Erster Barber-Shop in Erding:Der Bartmann

Sonst schminkt er Schauspieler am Filmset und macht Menschen zu Monstern. Jetzt hat der Maskenbildner Sascha Kolmikow in Erding einen Barber-Shop eröffnet und verspricht Wellness für den Mann

Von Veronika Wulf, Erding

Auf den Winkel kommt es an. Setzt Sascha Kolmikow das Messer zu steil an, schneidet es ins Fleisch des Kunden. Hält er es zu flach, schabt er die Haut unter den eingeschäumten Bartstoppeln gleich mit ab. Leicht schräg und gegen die Wuchsrichtung lässt er das frisch geschliffene Rasiermesser über die Wange gleiten, mit dem Finger spannt er sie. Es kratzt, lauter als erwartet, wie Fingernägel auf Bürstenborsten. Doch der Mann spürt nichts. Weil der Winkel stimmt. Und weil Sascha Kolmikow, 44, sein Handwerk beherrscht.

Erster Barber-Shop in Erding: Rasierschaum, Rasur, Kompresse: Dem Kunden wird Wellness für den Mann versprochen.

Rasierschaum, Rasur, Kompresse: Dem Kunden wird Wellness für den Mann versprochen.

(Foto: Renate Schmidt)

Kolmikow ist gelernter Maskenbildner für Film und Fernsehen. Schauspieler wie Colin Firth, Til Schweiger und Matthias Schweighöfer hat er schon geschminkt, rasiert und frisiert. Er hat täuschend echte Kröten, Leichenteile und Innereien gebastelt. Zerfetzte Gesichter, Monster, Zombies - das ist sein Spezialgebiet. Doch Kolmikow kann auch verschönern: Vor einem Monat hat er den nach eigenen Angaben ersten Barber-Shop Erdings eröffnet.

Die Idee dazu kam ihm beim Dreh eines amerikanischen Kinofilms über die letzten Tage Oscar Wildes. Sie drehten in Frankreich, Italien und Belgien, drei Monate, in denen Kolmikow neben schminken und Locken drehen vor allem eins gemacht hat: Bärte - rasiert, getrimmt, gestutzt, gekämmt, gezwirbelt und aufgefüllt. Vollbärte, Zwirbelbärte, Kaiser-Wilhelm-Bärte, Schnauzer. Als Kolmikow Anfang des Jahres zurückkam, ließ ihn eine Idee nicht los: ein Barber-Shop in Erding. "Einfach, weil ich Lust hatte", sagt er und wiederholt das Wort "Lust" acht Mal, wie immer, wenn er etwas betonen will.

Erster Barber-Shop in Erding: Ganz billig ist die Behandlung nicht, aber Sascha Kolmikow bietet auch einiges: Zum Beispiel ein frisches Aloe Vera-Blatt aus Kolumbien.

Ganz billig ist die Behandlung nicht, aber Sascha Kolmikow bietet auch einiges: Zum Beispiel ein frisches Aloe Vera-Blatt aus Kolumbien.

(Foto: Renate Schmidt)

Bärte sind zurzeit angesagt, Barber-Shops auch. In allen größeren Städten sprießen sie aus dem Boden wie Bartstoppeln aus dem Männerkinn. Doch Kolmikow will anders sein. "Mein Shop hat nichts mit Hipster zu tun, nichts mit Kunden durchpeitschen", sagt er. "Es gab Bärte im 14. Jahrhundert, es gibt heute Bärte und es wird immer Bärte geben." Er macht es traditionell: mit Barbierstuhl, original aus den 60er-Jahren, Rasiermessern für 300 Euro, die er vor jeder Rasur am Lederriemen wetzt. Und: mit hochwertigen Pflegeprodukten, bei denen ein Rasiergel 60 Euro kostet. Wellness für den Mann also. Wer gönnt sich das, ohne sich vor seinen Kumpels zu schämen? "Wieso denn schämen?", fragt Kolmikow und wirkt ehrlich entsetzt. Der moderne Mann sei gepflegt und gehe auch mal zur Maniküre, ist Kolmikow überzeugt.

Erster Barber-Shop in Erding: Sascha Kolmikow nimmt es genau mit den Bärten seiner Kunden.

Sascha Kolmikow nimmt es genau mit den Bärten seiner Kunden.

(Foto: Renate Schmidt)

Jedenfalls kommen Kunden in seinen Barber-Shop: sowohl junge Kerle mit Modebärten als auch Männer Mitte 40, die eine ordentliche Glattrasur wollen. Zwei Wochen nach Eröffnung sei er schon für den nächsten Monat ausgebucht gewesen, sagt Kolmikow. Obwohl er kaum Werbung gemacht habe. "Der beruflich gestresste Mann soll bei mir runterkommen, relaxen." Kolmikow nimmt sich eine Stunde Zeit für jeden Kunden. "Eine Rasur ist ein Ritual, sagt er. Termine gibt es nach Vereinbarung. Er ist nicht auf schnelle Laufkundschaft aus. Die würde ihn auch kaum finden. Nur ein kleines Schild im Erdgeschoss des Gewerbezentrums in der Franz-Brombach-Straße 11-13 weist auf den neuen Laden hin. Im zweiten Stock muss man die richtige Tür erahnen, einen langen Flur entlang gehen, dreimal um die Ecke und durch ein Nagelstudio. Dann steht man im kleinen Friseursalon von Kolmikows Frau. Eine Ecke hat sie ihm für den Barber-Shop überlassen.

Die Privatsphäre seiner Kunden ist Kolmikow wichtig. Deshalb ist er froh, dass er kein Schaufenster hat. Er trägt einen weißen Kittel mit Barber-Shop-Aufnäher, Karohose und Fliege. Ein warmes Handtuch, Cremes und Messer liegen bereit. Alles müsse perfekt sein - egal ob Colin Firth oder der Erdinger Nachbar vor ihm sitzt. Noch ist die Atmosphäre eher Zahnarztpraxis als Wellnesstempel. Die Tuben und Tiegel wackeln im Regal, weil die Isolierwand zum Fitnessstudio nebenan noch fehle. Eigentlich liefen auch Elvis-Songs im Hintergrund, aber der Lautsprecher-Akku ist leer. Das Ritual kann trotzdem beginnen.

Kolmikow reicht dem jungen Mann auf dem Barbierstuhl ein Glas Wasser und ein Whiskey-Karamel-Bonbon und schaut prüfend den rötlichen Zwei-Wochen-Bart an. "Hier würde ich tiefer gehen, unten etwas wegnehmen und klarere Kanten reinbringen", sagt er. "Das wirkt cooler, markanter." Es geht los: warme Kompresse auf Haut und Bart, Reinigung mit reinem Aloe-Vera-Saft, Kompresse, Feuchtigkeitsspray, aufgeschäumte Rasierseife, Rasur mit dem Messer, Kompresse. Dann noch mal: Rasierschaum, Rasur, Kompresse. "Damit es genauer wird", sagt Kolmikow. Mit einem aufgeschnittenen Aloe-Vera-Blatt aus Kolumbien fährt er über die Haut, "gegen Hautreizungen". Die After-Shaves kommen aus einer Glasflasche. Melone, Zitrus, Tabak, Rum oder Whiskey stehen als Düfte zur Wahl. Kolmikow reibt Teebaumöl in den Bart, Wachs ins Haupthaar - Haarspray drüber. "Wenn ich etwas mache, dann richtig", sagt er. 36 Euro kostet die Prozedur. Eine Komplettrasur liegt bei 31 Euro, Haareschneiden bei 27 Euro. Die Preise sind ähnlich wie in anderen Barbershops. Doch Kolmikow kennt sein Alleinstellungsmerkmal: "Ich nehme mir mehr Zeit." Vor Konkurrenz habe er keine Angst. Obwohl er sich sicher ist: Der zweite Erdinger Barber-Shop kommt bestimmt.

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