Erding:Zweifel bis zum Schlussapplaus

Den Sinn des Lebens zu finden - das ist in gewisser Weise der Grund, warum Lisa Scheyer an Poetry Slams teilnimmt. Lustig zu sein fällt der 21-Jährigen schwerer als ernste Texte und Gesellschaftskritik zu formulieren

Franziska hartmann

Erding: In die Schlussrunde schaffte es Lisa Scheyer beim Poetry Slam im Jugendzentrum Erding

In die Schlussrunde schaffte es Lisa Scheyer beim Poetry Slam im Jugendzentrum Erding

(Foto: Renate Schmidt)

- Sie wirbelt auf die Bühne. Witzelt über ihre Größe, schnappt sich das Mikrofon und fängt gleich an zu sprechen. Mit ihrem Stück "Komponist - Das Leben schreibt ein Lied" habe sie sich vorgenommen, die heitere Stimmung des Poetry Slams wieder etwas herunterzubringen, erklärt Lisa Scheyer, bevor sie loslegt. Von Zeile zu Zeile wird ihre Stimme klarer, deutlicher, ruhiger, das Publikum stiller.

Poetry Slams, das sind Veranstaltungen und Wettbewerbe, bei denen die Teilnehmer ihre selbst geschriebenen Texte vortragen und interpretieren. Vor allem aber ist es eine Art der Selbstdarstellung, die in den vergangenen Jahren viele Anhänger fand. Lisa Scheyer aber stellt sich nicht selbst dar, kokettiert nicht bei ihren Vorträgen. Sie möchte mit ihren Geschichten und ihrem Schreibstil überzeugen.

Und Lisas Auftritt beim Poetry Slam bei den Erdinger Jugendkulturtagen im Oktober überzeugte. Sie wurde zweite. Der Auftritt berührte die Zuschauer vor allem deshalb, weil Lisa nicht von der jüngsten Partynacht oder den Strandtagen des vergangenen Sommers erzählte, sondern ein Thema ansprach, das so gar nicht zu der quirligen Blondine auf der Bühne passen mag: Depressionen. "Dabei ist diese Kombination gar nicht so abwegig", findet Lisa. Gefühle, Situationen und Begebenheiten zu thematisieren, die sie berühren, beschäftigen und aufwühlen, die ihr selbst oder ihrem Umfeld widerfahren sind - das liegt ihr am Herzen. Sie schreibe Geschichten und Gedichte, seitdem sie schreiben könne, sagt Lisa schmunzelnd. Aber bis vor drei Jahren hat sie diese Texte niemandem gezeigt.

"Meine Mutter ist meine ehrlichste, aber auch schärfste Kritikerin", beichtet Lisa. Und darüber ist sie froh. Bevor ein Text auf die Bühne kommt, legt sie ihn ihrer Mutter vor. Aber auch Lisa ist mit sich selbst sehr kritisch und möchte nur Texte veröffentlichen, von denen sie zu einhundert Prozent überzeugt ist. Deshalb nimmt sie nicht ständig an Poetry Slams teil, wählt sie genau aus, fährt spontan zu Slams nach Freising, Regensburg und München. In München gebe es schon eine echt gute Poetry Slam-Szene, findet Lisa. Manchmal sei ihr das allerdings alles zu viel Show und zu wenig Inhalt. Lustig zu sein, das fällt ihr schwerer, als ernste Texte und Gesellschaftskritik zu formulieren, gibt die 21-Jährige zu.

So war sie schon immer, sagt sie. Für ihr Studium der Ethnologie pendelt sie zur Zeit von Erding nach München. Sie ist in Erding aufgewachsen, hat die Kreisstadt aber bereits nach dem Abi für ein gutes halbes Jahr verlassen, um mit einer Freundin die Welt zu entdecken. In Südostasien fand sie Indien besonders inspirierend. Und sie möchte wieder weg. Für das Studium nach Leipzig. Wenn man einmal länger weg war, bleibe dieses Gefühl, wieder los zu müssen, sagt Lisa. Wohl, weil sie sich gerade selbst in einer Um- und Aufbruchphase in ihrem Leben befinde, lese sie gerne Bücher, welche eben diese Sinnfindung zum Thema hätten, vermutet Lisa. Richtige Bücher müssen es sein, keine Digitalausgaben, meint die gebürtige Erdingerin. Da sei sie vielleicht ein bisschen altmodisch. Oder idealistisch. Wie man's nimmt.

Den Sinn des Lebens zu finden - das ist in gewisser Weise auch der Grund, weshalb Lisa an Poetry Slams teilnimmt. Um sich und ihre Texte auszuprobieren und zu testen. Zum ersten Mal präsentierte sie der Öffentlichkeit eine ihrer Geschichten bei ihrer Abiturfeier. Und obwohl die Texte im Allgemeinen gut ankommen, bleiben bis zum Schlussapplaus Zweifel, ob das überhaupt rüberkommt, was ich sagen möchte, gibt Lisa zu.

Auch beim nächsten Erdinger Poetry Slam am 1. Februar möchte Lisa wieder dabei sein, wieder etwas rüberbringen. Allerdings weiß sie noch nicht, ob sie auch tatsächlich genug Zeit findet, den Auftritt vorzubereiten und ihren Vortrag einzustudieren. Das stelle man sich leichter vor, als es tatsächlich ist, meint sie. "Es kostet unglaublich viel Zeit, die Texte auswendig zu lernen und sie so einzustudieren, dass auch ankommt, was ich sagen möchte". An Themen, die es sich öffentlich anzusprechen lohnt, mangele es ihr niemals.

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