Fast ein Flughafen:Spuk überm Wald

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In 50 Jahre alten Skizzen lag das Haus von Max Schmidt aus Glonn mitten in der Einflugschneise. Wäre der Münchner Flughafen wie geplant im Hofoldinger Forst gebaut worden, hätte sich auch im Landkreis Ebersberg das Leben drastisch verändert

Von Korbinian Eisenberger, Glonn

In diesen Wochen will Max Schmidt den Freisitz aufbauen, bald beginnt wieder die Zeit, in der er mit seiner Frau im Schatten des Apfelbaums sitzt. Die Knospen haben gerade erst zu blühen begonnen, über dem Geäst blitzt die Sonne durch weiße Wölkchen, ab und zu schwirrt ein Vogel vorbei. Nicht mehr lange, dann wird der Baum 50 Jahre alt sein. Die Schmidts haben ihn gepflanzt, als die Entscheidung gefallen war, dass alles so bleibt wie es ist. Dass man in Glonn weiterhin Vögel zwitschern hört und nicht das Donnergrollen von Flugzeugtriebwerken.

In den Sechzigerjahren war die Idylle in Gefahr, noch bevor die erste Knospe an Schmidts Baum blühte - und mit ihm die Heimat einer ganzen Region. Während Schmidt in Glonn seine Familie aufbaute, geriet der Hofoldinger Forst als möglicher Standort für einen Großflughafen ins Visier des bayerischen Wirtschaftsministeriums. Weil der Riemer Flughafen nicht mehr ausreichte, sollte eine Fläche von 2300 Hektar kahl geschlagen werden. Für den Wald mit Bayerns größtem natürlichen Trinkwasserspeicher hätte das einen erheblichen Einschnitt bedeutet. In den umliegenden Ortschaften wäre nichts mehr so gewesen wie vorher.

Was wie eine Schauergeschichte aus längst vergangenen Zeiten klingen mag, war vor 50 Jahren für viele Einheimische ein Schreckensszenario. Das Haus der Familie Schmidt, das zeigen Skizzen aus dieser Zeit, hätte mitten in der Einflugschneise gelegen. "Die Leute hatten vor allem Angst vor dem Lärm", sagt Max Schmidt, er ist einer der wenigen Zeitzeugen, die damals wie heute in Glonn wohnen. An diesem Nachmittag sitzt er vor seinem Kachelofen, kariertes Hemd, Blümchenpolster auf der Eckbank, die Fenster sind gekippt, aus dem Garten nichts als Vogelgezwitscher. "Es hieß, dass Erding wegen dem Nebel als möglicher Standort ausscheidet", sagt der 76-Jährige. "Und es war klar, dass man den Riemer Flughafen nicht mehr erweitern kann".

Schmidt arbeitete als Kassenverwalter bei der Gemeinde. Der damals 26-Jährige wollte sich in Glonn etwas aufbauen, zusammen mit seiner Frau Irmi. Und dann das. "Es war überall das große Thema", sagt Schmidt. Am Stammtisch, im Dorfladen, auf dem Sportplatz - der Flughafen geisterte durch die Köpfe und die Schlagzeilen der Zeitungen. Vier Millionen Bäume sollten gefällt, ganze Ortschaften eingeebnet werden und für immer unter Start- und Landepisten verschwinden.

Am Donnerstag eröffnete eine neue Ausstellung, sie befasst sich mit dem Spuk, der damals im Oberland und in den Landkreisen Ebersberg, München und Aibling umging. Im Rathaus der Gemeinde Sauerlach (Landkreis München) ist dort für vier Wochen Material von damals ausgestellt. Auf Plakaten wird die bewegte Geschichte des Widerstands nacherzählt, die 1960 mit der ersten Nennung des Hofoldinger Forstes als Ersatz für Riem begann und am 5. August 1969 mit der Niederschlagung aller Hofolding-Pläne endete.

Bis zu dieser Entscheidung ging im Osten von München die Furcht um, jahrelang schwebte der Verlust der Heimat wie ein Damoklesschwert über der Region. 300 000 Menschen bangten um ihre Häuser, Höfe und Felder. "Die Leute waren natürlich alle dagegen", sagt Schmidt. 1967 arbeitete der damals 26-Jährige im Glonner Rathaus im Nebenzimmer des ehemaligen Bürgermeisters Anton Decker. Weil die Tür zum Büro meist offen stand, bekam Schmidt vieles mit von dem, was den Gemeindechef umtrieb. "Es haben fast täglich wütende Bürger im Rathaus angerufen, er musste viele solche Gespräche führen", sagt Schmidt. Und wie es scheint, hatten Deckers Worte eine beruhigende Wirkung. Demonstrationen, wie vor einigen Wochen in Forstinning, wo eine Umgehungsstraße durch den Ebersberger Forst zur Debatte steht, habe es nicht gegeben, sagt Schmidt: "Auf die Straße ist in Glonn niemand gegangen."

Die Bevölkerung wehrte sich gegen die Flughafen-Pläne im Hofoldinger Forst - notfalls mit geschultertem Gewehr. (Foto: Repro: Claus Schunk)

Die Gegenbewegung ging vor allem vom Landkreis München aus. Am 27. Mai 1966 wurde im Bräustüberl in Aying die "Schutzgemeinschaft Hofoldinger Forst - Bayerisches Oberland" gegründet, 18 betroffene Gemeinden und viele Einheimische schlossen sich zusammen, um die Pläne der Staatsregierung zu verhindern, darunter auch die Gemeinde Glonn. Im dortigen Rathaus verteilte die Schutzgemeinschaft vor 50 Jahren Flugblätter, Max Schmidt erinnert sich noch. Was daraufstand? Genau weiß er das nicht mehr, nur "dass die Botschaft ziemlich eindeutig war".

Was wäre aus dem Ort Glonn und seinen Bewohnern geworden, wenn der Großflughafen gebaut worden wäre? Antworten sind 50 Kilometer weiter nördlich zu finden, im Erdinger Moos, wo schließlich der Franz-Josef-Strauß-Flughafen gebaut und vor 25 Jahren, am 11. Mai 1992, eröffnet wurde. Was Glonn erspart blieb, bekamen die Einheimischen dort zu spüren. Die Ortschaft Franzheim etwa, wo einst um die 70 Anwesen standen, wurde dem Erdboden gleich gemacht. Die Franzheimer mussten umsiedeln, manche zogen an den Chiemsee, andere nach Niederbayern. Fünf Familien ließen sich in nächster Nähe nieder, in einer Siedlung, die im Volksmund heute noch "Neu-Franzheim" genannt wird. Glonn ist zu einem beliebten Luftkurort geworden, die Gemeinde über die Jahrzehnte stark gewachsen. Doch wo einst Franzheim stand, steigen mittlerweile jedes Jahr 42 Millionen Menschen in Flugzeuge, pro Stunde verkehren dort 55 Maschinen.

Was wäre wenn? Antworten gibt auch die Sauerlacher Ausstellung. Und zwar in Form einer Landkarte, auf der die Grundrisse eines 2300 Hektar großen Flughafens abgebildet sind. Dem Entwurf zufolge wären ganze Ortschaften entweder unter Beton verschwunden oder - wie im Fall Glonn - kaum mehr lebenswert gewesen, weil der Ort mitten in der Einflugschneise gelegen hätte. Ähnlich stark betroffen wären wohl die umliegenden Gemeinden gewesen: Bruck, Baiern, Moosach, Oberpframmern und Egmating.

Und dann kam doch alles anders. Auch weil der Eingriff in Flora und Fauna im Hofoldinger Forst enorm gewesen wäre. Unter dem damaligen Ministerpräsidenten Alfons Goppel beschloss der bayerische Ministerrat am 5. August 1969, die Planung zum Bau des Flughafens im Erdinger Moos aufzunehmen, dort wo er heute steht. Die Franzheimer mussten sich eine neue Bleibe suchen, und in einem Garten in Glonn sprossen die ersten Knospen.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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