Fällaktion im Ebersberger Forst:Das Dorf und der Riese

Die Eicherloher sind dafür bekannt, die höchsten Maibäume zu haben. 2005 und 2010 schafften sie es sogar ins Guinnessbuch der Rekorde. Dieses Jahr ist die Größe für sie aber nicht das Entscheidende

Von Simon Groß, Ebersberg

Die Handys sind gezückt und auf den Baum gerichtet. Gut 20 Eicherloher haben sich an diesem Samstagmorgen im Ebersberger Forst versammelt. In sicherer Entfernung stehen sie im Halbkreis und schauen gebannt auf die 45 Meter hohe Douglasie. Die sonst so gesprächigen Eicherloher, sie sind mucksmäuschenstill, geben keinen Laut von sich. Sie wollen nichts verpassen vom entscheidenden Moment: Wenn ihr 14. Maibaum gefällt wird.

Nur alle fünf Jahre bekommen sie einen neuen Baum, die Anspannung ist entsprechend hoch. Fällt der Baum nicht in die vorbestimmte Richtung, könnte er andere Bäume mitreißen, würde zu einer unkontrollierbaren Gefahr werden. Außerdem könnte er zerbrechen, wenn er das Fallbett verfehlt - ein eigens aufgetürmter Haufen aus Schnittresten der so positioniert ist, dass er die Baumspitze abfedern soll, wenn sie zu Boden geht. Einfach zusammenkleben lässt sich so ein Baum danach freilich nicht mehr. Es wäre schade um den imposanten Riesen.

Neben dem Baum stehen die zwei Männer, die für die Fällung des Baums verantwortlich sind. Einer davon ist Martin Richter. Der 42-Jährige, den alle "Charlie" nennen, ist so etwas wie der Baumbeauftragte des Eicherloher Maibaumausschusses - einem Zusammenschluss aus fünf Vereinen, die in dem Finsinger Ortsteil im Südwesten des Erdinger Landkreises beheimatet sind. Dazu gehören die Feuerwehr, der Pfeifenclub, der Veteranen- und Reservistenverein, der Schützenverein Jennerwein und der Trachtenverein Goldachtaler. Richter ist dieses Jahr zum ersten Mal für den Maibaum verantwortlich, war aber schon dreimal bei einer Fällung dabei.

Die Eicherloher, die darauf warten, dass der Baum zu Boden geht, gehören mindestens einem, oft aber mehreren Vereinen an. Und sie sind nicht nur gekommen, um zuzuschauen. Vor allem die Jüngeren werden später dabei helfen, den Baum von seinen Ästen zu befreien und zu schepsen, also die Rinde abzuhobeln. Richter, der als Landschaftspfleger arbeitet, hat das Exemplar schon vor mehr als einem Jahr ausgesucht, zusammen mit Hans Pfürmann, dem zweiten Mann am Baum. Pfürmann arbeitet für die Bayerischen Staatsforsten und ist auch an diesem Tag als Holzfäller im Einsatz. Die beiden haben sich im Urlaub kennengelernt und Pfürmann hat den Kontakt zum zuständigen Förster hergestellt. Mit seiner Zustimmung dürfen sie den Baum nun fällen. Wichtig ist, dass er hoch, gerade gewachsen und gesund ist. Die ausgewählte Douglasie hat einen Umfang von 3,10 Meter, besitzt einen Durchmesser von 1,10 Metern, hat ein geschätztes Gewicht zwischen sieben und neun Tonnen und ist mehr als 120 Jahre alt. Das lässt sich später anhand der Jahresringe an der Schnittfläche abzählen.

Als Maibäume eignen sich Douglasien besonders gut, weil sie eine hohe Dichte haben, besonders stabil und haltbar sind. Zuerst hatten Richter und Pfürmann einen anderen Baum im Blick. Aber ein früherer Förster, dem der Baum am Herzen lag, hatte sich dagegen ausgesprochen und so fiel die Wahl auf das jetzige Exemplar. "Wir achten auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Nutzung und Naturschutz", sagt Heinz Utschig von den Bayerischen Staatsforsten.

Früher haben die Eicherloher ihre Maibäume zum Teil von weit her geholt, sogar aus dem Spessart bei Aschaffenburg, weil dort die höchsten Bäume standen. Das hat ihnen 2005 (50,35 Meter) und 2010 (57 Meter) zwei Einträge im Guinnessbuch der Rekorde beschert, war aber auch ein großer Aufwand. Der Transport, für den eine Speditionsfirma, die normalerweise Windräder transportiert, beauftragt werden musste, kostete mehrere tausend Euro - für Martin Richter eine Form von "Geldvernichtung". Außerdem konnten nur eine Handvoll Eicherloher mitfahren und die Stimmung war nicht so gut. "Dieses Mal sind wir fast 50 Leute, das ist doch viel schöner", sagt Richter. Jetzt organisieren sie alles selbst, bringen Geräte, Traktor und Gabelheber, um den Baum anschließend aus dem Waldstück zu ziehen - genauso wie Zelte, Bänke und Verpflegung.

Und dann wird es ernst. Holzfäller Pfürmann sägt eine Kerbe heraus, in der Richtung, in die der Baum fallen soll. Von der anderen Seite schneidet er nur soweit in das Holz hinein, dass eine Bruchkante stehen bleibt, die als Scharniergelenk dient, wenn der Baum kippt. Richter treibt nun einen Keil von hinten in den Fallschnitt. Mehr als 50 Schläge braucht er, dann beginnt sich der Riese zu neigen und fällt schließlich in die gewünschte Richtung. Ein dumpfer Schlag, dann geht ein Raunen durch die Gruppe, schließlich Applaus für die beiden Holzfäller. Bei der Begutachtung des Baums stellen sie fest, dass die Spitze abgebrochen ist, das Fallbett war zu kurz. Der Maibaum hat statt der 45 jetzt noch 39 Meter.

Der Stimmung tut das offenbar keinen Abbruch. Die Eicherloher scherzen, sie könnten die Spitze wieder dran schrauben oder als Teil des zukünftigen Maibaums verkaufen. Nach zwei Weltrekorden kommt es ihnen offenbar nicht mehr auf die Größe ihres Maibaums an.

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