Süddeutsche Zeitung

Erdinger Austausschüler während der US-Wahl:Mittendrin

Schüler der Erdinger Gymnasien haben die Wahlen in den USA und die turbulenten Tage danach im Rahmen eines Schüleraustauschs live erlebt. Manche Gastfamilien waren vom Ausgang schockiert - woanders freute man sich

Protokolle von Isabell Käsbauer

Ein Schüleraustausch ist für jeden, der das Glück hat, daran teilnehmen zu können, eine riesen Erfahrung. Selten kann man so nah und so tief in das reale Leben in einem fremden Land eintauchen, wie bei einem Aufenthalt in einer Gastfamilie. Wenige verbringen ein ganzes Schuljahr im Ausland, meistens sind es nur ein paar Wochen. In jedem Fall ist es aber eine Zeit, die sich ein Leben lang ins Gedächtnis einbrennt. Die Schülerinnen und Schüler, die in diesem Herbst beim Schüleraustausch in den USA waren, haben dabei noch etwas ganz Besonderes erlebt: die Präsidentschaftswahl 2016 mit dem zugespitzten Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump. Acht Gymnasiasten aus Dorfen und Erding berichten, wie sie die spannenden Tage vor und nach der Wahl erlebt haben.

Sophie Wehner, 15, Dorfen, Gymnasium Dorfen

Während der sechs Wochen, die ich hier verbringe, besuche ich die Woodbridge Senior Highschool in Woodbridge, Virginia. Mein erstes Erlebnis in Amerika waren Turbulenzen im Flugzeug bei Landeanflug. Den ersten starken Eindruck am Boden bekam ich, als mir gleich nach der Ankunft am Flughafen eine amerikanische Flagge ins Auge sprang. Davon gibt es hier ziemlich viele zu sehen. Nachdem wir durch die Sicherheitskontrollen gekommen waren, wurden wir sehr herzlich von unseren Gastfamilien empfangen. Bei mir ging es dann gleich los mit Fragen über Deutschland und mich. Obwohl scheinbar jeder hier entweder selbst aus Deutschland stammt oder noch Verwandte dort hat, weiß kaum einer was über Deutschland. Im Allgemeinen ist hier in den USA jeder ein bisschen freundlicher im Umgang miteinander als bei uns. Man hört andauernd jemanden "bless you" oder "thank you" sagen. Selbst beim kritischen Thema Wahlen blieb jeder freundlich. Vor dem Wahltag wurde nicht viel über die Wahl gesprochen. Absolutes Tabuthema in meiner Gastfamilie, die mir allerdings von Haus aus nicht sehr stark politisch interessiert schien. Nach der Wahl sah das anders aus. Zu meiner Überraschung waren viele Schüler über das Ergebnis erfreut. Die Lehrer wollten sich lieber nicht dazu äußern. Die Nicht-Trump-Unterstützer an meiner Schule waren zumeist missmutig, teilweise auch besorgt über den Ausgang der Wahl. Von Protesten habe ich aber nichts mitbekommen. Es lag jedoch eine gewisse Spannung in der Luft, obwohl in der Schule und im Unterricht nicht über das Ergebnis gesprochen wurde. Trotz der kritischen Lage, die hier wegen den Wahlen herrscht, und trotz Amerikas gelegentlich nicht so positiven Rufs, waren meine bisherigen Erlebnisse in den USA zu 90 Prozent positiv. Ohne ein paar Turbulenzen wäre es auf alle Fälle langweiliger - obwohl ich auf die im Flugzeug gut hätte verzichten können.

Noah Stadler, 15, Fraunberg, KAG Erding

Am Tag der Wahl spürte man förmlich, dass ganz Massachusetts elektrisiert war. Fast alle Leute, die ich kannte, waren Demokraten. Alle fieberten mit und jeder hoffte, dass Clinton das Rennen machen würde. Viele stellten sich auf die Straße und machten Werbung für Clinton. Ganz Massachusetts saß gespannt vor dem Fernseher und sah sich alles zur Wahl an. Ich hörte oft, wie Leute zueinander sagten: "Ich will mir nicht vorstellen, was passiert, wenn Trump gewinnt." Am Tag nach der Wahl waren alle in der Schule müde - mich eingeschlossen -, weil jeder die Wahl im Fernsehen bis mindestens 24 Uhr angeschaut hatte. Besonders auf Florida waren viele sauer, da sich so viele eine Demokratin und die erste Präsidentin der amerikanischen Geschichte gewünscht hatten. Allerdings hörte man auch viele Stimmen sowohl gegen Trump als auch gegen Clinton. Viele trauerten Bernie Sanders nach, weil er ihrer Meinung nach die Wahl mit großem Vorsprung gewonnen hätte. Nach der Wahl ist mir eines aufgefallen: Viele Leute haben das Radio oder den Fernseher ausgeschaltet, wenn auch nur das Geringste über die Wahl kam. Ganz Massachusetts war enttäuscht über das Ergebnis und viele fürchten sich vor der Zukunft. Nur wenige sind der Meinung, dass Trump das kleinere Übel von beiden ist oder dass er seine angekündigten Pläne nicht umsetzen kann oder wird - doch das wird sich in der Zukunft zeigen.

Natalie Schneider, 14, Hohenlinden, KAG Erding

Die meisten Leute in Massachusetts sind Demokraten, sprich sie waren für Hillary Clinton. Es gibt aber auch einige, wie zum Beispiel meine Gastfamilie, die weder für Hillary Clinton noch für Donald Trump waren. Trotzdem gab es in meiner Gastfamilie viele Diskussionen vor der Wahl. Und jeder in der Schule wollte wissen, ob wir als Deutsche eher für oder gegen Trump sind. Vor dem Wahltag dachte hier jeder, dass sowieso Clinton gewinnen wird - egal was passiert. Um so überraschter waren dann alle, Donald Trump als neuen Präsidenten zu haben. In der Schule wurde am Tag danach in nahezu jeder Unterrichtsstunde, egal in welchem Fach, über die Wahl diskutiert. Und nun wurde auch ganz offen über die Gründe, warum so viele Leute für Trump gestimmt hatten, gesprochen und über die verschiedenen Meinungen geredet.

Maresa Kratzer,15, Wambach, Gymnasium Dorfen

Am 8. November hatte ich das Glück, meine Austauschfamilie zum Wählen begleiten zu dürfen. In meiner Gastfamilie war vorher viel über die Wahl diskutiert worden. Alle waren sich einig, dass ihnen die Wahl ziemlich auf die Nerven ging, weil im Radio und im Fernsehen dauernd Wahlwerbung kam. Am Tag nach der Wahl war die Stimmung in der Schule etwas angespannt. In meinem Mathekurs waren zum Beispiel die Trumpianer eher in der Mehrheit und riefen während der ganzen Unterrichtsstunde "build the wall!". In der nächsten Stunde in einer anderen Klasse war es der totale Gegensatz. Dort waren alle Schüler ziemlich erschüttert über das Wahlergebnis. Im Großen und Ganzen blieb es, mit Ausnahme von einigen hitzigen Diskussionen vor den Wahllokalen, während der Wahl bei uns in Northern Virginia sehr ruhig. Es kam auch danach nicht zu Protesten oder Demonstrationen in dieser Gegend. Fast jeder Amerikaner, mit dem ich über die Wahl gesprochen habe, empfand die Wahl eher als ein bisschen peinlich und unangenehm, da sie der Meinung waren, dass diesmal keine idealen Kandidaten zur Auswahl standen und weil die Wahl von Skandalen begleitet war. Zusammenfassend war die Wahl des US-Präsidenten aber eine sehr interessante und spannende Erfahrung. Als ich im Mai von der Möglichkeit erfuhr, sechs Wochen zum Austausch in die USA fahren zu können, wusste ich sofort, dass ich daran teilnehmen wollte. Fünf Monate später saß ich im Flugzeug. Nachdem wir neun Stunden Flug und die Sicherheitskontrollen hinter uns gebracht hatten, fielen mir auf dem Weg nach Manassas als erstes die riesigen achtspurigen Straßen auf. Bei meiner Gastfamilie angekommen, wurde ich freudig von einem Hund empfangen, da Hunde in fast jeder amerikanischen Familie zu finden sind. Noch am ersten Abend sind wir in einen angeblich kleinen Supermarkt gegangen - von der Größe her erinnerte er mich eher an ein Möbelhaus. Während des Austausches besuche ich die Colgan Highschool in Manassas. Die amerikanische Highschool unterscheidet sich sehr von dem deutschen Gymnasium, das ich besuche. Der Fokus ist hier viel stärker auf Sport gerichtet: es gibt drei Sporthallen, ein schuleigenes Schwimmbad, Sportplätzen für Tennis, Lacrosse, Field Hockey und natürlich American Football. Mir fällt immer wieder auf, wie freundlich und herzlich einen die Amerikaner empfangen. Bisher hat mir der Austausch sehr gut gefallen und ich würde jedem eine USA-Reise empfehlen

Leopold Landbrecht, 15, Niederding, KAG Erdin

Am Wahltag habe ich gemeinsam mit meiner Gastfamilie die Wahlergebnisse der einzelnen Staaten vor dem Fernseher beobachtet. Als wir am nächsten Tag erfahren haben, wer der nächste Präsident von Amerika ist, war die Stimmung in meiner Familie im Keller, da sie sich Hillary Clinton als Präsidentin gewünscht hatten. Unsere Deutschlehrerin in der Highschool hat dann zu uns gesagt, es sei gerade jetzt wichtig, nicht den Kopf hängen zu lassen, wenn man mit dem Wahlergebnis nicht einverstanden sei. So sehe ich das auch. Meiner Meinung nach sollte man die Zukunft aktiv mitgestalten und für seine Werte und Rechte eintreten, um ein Land zu dem zu machen, wie man es sich wünscht.

Lena Scholz, 15 Erding, KAG Erding

Am Tag nach den Präsidentschaftswahlen waren die Leute in Lexington schockiert. Viele sagten, dass sie von ihrem Land schwer enttäuscht seien und nicht wüssten, wie es weitergehen soll. In der Schule war die Wahl natürlich Gesprächsthema Nummer eins. Beim Mittagessen hat jeder darüber geredet, was man jetzt machen sollte. Auch während des Unterrichts wurde viel über die Wahl gesprochen. Einige Schüler und Lehrer hatten Tränen in den Augen. Es gab auch ein paar Lehrer, die ihre Schüler ermuntert haben, in die Zukunft zu schauen und das Beste aus der Situation zu machen. Einige Schüler haben angefangen, darüber nachzudenken, nach Kanada oder Deutschland zum Studieren zu gehen.

Thomas Kirz, 15,Schwindegg, Gymnasium Dorfen

Am 22. Oktober sind wir am Washington Dulles Airport gelandet und meine Gastfamilie hat mich abgeholt. Sie wohnt in Woodbridge, Virginia, in der Nähe von Washington. Ich gehe seitdem jeden Tag in der Hylton High School in die 10. Klasse. Sonst bin ich mit meinem Austauschschüler zu Hause und versuche mich in die amerikanischen Gesellschaft einzuleben. Zusammen mit den anderen Dorfener Schülern habe ich auch schon an echten US-Traditionen wie den Homecoming-Festlichkeiten und Halloween teilgenommen. An diesem Wochenende werde ich mit meiner Gastfamilie Thanksgiving feiern. Ein Ereignis war natürlich auch die Wahl des neuen Präsidenten. In meiner Gastfamilie waren alle von der Wahl einfach genervt und sind froh, dass die Kampagnen vorbei sind. So geht es fast allen, mit denen ich über das Thema geredet habe. Das liegt wohl vor allem daran, dass die meisten mit keinem der beiden Kandidaten zufrieden waren. Diese Region hier in Virginia ist zwischen den beiden US-Parteien relativ gespalten. Es gibt die demokratische Einflüsse von der nahen Hauptstadt. Es gibt aber auch viele republikanisch eingestellte Familien, wohl auch, weil hier viele beim Militär arbeiten. Der Großteil der Leute, die ich kennen gelernt habe, sind von dem Ergebnis der Wahl jedoch eher enttäuscht.

Erik Kießig, 15, Hohenlinden, KAG Erding

Alle waren erst mal so sehr über das Ergebnis der Wahl geschockt, sodass nicht viel darüber gesprochen wurde. Dann aber haben sich zwei Denkweisen in meiner Gastfamilie herausgebildet. Die Jüngeren begannen sich unsicher zu fühlen, da sie Donald Trump die Umsetzung des größten Teil seiner im Wahlkampf gemachten Aussagen zu trauen - im Ergebnis sind sie deshalb gegen ihn. Im Gegensatz dazu denkt die ältere Generation, dass Trumps fragwürdige Äußerungen nur Show für die Präsidentenwahl waren. Sie vermuten deswegen, dass es gar nicht so schlimm werden wird, wie manche behaupten. Dennoch hätten alle in meiner Gastfamilie lieber Clinton gewollt.

Fest im Programm

Die Besuche von Schülern des Korbinian-Aigner-Gymnasium an der Lexington High School in Massachusetts findet in diesem Jahr zu zweiten Mal statt. Daneben hat das KAG seit 2010 auch einen Schüleraustausch mit der Novi High School in Michigan, der aber in diesem Herbst für die Teilnehmer schon vor US-Wahl wieder vorbei war. Vom Gymnasium Dorfen fahren seit neun Jahren Schüler an High Schools in Virginia. Die Schulen haben je circa 2300 Schüler in der 9. bis 12. Jahrgangsstufe. Das Anne-Frank-Gymnasium in Erding pflegt Kontakte zu einer Partnerschule in Charlemont, Massachusetts. Alle drei Gymnasien bieten daneben noch mehreren andere Möglichkeiten für Austauschaufenthalte an Schulen und in Gastfamilien in England, Frankreich oder Italien. SZ-Karte

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Quelle:
SZ vom 26.11.2016
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