Süddeutsche Zeitung

Erdinger Piraten:"Argumente zählen da nicht"

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Nur ein paar Monate war Mike Anacker Pressesprecher der Erdinger Piraten. Nun tritt er aus - und rechnet öffentlich ab.

Charlotte Theile

Er war einer der ungewöhnlichsten Köpfe der Erdinger Piraten. Gut zwanzig Jahre älter als die meisten anderen am Stammtisch, mit jahrelanger Partei-Erfahrung und klaren politischen Vorstellungen, die sich nicht auf die Freiheit im Internet und das Urheberrecht beschränken. Mike Anacker, 55, interessiert sich für den öffentlichen Nahverkehr in und um Erding, er machte den S-Bahn-Ringschluss als Pressesprecher zum lokalen Piraten-Thema. Doch damit biss der ehemalige CSU-Politiker bei seiner neuen Partei auf Granit. Vor kurzem dann die Nachricht per Online-Chatdienst: "Bin seit gestern kein Pirat mehr."

SZ: Herr Anacker, noch vor ein paar Wochen haben wir Sie als Pressesprecher der Erdinger Piraten vorgestellt - einen durchaus kritischen, aber überzeugten Anhänger dieser jungen Partei. Jetzt treten Sie aus. Was ist passiert?

Mike Anacker: Es gibt einfach keinerlei politischen Fortschritt bei den Piraten. Themen können nicht durchgesetzt werden, die Ergebnisorientierung fehlt völlig. Stattdessen herrscht - auch bei uns in Erding - ein Ungrad der Eigenbeschäftigung. Alle Diskussion kreisen nur um die Piraten selbst, anstatt endlich einmal sachlich miteinander zu arbeiten.

Das klingt, als seien Sie ziemlich frustriert. Gibt es dafür einen konkreten Anlass?

Wirklich geärgert hat mich die Aussage unseres Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz, der sich für die Zeit nach der Bundestagswahl noch immer nicht festlegen will. Dabei muss man doch irgendwann mal Verantwortung übernehmen, gestalten. Auch das Hü und Hott um den Ankauf der Steuer-CD in Nordrhein-Westfalen war ein Grund für meinen Austritt.

Was war da in Ihrer Partei los?

Erst haben einige Abgeordnete aus Schleswig-Holstein Anzeige gegen den Finanzminister von NRW erstattet, dann haben sich die Piraten in Düsseldorf wieder von dieser Klage distanziert: Ein heilloses Durcheinander! So kann man einfach nicht arbeiten und so wird man auch nicht ernst genommen.

Düsseldorf ist weit weg. Sind die Zustände in Erding ähnlich chaotisch?

Das kann man so sagen. Wenn ich inhaltliche Vorschläge gemacht habe, lief das so: Erst wurden sie bejaht, dann im Netz widerrufen. Schließlich kamen völlig hanebüchene Vorschläge aus unseren regionalen Kompetenzzentren. . .

. . . das Wort "Kompetenzzentrum" scheint Ihnen nicht gerade leicht zu fallen. . .

In der Tat, denn von Kompetenz kann keine Rede sein. Was die da vorgeschlagen haben, war unglaublich. Da wurde ernsthaft diskutiert, ob man nicht statt der dritten Startbahn eine Nachtlandebahn einrichten sollte. . . Also da braucht man wirklich nicht viel wirtschaftlichen Sachverstand, um zu verstehen, dass so etwas weder rentabel noch genehmigungsfähig ist. Aber Argumente zählen da nicht.

Sie äußern hier öffentlich sehr harsche Kritik. Hätten Sie die nicht intern anbringen können?

Sie haben keine Ahnung, wie es bei den Piraten zugeht. Jegliche Kritik führt direkt zum Shitstorm. Wenn man sich erlaubt, einen Vorschlag dieser inkompetenten Arbeitsgruppen sachlich zu kritisieren, wird man in den einschlägigen Foren der Partei niedergemacht - das ist unglaublich.

Offene Diskussionen sind Kernbestand des Piraten-Programms. Warum funktionierte das in Ihrem Fall so schlecht?

Meine Erfahrung ist tatsächlich: Widerspruch ist bei den Piraten zwecklos. Da kriegen Sie unheimlich Feuer. Außerdem wird der Einfluss von außen immer größer, gerade auf Bezirksebene nehmen die etablierten Parteien und Lobby-Organisationen viel Einfluss. Was mich außerdem stört: Ein Großteil der Piraten ist im öffentlichen Dienst beschäftigt. Das ist in anderen Parteien nicht anders, diese Beamten-Partei-Struktur. Aus diesem Grund bin ich damals aus der CSU ausgetreten - jetzt finde ich bei den Piraten genau den gleichen Filz, der mich immer abgeschreckt hat.

Warum sind Sie denn überhaupt Pirat geworden?

Die Grundidee dieser Partei ist ja nicht schlecht. Eine transparente Alternative zum verfilzten Parteiensystem, in der dessen Aussteiger eine Chance haben, das fand ich großartig. Leider musste ich feststellen: Die Strukturen und Fehler der etablierten Parteien werden kopiert. Die Piraten haben nicht das Potenzial, eine kraftvolle Alternative in der politischen Mitte zu werden. Sie sind eine Copy-and-Paste-Partei. Mehr nicht.

Haben Sie der Partei eigentlich schon mitgeteilt, dass Sie austreten?

Ich habe eine E-Mail an den Landesvorstand geschickt und über meine Pläne informiert. Bisher gab es allerdings keine Reaktion.

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Quelle:
SZ vom 25.08.2012
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