Süddeutsche Zeitung

Europaweite Ausschreibungen:Viel Aufwand für wenig Kostenvorteile

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Die öffentliche Hand muss Aufträge ab einem gewissen Volumen europaweit ausschreiben. Kommunen und Firmen kritisieren die immense Bürokratie. Familienbetriebe sehen kaum Chancen im Bieterverfahren

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Die Idee hinter europaweiten Ausschreibungen klingt gut: das Vergabeverfahren soll allen Unternehmen einen gleichen Zugang zu Aufträgen der öffentlichen Hand bieten - und das zu Aufträgen aus dem In- und Ausland, von denen interessierte Firmen ohne eine Ausschreibung mit hoher Wahrscheinlichkeit sonst nichts erfahren würden. Eine größere Verbreitung soll mehr Bewerber garantieren und die Chance steigern, wirtschaftlichere Angebote zu bekommen. Das Verfahren dazu soll zudem eine einheitliche, transparente Auftragsvergabe sicherzustellen und Vergaben aus "sachfremden Gründen" vorbeugen.

Soweit zur Theorie. Das EU-weite Ausschreibungsverfahren hat aber auch andere Seiten. Zum Beispiel, dass in dem Verfahren alle Bieter gleich behandelt werden müssen - egal ob sie aus Spanien, Polen oder Deutschland kommen. Und da beginnt für Gabriele Wildgruber vom Familienbetrieb Wildgruber Heizung und Sanitär schon die Crux, da zwar die Bieter gleich behandelt werden müssen, diese aber kaum vergleichbare Startbedingungen haben: "Man denke nur an die unterschiedlichen Lohnniveaus oder Mehrwertsteuersätze in den Ländern", sagt Wildgruber, die auch im Vorstand des Landesverbands der Unternehmerfrauen im Handwerk Bayern sitzt.

Rund 12,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts machen Aufträge durch die öffentliche Hand aus - das entspricht einem Wert von etwa 350 Milliarden Euro pro Jahr. Damit sind Bund, Länder, Kommunen und öffentliche Institutionen die mit Abstand größten Auftraggeber hierzulande - und nur für sie besteht die EU-weite Ausschreibungspflicht. Seit Januar 2018 gelten dafür folgende Schwellenwerte, die festlegen, wann ein Auftrag überhaupt EU-weit öffentlich ausgeschrieben werden muss: bei Bauaufträgen über 5,548 Millionen Euro und bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen von mehr als 221 000 Euro.

Auch kleine und mittelständische Firmen würden gerne davon profitieren - doch wollen heißt oft nicht können, denn die Auftraggeber stellen oft hohe Anforderungen an die Bieter. Ein klitzekleiner Fehler - und das Unternehmen ist draußen. Selbst eine Kalkulation mit äußerst spitzer Feder ist kein Garant, den begehrten Zuschlag zu erhalten; häufig scheitern die Firmen an Formalitäten. Das ist umso schmerzlicher, da Ausschreibungen viel Zeit, Geld und personelle Ressourcen kosten.

"Die Idee mag gut gewesen sein, aber die Umsetzung, die Bürokratie, die erzeugt wird, ist für kleinere Betriebe nicht zu stemmen", sagt Wildgruber. Und dabei gibt sie nicht alleine dem EU-Parlament die Schuld: "Daran sind wir in Deutschland oft selber schuld, da wir in der Gesetzesumsetzung oft die Musterknaben sein wollen."

Seit Oktober 2018 ist die Vergabe auf elektronischem Weg das alleinige Verfahren - zumindest bei großen Auftragssummen. "Es handelt sich um einen schwierigen Markt", sagt Joachim Burk. "Wer die Spielregeln bei öffentlichen Ausschreibungen nicht kennt, hat keine Chance", sagt der Experte bei der IHK München und Geschäftsführer des Auftragsberatungszentrum Bayern (ABZ).

EU-weite Ausschreibungen sind nach Wildgruber auch manchmal aus einem anderen Grund eher nicht zielführend. "Wenn von einer Firma aus Europa Fenster an einer Schule ausgetauscht werden und man stellt hinterher fest, dass bei einigen was schief gelaufen ist, geht man zum örtlichen Schreiner, weil die Firma nicht zu fassen ist. Der kann dann den Fehler ausbaden."

Der Landkreis Erding hat in der Vergangenheit mehrere solche europaweite Vergabeverfahren für Planungsleistungen durchgeführt. Zum beispielsweise für die Lieferung von Strom für die Liegenschaften des Landkreises, wie Daniela Fritzen vom Landratsamt mitteilt. Auch für die Brandschutzsanierung, die Sanierung der Turnhalle und die Neugestaltung des Friseurbereichs an der Berufsschule Erding seien die Planungsleistungen europaweit ausgeschrieben worden; aktuell die Sanierung und Erweiterung des Alten Landratsamtes in der Langen Zeile 10. Bei Bauleistungen habe man Planung, Bau und Gebäudebetrieb für das neue Bildungszentrums für Gesundheitsberufe in einer Öffentlich-Privaten-Partnerschaft europaweit ausgeschrieben. Auch das Landratsamt hat die Erfahrung gemacht, dass mit einer EU-Ausschreibung ein aufwendiger Prozess, mit einer Bearbeitungszeit von mindesten zwei bis drei Monaten verbunden ist. Da sich die Preise für Planungsleistungen aber sowieso an der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure orientierten, bestehe wenig Handlungsspielraum beim Preis als ausschlaggebendes Kriterium, und es entstünden damit auch keine wirklichen Kostenvorteile. Nur der Umbauzuschlag und die Nebenkosten könnten von den Bietern unterschiedlich gestaltet werden.

Die bisherigen Erfahrungen des Landkreises mit europaweiten Verfahren haben laut Fritzen gezeigt, dass sich bisher ausschließlich nationale Unternehmen beteiligt haben und letztendlich die meisten Aufträge am Ende doch an Bieter aus der Region gegangen sind. "Ob daher der immense Aufwand in Relation zu den gesteigerten Erfolgsaussichten stehe, den am besten geeigneten Bieter zu finden, oder ob man den Aufwand nicht reduzieren könnte, lassen wir mal dahingestellt." Zudem sei vom Europamodell nicht viel rüber gekommen. Bei allen Ausschreibung für Bauleistungen haben sich bisher nur nationale Unternehmen an den Ausschreibungen beteiligt.

Auch die Kreisstadt Erding weiß von einem deutlich höheren Arbeitsaufwand zu berichten, sowie längeren Fristen im Vergleich zu anderen Ausschreibungen. Das könne zu Verzögerungen führen. Die bisher am weitesten entfernte Firma sei aus Österreich gekommen, teilt Christian Wanninger mit. Im Bausektor erkläre man sich das damit, dass für die großen europäischen Baukonzerne erst Projekte im zweistelligen Millionenbereich interessant würden.

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SZ vom 23.05.2019
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