Europawahl:Die Natur kennt keine Grenzen

Zahlreiche Gebiete im Landkreis stehen unter dem besonderen Naturschutz der EU. Darunter sind das Isental, das Nördliche Erdinger Moos und die Strogn

Von Philipp Bovermann

Lange vor dem Volksbegehren "Rettet die Bienen", im Jahr 1992, war das Thema Artenschutz bereits in Brüssel Thema. Damals erließ die EU die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH), um Gebiete, in denen besonders viele und schützenswerte Tiere leben, unter EU-Schutz zu stellen. Im Landkreis Erding gibt es heute sieben solcher Gebiete und zwei europäische Vogelschutzgebiete. Manfred Drobny, Kreisgeschäftsführer beim Bund Naturschutz, ist sich daher sicher: "Die Europawahl ist auch eine Abstimmung über den Artenschutz."

Eine "Glanzstunde" der EU sei es damals gewesen, ein Netz an Gebieten aufzubauen, das dauerhaft für die Tierwelt erhalten werden soll. Dafür beschlossen die Mitgliedsstaaten zunächst eine Reihe fachlicher Kriterien für den Artenschutz. Anschließend mussten sie überprüfen, wo auf ihrem Territorium diese Kriterien erfüllt sind, wo etwa eine bestimmte bedrohte Tierart lebt. Diese Gebiete mussten sie dann an die EU melden. Deutschland ließ sich damit viel Zeit. Vor vier Jahren leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren ein, weil Deutschland, Bulgarien und Italien trotz Ablauf der Frist im Jahr 2010 immer noch nicht alle ihre Gebiete gemeldet hatten. Im Landkreis Erding aber sind inzwischen laut Drobny alle FFH-Gebiete gemeldet.

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Bei der Auswahl nationaler Naturschutzgebiete spielen neben fachlichen Kriterien oft auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Wenn die Natur dabei den Kürzeren zieht, gibt es keine Möglichkeit, ihr juristisch zu ihrem Recht zu verhelfen. Anders ist das bei den FFH-Gebieten: Die Richtlinie umfasst zwei harte, einklagbare Kriterien. Einerseits ein Verschlechterungsgebot. Zweitens müssen die Mitgliedsstaaten sogenannte Managementpläne entwerfen, wie sie das Leben im betreffenden Gebiet konkret zu schützen gedenken. Erst wenn ein Managementplan vorliegt, fließen EU-Fördermittel an die Mitgliedsstaaten. Wie sich das Gebiet biologisch entwickelt, müssen sie alle sechs Jahre in einem Bericht kontrollieren. Der geht anschließend an die EU. Wo er wiederum kontrolliert wird.

Die EU-Schutzgebiete

Von Süden durchfließt den Landkreis die Strogn mit ihren beiden Zuläufern Hammerbach und Köllinger Bächlein. Die Ausleitungen für Mühlen, die Stillgewässer und die sickerfeuchten Gehölze am Ufer bieten etwa der Elritze, der Libelle Südlicher Blaupfeil und dem Sumpfgrashüpfer Lebensraum.

Das Isental erstreckt sich über 30 Kilometer in den beiden Landkreisen Erding und Mühldorf. Es handelt sich um ein weitgehend naturnah ausgeprägtes Fluss- und Bachsystem, in dessen Umfeld unter anderem seltene Schmetterlingsarten, Bachmuscheln und Mühlkoppen leben.

In der Schwindtkirchener Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt befindet sich eine große Population des Großen Mausohrs, einer Fledermausart. Deshalb wurde sie zur Mausohrkolonie im unterbayerischen Hügelland und damit punktuell zum FFH-Gebiet ernannt. Das Quartier der Weibchen liegt über der Sakristei, die Männchen wohnen getrennt im Turm.

In einer aufgelassenen Sandgrube nahe Riding, Gemeinde Fraunberg, entstehen nach starkem Regen Pfützen. In denen lebt die stark bedrohte Gelbbauchunke, die 2014 zum "Lurch des Jahres" gekürt wurde.

Im Nördlichen Erdinger Moos brüten, mit bester Aussicht auf den Flughafen, zahlreiche bedrohte Vogelarten wie der Große Brachvogel, der dort seinen größten bayerischen Brutbestand hat. Aber auch etwa der Kiebitz, seltene Pflanzen und höchst gefährdete Schmetterlinge.

Die Gräben und Niedermooreste sind das, was von der einst mehr als 200 Quadratkilometer großen Niedermoorlandschaft noch übrig ist. Man findet dort winzige Relikte der einstmals das Landschaftsbild prägenden Duftlauch-Pfeifengraswiesen und Kalkflachmoore.

Nur an wenigen Ausläufern in den Landkreis hinein ragen die Isarauen, in denen man seltene Auenwälder findet, Kal-Trockenrasen, magere Wiesen und feuchte Hochstaudenflure. Biber, Gelbbauchunken und Kammmolche tummeln sich dort.

Auch der Ismaninger Speichersee grenzt an den Landkreis. Er ist einer der drei bedeutendsten europäischen Rast- und Überwinterungsgebiete für Wasservögel. SZ

Natura 2000, so nannte die EU dieses Netz aus FFH-Gebieten und europäischen Vogelschutzgebieten damals. Das klang damals wohl nach Zukunft. Was den Managementplan für das Nördliche Erdinger Moos angeht, ist es bislang bei der Zukunftsmusik geblieben. Anders als bei Isental und Strogen, den anderen großen Schutzgebieten im Landkreis, liegt er noch nicht vor. Erst seit vergangenem März werden die Bestände der zahlreichen vom Aussterben bedrohten Wiesenbrüterarten, die dort in großer Zahl leben, wissenschaftlich erfasst.

Wenn die Bestandsaufnahme bis zum Sommer abgeschlossen ist, wird die Regierung von Oberbayern einen Managementplan ausarbeiten. Und zwar mit zwei möglichen Szenarien: Eins der beiden wird davon ausgehen, dass die dritte Startbahn doch noch gebaut wird. Mitten hinein in das Vogelschutzgebiet Nördliches Erdinger Moos, wogegen mehrere umliegende Gemeinden und der Bund Naturschutz bereits 2014 beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geklagt haben und gescheitert sind. Drobny glaubt trotzdem daran, dass die EU noch einen Strich durch die Rechnung der Flughafenplaner machen wird. "Sobald die Pläne rauskommen, werden wir sie von der EU überprüfen lassen." Auch in Bayern werde sich "irgendwann die Erkenntnis durchsetzen, dass EU-Recht Landesrecht bricht".

Für die Natur sei das "ein Segen". Sie kenne keine Grenzen, dem trage die FFH-Richtlinie Rechnung. Naturschutz sei etwas, das Europa eint. "Man muss wirklich sagen: Im Natur- und Umweltbereich hat uns die EU wahnsinnig vorangebracht."

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