelle, dass Perspektiven geschaffen werden. "Natürlich ist Prävention und Traumabewältigung auch wichtig, aber die Flüchtlinge brauchen vor allem einen konkreten Zukunftsplan." Gibt es diesen nicht, fehle der Grund, warum sie auf Rauschmittel verzichten sollten. Lediglich bei einem akuten Trauma, findet er, müsse eine Behandlung an erster Stelle stehen.

Michael Pflügl sagte auf der Veranstaltung im Landratsamt, dass seine Erfahrungen mit der Traumabewältigung sehr negativ seien. "Die Therapie ist sprachlastig und muss in diesen Fällen auf Englisch gehalten werden. Emotionen können nicht wirklich gut über eine fremde Sprache vermittelt werden." Zudem hätten Flüchtlinge oft Angst vor Ärzten und öffneten sich gegenüber Psychotherapeuten nicht. "Für eine erfolgreiche Therapie bräuchte es spezielle Einrichtungen, die es schlichtweg nicht gibt und die auch nicht geplant sind", so Pflügl.

Er sprach noch einen weiteren Aspekt an: Der Drogenkonsum müsse vor den gesellschaftlichen Gegebenheiten der Herkunftsländer gesehen werden. Er sprach von "blühenden Opiumlandschaften in Afghanistan und Myanmar", wie auf einer der Vortragsfolien im Landratsamt zu lesen war. "In diesen Ländern ist es oft akzeptierter, Opium oder Cannabis zu konsumieren, als Alkohol zu trinken", so Pflügl. "Die greifen zu solchen Sachen anstatt zum Weißbier."

Margot Hoigt, Vorsitzende der Aktionsgruppe Asyl (AGA) Erding sagt, es sei nicht einfach zu erkennen, ob Flüchtlinge Drogen konsumieren oder Alkohol in übermäßigen Mengen zu sich nehmen. "Es ist schwierig, an die Menschen heranzukommen", so Hoigt. Oft könne erst geholfen werden, "wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist" und eine Sucht auftritt. Dann aber gäbe es spezielle Hilfsangebote. Hoigt sagt, sie hätte noch nie beobachtet, dass Flüchtlinge illegale Drogen konsumierten. Sie könne es aber auch nicht ausschließen. Die AGA-Vorsitzende ist der Meinung, dass von einem Trauma die größte Gefahr ausgehe. Man müsse sich aber auch im Klaren sein, dass nicht jeder zwangsläufig in eine Sucht verfällt, sondern dass auch andere Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle spielen.

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SZ vom 09.03.2019
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