Erzählungen:Landleute, wortgetreu

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Der Dokumentarist Hans Prockl hat eine Sammlung von Interviews mit Menschen aus dem Isental als Buch herausgebracht

Von Florian Tempel

Fragen setzt Hans Prockl zurückhaltend und sparsam ein. Er lässt die Menschen am liebsten von sich aus erzählen. Er weiß, dass das gut funktioniert. Weil es ein menschliches Bedürfnis ist, etwas zu erzählen, und wenn es zum hundertsten Mal ist. Beim Interviewtermin stellt er ein Mikrofon auf einen Tisch in der Küche, im Wohnzimmer oder in der Gaststube und eine Videokamera auf sein Stativ vor den Stuhl, auf dem er selbst sitzt. Und los geht's. Mit einfachen, aber wesentlichen Fragen: "Wie war die Zeit als Schulkind?", "Wie war deine Berufsbezeichnung?", "Erzähl was über eure Kinder" - und jeder erzählt.

Bei Martin Wegmaier war der Dokumentarist in der Gaststube zu Besuch. (Foto: Edi Lechner/oh)

Sein im Selbstverlag erschienenes Buch "Landleute" versammelt zwölf Interviews, von denen die beiden ältesten aus den Jahren 1965 und 1966 stammen, eines von 1978 und die anderen aus den Jahren 2015 bis 2018. Zu Wort kommen Menschen, die am Oberlauf des Flüsschens Isen leben oder gelebt haben. So wir er selbst in seiner Kindheit und Jugend. Hans Prockl, geboren 1948, stammt aus Wimpasing bei Lengdorf, da, wo nun eine riesige Autobahnbrücke das einst so sanfte Isental erdrückt. Der andere Teil der Interviewten sind gewissermaßen neue Nachbarn. Hans Prockl hat nach einem Physik-Studium lange in München gelebt, wo er 37 Jahre lang an der Realschule und Fachoberschule der Stiftung Pfennigparade Mathematik, Physik, Informatik und Dokumentarfilm unterrichtete. Als Rentner ist er wieder aufs Land gezogen. Wieder ins Isental, aber an eine andere Stelle, weiter unten flussabwärts lebt er nun im Dorf Wörth. Auch hier gibt es noch jeden Menge "Landleute". Vor fünf Jahren hat Hans Prockl sein erstes Buch herausgebracht. Den wunderbaren Fotoband "Menschen aus der Region Buchbach-Schwindegg", in dem er Frauen und Männer aus der Gegend an ihren Arbeitsplätzen porträtierte.

Ayse und Mehmet Aritoprak leben im selben Dorf wie Hans Prockl. (Foto: Hans Prockl/oh)

Hans Prockl nimmt seit mehr als 50 Jahren Zeitzeugen in Bild und Ton auf. Er ist ein Dokumentarist, "jemand, der Dokumentarberichte, -filme oder Ähnliches herstellt", heißt es dazu im Duden. Prockl selbst hält sein Tun für gar nicht so recht erklärbar. Sein Drang, die Welt und die Menschen so festzuhalten, wie sie wirklich zu sein scheinen, "entzieht sich im Grunde jeder rationalen Erkenntnis", sagt Prockl. Eines aber gelingt ihm sehr gut: Die mit alten und aktuellen Fotos reich bebilderten Interviews sind absolut lesenswert und ein große Freude.

Martha Angermaier interviewte Prockl an ihrem Esstisch. (Foto: Hans Prockl/oh)

Der 1954 in München geborenen Lengdorferin Martha Angermaier etwa musste er kaum Fragen stellen. "Die Martha, die weiß so viel", steht als Titel über ihrem Kapitel, in dem sie von ihrer Kindheit und Jugend, ihrem Berufsleben und der Kundschaft im Dorfladen, der Nachrichtenzentrale im Ort, berichtet, aber auch über das erste Telefon und den ersten Fernseher, die Rolle der Kirche in ihrem Leben und über die Kommunalpolitik.

Ein ganz anderer Typ, aber nicht weniger gesprächig ist der 1927 geborene Martin Wegmaier, Schuster, Lebensmittelhändler und Gastwirt aus Isen. Bei seinem Interview sind Prockl und er nicht alleine. Zwei Stammgäste sitzen in der Gaststube am Tisch nebenan. Der 90-jährige Wegmaier erzählt von seiner Herzoperation, die schon 25 Jahre zurückliegt, und vom Arbeitsdienst, zu dem er am Kirchweih Donnerstag 1944 eingezogen wurde.

Wenn Hans Prockl ein Mikrofon aufstellt, geht es los mit dem Erzählen. (Foto: Privat)

Das Ehepaar Ayse und Mehmet Aritoprak lebt im selben Dorf wie Hans Prockl. Die Eheleute sind gewissermaßen schon immer beisammen. Beide sind Jahrgang 1939 und waren direkte Nachbarn in ihrem Heimatdorf in Kappadokien. 1972 kamen sie nach Deutschland, angeworben, um in einem Schwindegger Holzwerk zu arbeiten, und sind geblieben.

Etwas ganz Besonderes ist das bereits 1966 geführte Interview mit der 1888 geborenen Häuslerin Katharina Feckl aus Innerbittlbach, an dem auch ihre Enkelin Helga sowie das Bauernpaar Agnes und Schoos Huber teilnehmen. Das Interview gibt es in zwei Versionen, einmal auf Bairisch notiert und in der Spalte daneben ins Hochdeutsche übersetzt. Es geht ums Sterben und Leiden, um die Nachbarschaft und die Enkeltochter. Auch die Transkription des 1978 aufgezeichneten Gesprächs mit dem Wagner, Bauhilfsarbeiter und Totengräber Isidor Hein lässt diesem wortgetreu seine Sprache, Hans Prockl hat in diesem Fall nur die nicht so ganz leicht verständlichen Passagen übertragen.

"Landleute" ist unter anderem in der Dorfener Buchhandlung Sauer und im der Buchhandlung Leseglück in Erding erhältlich, sowie beim Autor, E-Mail an hans.prockl@t-online.de

© SZ vom 25.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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