Was hat es mit den mysteriösen unterirdischen Höhlen aus dem Hochmittelalter auf sich, die in engen Gängen im Nichts enden? Bis heute hat sich keine eindeutige Erklärung für die sogenannten Erdställe gefunden.
Seit Nikolaus Arndt vor 15 Jahren erstmals einen dieser unterirdischen Stollen im niederbayerischen Beutelsbach betreten hat, lässt ihn das Thema nicht mehr los. Der studierte Bauingenieur hat zusammen mit einem Kollegen erstmals ein Erdstallkataster für ganz Oberbayern erstellt.
Seit 1982 existiert ein Register mit Hinweisen auf Erdställe in ganz Bayern. Die Sammlung führt über 700 Fundorte auf, allerdings werde nicht unterschieden, ob es sich um einen tatsächlich nachgewiesenen Erdstall oder vielleicht nur um eine Erzählung handelt, erklärt Nikolaus Arndt am Telefon. Mit seinem Kollegen Alfred Baierl von der europaweit tätigen Interessengemeinschaft Erdstallforschung (IGEF) hat er inzwischen für fast alle bayerischen Regierungsbezirke ein Kataster (www.erdstall-kataster-bayern.com) angelegt, das erste befasste sich mit Niederbayern, wo Arndt lebt.


Die vergangenen sechs Jahre hat er zusammen Baierl die aufgeführten „Erdställe“ Oberbayerns abgeklopft. Sie haben Quellen, Pläne, Aufzeichnungen und Archivdaten, Maße und Formen unter die Lupe genommen, mithilfe von Fotos recherchiert, mit Grundstückseigentümern gesprochen und vor Ort, so weit möglich, Besichtigungen durch geführt. „Fred Baierl und ich haben jeweils unabhängig voneinander recherchiert und unsere Ergebnisse dann miteinander zur Kontrolle verglichen“, betont Arndt.
Inzwischen ist es auch möglich, mithilfe von Laserscan Höhlen zu vermessen. Seit ein paar Jahren leiste auch das iPhone eines der ehrenamtlichen Höhlenforscher Unterstützung bei den Vermessungen, fügt Arndt hinzu. Zugleich konnten auch Holzkohlefundstücke mithilfe von C14-Messungen untersucht werden. Es sei inzwischen nachgewiesen, dass die Erdställe aus dem Hochmittelalter, in der Zeit zwischen 1035 und 1150 stammen, erklärt Arndt.
Die Fundorte sind in Kategorien unterteilt, von „sicher nachgewiesen“ bis „kein Erdstall“
Von den 700 für ganz Bayern im bisherigen Register verzeichneten „Erdställen“ bleiben in Oberbayern-Kataster aktuell 45 „sichere“ über. Das Vorkommen ist von Landkreis zu Landkreis ganz unterschiedlich. So finden sich in den Kataster-Kategorien „Erdstall sicher nachgewiesen“ oder „wahrscheinlich“ im Landkreis Freising sieben Höhlengänge, darunter im Gemeindebereich Fürholzen und Haag. Weitere vier sind als „nicht sicher“ eingestuft, immerhin nicht als „Sage“ oder „vage“ oder „kein Erdstall“, so die weiteren Kategorien. Somit sind insgesamt elf Erdställe für den Landkreis Freising im Oberbayern-Kataster aufgeführt.
Im Nachbarlandkreis Erding hat es nur ein einziger „echter“ Erdstall ins Kataster geschafft und das unter Vorbehalt „Nicht sicher“: Edenklaus im Gemeindebereich St. Wolfgang kommt infrage, so Nikolaus Arndt, eventuell bringen weitere Recherchen auch noch einen Treffer in Schleibing, Gemeindebereich Kirchberg.
Erdställe zu eruieren ist schwierig, manche sind verschüttet und zerstört worden
Zu einem anderen Ergebnis kommt der Erdinger Heimatforscher Rudolf Koller, der sich ebenfalls schon lange mit dem Thema beschäftigt und der von mindestens vier Erdställen im Landkreis Erding ausgeht, gesichert auch durch Einträge durch das Landesamt für Denkmalpflege Bayern. Zwei habe er persönlich überprüft, einer davon befindet sich im Bereich von Bockhorn. Freilich ist es schwierig, diese Erdställe tatsächlich zu eruieren. Manche sind verschüttet, verfüllt, viele bei Arbeiten zerstört worden und Zeugen, die die Erdhöhle noch per Augenschein entdeckten, sind womöglich längst verstorben.
Die Forschungen gehen weiter, das sagt auch Nikolaus Arndt. Wer weiß, wo sich noch überall unter der Erde Erdställe befinden. Viele werden auch unentdeckt bleiben, weil sie entweder bereits weggebaggert wurden oder niemand sie als solche erkennt. Viele warten womöglich noch auf die Entdeckung, unter Kirchen oder Wirtshäusern. Es gibt noch einiges ans Tageslicht zu bringen.
Typisch für die unterirdischen Gänge sind Spitz- und Rundbögen.
Die Unterscheidung eines echten Erdstalls und eines sonstigen unterirdischen Gangs ist ohnehin nicht leicht. Es gibt aber einige feste Kriterien. Erdställe sind künstlich in Gestein angelegte Höhlen, die aus niedrigen Kammern und Gängen bestehen. Diese sind so niedrig, dass man dort „nur in komplett gebücktem Zustand hocken kann“, erklärt Arndt. Typisch sind auch Spitz- und Rundbögen. Enge Schlupflöcher verbinden die Ebenen, die Kammern weisen oft kleine Nischen auf. Größere Ausbuchten sehen wie Sitzbänke aus. Die Kammern sind allesamt „fundleer“: Keine Scherbe ist dort anzufinden. In der Regel erfolgt der Einstieg senkrecht.
Wer einmal in einen der verzweigten Stollen hinuntergestiegen ist, ist schwer beeindruckt. So war es auch bei Nikolaus Arndt, Jahrgang 1949, der früher als weltweit tätiger Bauingenieur und heute als Sachverständiger schon viele Projekte gestemmt hat und weiter stemmt. Ein Erdstall, „das lässt einen nicht mehr los“. Aber warum haben die Menschen damals die Gänge ins Nichts gegraben?

Archäologie:Ein politischer Erfolg
Bislang konnte es beim Hausbau teuer werden, wenn man beim Kelleraushub auf ein altes Römergrab gestoßen ist. Eine Initiative des Erdinger Vereins trägt zu einer Novelle des Denkmalschutzes bei: Bauherren sollen bei archäologischen Grabungen finanziell entlastet werden
Als Versteck für Menschen bei einem feindlichen Angriff, das kommt für Nikolaus Arndt aufgrund der engen Bauweise nicht infrage. Da sich keinerlei Fundstücke ergeben haben, scheide wohl auch die Nutzung als Aufbewahrungsort aus. Arndts persönliche Antwort? „Ich meine, es sind sogenannte ,Seelenkammern’“.
In der Zeit des Hochmittelalters habe die Annahme des Fegefeuers innerhalb des Christentums noch nicht existiert. Die Bösen kamen in die Hölle, die Heiligen in den Himmel – aber was geschah mit den toten „kleinen“ Sündern und Sünderinnen? Die Seelen der Verstorbenen brauchten einen Ort – eine Höhle unter der Erde.