Die Rote Liste der Süßwasserfische in Deutschland stuft mehr als die Hälfte der einheimischen Arten als „gefährdet“ und manche bereits als „ausgestorben“ ein. Bei der letzten Aktualisierung 2024 wurde sogar die Bachforelle in Bayern und Baden-Württemberg als „gefährdet“ hochgestuft. Zu den Ursachen gehören der Klimawandel und der Verlust von Lebensraum: Es gibt zu viele Wehre und Dämme, die Fischwanderungen zu den Laichplätzen unterbrechen. Im Landkreis Erding will das Wasserwirtschaftsamt München nun den Fluss Isen auf 30 Kilometern Länge wieder durchgängig machen, um diese Laichwanderungen erneut zu ermöglichen. Das Vorhaben gilt als einzigartiges Pilotprojekt in Bayern.
In den beiden Flussnamen Isen und Isar steckt ein ursprünglich keltisches Wort: Isana, was rasch fließend bedeutet. Doch die Isar wurde abschnittsweise mit Kanälen und Wasserkraftwerken gezähmt, die Isen mit Mühlen, Wehren und Sohlschwellen.
Nun sollen 30 Flusskilometer der Isen wieder aus diesem Korsett befreit werden, im Abschnitt zwischen dem Markt Isen und der Landkreisgrenze Mühldorf. Dieser gesamte Abschnitt soll für die Laichwanderungen von Fischen wieder durchgängig gestaltet werden. Das federführende Wasserwirtschaftsamt München bezeichnet es als „einzigartiges Pilotprojekt in Bayern“.
30 Wehre müssen dafür wieder passierbar gemacht werden, 21 Sohlschwellen und 15 Wasserkraftanlagen, damit die Fischfauna wieder in einen guten Zustand versetzt wird. „FreiflIsen“ lautet der Projektname, ein modernes Isana. Mitwirkende sind das Landesamt für Umwelt und sogar der World Wildlife Fund (WWF), der finanzielle Anreize in Aussicht stellt.
Die alten Mühlenrechte bestehen seit mehr als 500 Jahren
Die Isen zählt zu den wenigen oberbayerischen Flüssen, die nur abschnittsweise begradigt wurden und über weite Strecken mäandern dürfen. Aber aus Sicht der Fische ist es ein zerstückelter Fluss. Denn die Isen hat ein ideales Gefälle, um ihre Wasserkraft zu nutzen. Bereits vor mehr als 500 Jahren wurden den Anrainern Mühlenrechte verliehen, die für den Betrieb von Mehlmühlen, Sägewerken und Lohmühlen für Gerbereien genutzt wurden. Und sie gelten bis heute.
Aber nicht alle Wasserkraftbetreiber sind noch zufrieden mit ihren Mühlenrechten. Das wird am Beispiel Dorfen deutlich: In der Stadt gibt es Überreste der Erbermühle und die Löffl&Holznermühle. Die Erbermühle, ein ehemaliges Sägewerk, ist 2018 abgebrannt. In der Löffl&Holznermühle läuft noch eine Wasserkraftturbine zur Stromerzeugung. 7,5 Cent gibt es für die Kilowattstunde, im Jahr sind es durchschnittlich 1500 Euro. Dafür muss der Betreiber aber regelmäßig den Rechen von Ästen und anderem Treibgut reinigen, umgerechnet auf den Stundenlohn ein unrentables Geschäft.
Hinzu kommt eine drohende Investition von mehr als einer halben Million Euro, wenn Inhaber ihre Mühlenrechte nicht aufgeben. Denn die beiden Mühlen werden von einem Stichkanal gespeist, der Mühlbach heißt. Das Wasser bezieht der Bach von der Isen, die im Stadtteil Niederham von einem Wehr durchschnitten wird und dadurch Wasser in den Mühlbach umleitet. Restwasser gelangt jedoch weiterhin in den ursprünglichen Isenlauf, weil das alte Wehr marode ist und ständig über- und unterspült wird. Wenn die Inhaber der Mühlenrechte sie nicht aufgeben, müsste ein Neubau des Wehres auf ihre Kosten erfolgen und dann wäre man bei der genannten Summe.

Die Alternative wäre ein ersatzloser Abriss des Niederhamer Wehrs, alles Wasser würde wieder ins alte Bachbett fließen, Nasen und Barben könnten ein Stück weiter wandern. Allerdings sind ein paar Anwohner des Mühlbachs dagegen, sie fürchten Auswirkungen auf den Grundwasserpegel und damit Setzungen und Risse ihrer Häuser. Das Wasserwirtschaftsamt möchte daher den Pegel anbohren und ihn im Auge behalten.
„Die Initiative kam von den Mühlenbetreibern“, sagt Stefan Homilius vom Wasserwirtschaftsamt München
„Die Initiative kam von den Mühlenbetreibern, nicht von uns“, betont Stefan Homilius, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes München. Allerdings rannte der Vorschlag aus Dorfen beim Amt offene Türen ein. Denn die EU-Wasserrahmenrichtlinie sieht genau das vor: die Fließgewässer wieder durchgängig zu machen. Doch geschieht in diese Richtung bislang recht wenig. Immer wieder mussten die Fristen für die Umsetzung verlängert werden, weil die Ziele in weiter Ferne blieben.
Aber vielleicht bieten solche alten Mühlenrechte einen Ansatzpunkt, vielleicht sind noch andere Mühlen und Wehre an der Isen marode und die Betreiber ihrer Rechte längst überdrüssig. Das Wasserwirtschaftsamt begann zu recherchieren und dabei kristallisierte sich die Vision eines Pilotprojekts heraus. Projektleiterin Katharina Wilhelm sprach mit dem Landratsamt, den Bürgermeistern, Fischereivereinen und Anwohnern. Die 21 Sohlschwellen aus großen Steinen könnte das Wasserwirtschaftsamt ohnehin in Eigenverantwortung entfernen. Auch viele alte Wehre stehen auf weiter Flur, wo ein Abriss niemanden stören würde. Und bei den 15 Wasserkraftanlagen will man in Erfahrung bringen, welche Betreiber sich in einer ähnlichen Situation wie in Dorfen befinden.
Die Fische sollen stromauf bis zum Markt Isen ziehen können
„Und dann ist auch noch der World Wildlife Fund aufgesprungen“, sagt Amtsleiter Homilius der SZ. Die Umweltschutzorganisation bot an, für jede Wasserkraftanlage, die wieder durchgängig gemacht wird, einen Zuschuss bis zu einer Höhe von 25 000 Euro zu zahlen. Damit könnte man auch jenen Betreibern, die ihre Anlagen modernisiert haben und nicht aufhören wollen, ein Angebot machen - mit einer Fischtreppe die Durchgängigkeit herzustellen. Allerdings steht die Förderung des WWF nur bis Mitte 2026 zur Verfügung, dann werden diese Spenden anderweitig verwendet.
Die Fische sollen stromauf bis zum Markt Isen ziehen können, der Zugang zum nahen Quellgebiet bei Maithenbeth bleibt jedoch versperrt. Denn die Fische in der Isen befinden sich in Begleitung des invasiven nordamerikanischen Signalkrebses, der die Krebspest übertragen kann. Und im Quellgebiet gibt es noch ein Vorkommen des einheimischen Steinkrebses, das vor ihrer Ankunft geschützt werden soll. Für diese invasiven Krebsarten gibt es spezielle Krebssperren mit Stahlblechen und Rohren, die sie nicht erklimmen können. Ein Krebsexperte des Landesamtes für Umwelt ist bereits mit der Planung dieses Schutzes befasst.
In der vergangenen Woche hat das Wasserwirtschaftsamt alle Betreiber der infrage kommenden Triebwerke zu einem Treffen nach Lengdorf eingeladen, wo das Projekt vorgestellt wurde. Das Treffen erfolgte zwar unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ein Teilnehmer sagte aber anschließend der SZ, das Projekt sei recht positiv aufgenommen worden.