Fachkräftemangel:"Sehenden Auges ins Verderben"

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Caritas Freising stößt bei Betreuung Pflegebedürftiger an ihre Grenzen

Von Gudrun Regelein, Freising

Bereits jetzt ist in Deutschland etwa ein Viertel der Bevölkerung 60 Jahre oder älter, Tendenz steigend. Damit nimmt auch die Zahl der pflegebedürftigen Menschen zu - auch im stetig wachsenden Landkreis Freising. Laut einer Pressemitteilung der Krankenkasse IKK classic waren Ende 2015 bereits mehr als 2900 Landkreisbürger pflegebedürftig. Bis zum Jahr 2030 werde diese Zahl - so die Prognosen - nochmals um etwa 60 Prozent anwachsen.

"Wir rennen sehenden Auges ins Verderben", sagt Carolin Dümer, Kreisgeschäftsführerin der Caritas Freising. Der demografische Wandel beeinflusse bereits jetzt die Arbeit ihrer Organisation in Freising immer massiver, berichtet sie. "Der Bereich Leben im Alter ist immens am Wachsen." Das mache sich beispielsweise beim Bedarf an Hilfeleistungen bemerkbar - sei es bei den Seniorengruppen, dem Palliativbereich oder in der Pflege. Die Nachfrage sei groß, die Caritas habe auch die entsprechenden Angebote, etwa für pflegende Angehörige oder die Demenzgruppen, ausgebaut. Aber dafür bräuchte man dringend neue Räumlichkeiten: "Eigentlich wäre ein Alten-Service-Zentrum als niedrigschwellige Anlaufstation, in der die Senioren und ihre Angehörigen alle Informationen gebündelt erhalten, notwendig", sagt die Caritas-Kreisgeschäftsführerin.

Aber nicht nur die Zahl der Senioren, die Hilfe oder Pflege benötigen, steige an. Der demografische Wandel mache sich bei dem Wohlfahrtsverband auch durch einen Fachkräftemangel - bedingt durch fehlenden Nachwuchs in den sozialen Berufen - bemerkbar. Immer weniger junge Menschen seien bereit, diese zu erlernen oder auszuüben. "Falls sich die Prognosen erfüllen, wäre in naher Zukunft die Pflege der vielen hochbetagten Menschen im Landkreis nicht mehr zu leisten", warnt Dümer. Im seniorenpolitischen Gesamtkonzept des Landkreises sei der Bedarf erkannt worden: Das Konzept prognostizierte bereits 2012 einen sprunghaften Anstieg pflegebedürftiger Menschen bis zum Jahr 2030. Rita Schwaiger, die Vorsitzende des Kreisseniorenbeirats, kennt natürlich all diese Zahlen. "Aber schon heute ist die Situation in der Pflege sehr angespannt. Es mangelt bereits jetzt an Kräften", sagt auch sie. Ein ganz wichtiger Schritt für Schwaiger wäre, den Beruf der Pflegekräfte attraktiver zu gestalten. "Die Arbeitszeiten, die Bezahlung und das Ansehen müssten verbessert werden", fordert sie. Und ganz wichtig: "Die Ausbildung müsste vom Staat finanziert werden."

Für viele alte Menschen sei es der große Wunsch, bis zum Lebensende zu Hause bleiben zu können - dort, wo sie verwurzelt sind, berichtet Regina Simnacher, die Leiterin der Sozialstation der Caritas Freising. Aber schon jetzt könne der ambulante Pflegedienst der Caritas nicht alle Anfragen erfüllen. "Wir haben regelmäßig Personalmangel", schildert Simnacher. Die Suche nach Pflegekräften entwickele sich zu einer immer größeren Herausforderung. Im vergangenen Jahr sei es gerade noch gelungen, den Klientenstamm - etwa 100 Patienten - zu versorgen. Im hauswirtschaftlichen Dienst, der eine stundenweise Unterstützung bietet, dagegen gebe es bereits eine Warteliste. "Der Bedarf und die personellen Ressourcen klaffen zunehmend auseinander", sagt Simnacher. Sie habe zwar gerade - nach einjährigen Verhandlungen - eine Vollzeitkraft aus Bosnien einstellen können, das sei ein kleiner Lichtblick, aber: "Wenn sich im Bereich der Pflege nicht endlich etwas ändert und auch von Seiten der Politik nicht begriffen wird, dass sich hier grundsätzlich etwas verbessern muss, dann werden wir die Situation nicht mehr lange handeln können." Schon jetzt könnten nicht mehr alle alte Menschen so - wie eigentlich notwendig - versorgt werden. "Das wird in Zukunft - bei immer mehr alten Menschen und immer weniger Pflegekräften - noch viel schlimmer werden", sagt Simnacher.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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