Seit Samstagvormittag erinnert ein Denkmal an die weit mehr als 8000 Männer, Frauen und Kinder, die von 1939 bis 1945 im Landkreis Erding als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden. Die vom Oberdinger Bildhauer Wolfgang Fritz geschaffene Stele aus Corten-Stahl steht nördlich von Eichenkofen, wo seit 2014 an einem sogenannten authentischem Ort bereits zwei Aspekten der Erdinger Geschichte gedacht wird. Ein kleiner Hügel neben dem Radweg nach Berglern verweist darauf, dass hier einmal ein Hügelgräberfeld aus der Bronzezeit war. Auf einer Infotafel steht außerdem zu lesen, dass Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg im nahen Riemer Hölzl in einem Barackenlager lebten. Das neue Denkmal steht ebenfalls dort, weil etwa 800 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in demselben Barackenlager hausen mussten.
Vier Opfer stehen stellvertretend für unzählige Leidensgenossen
Die Stele greift die Form einer Baracke auf, vier Wände und ein schräges Dach. Auf jeder Seite zeigt sie in Glasfenstern vergrößerte Abbildungen originaler Zwangsarbeiterkarteikarten, die das Arbeitsamt Erding angelegt hatte. Auf den Karten stehen die Personendaten von Jadwiga Przybysz, Anastasia Poljanskaja, Theodor Pawlenko und Piotr Kulius. Herkunftsland und Heimatort, Namen und Geburtstag, Beruf, Familienstand und Religionszugehörigkeit, dazu die Fingerabdrücke ihrer Zeigefinger sowie ein mit einem Hakenkreuz-Adler abgestempeltes Passfoto. Die Vier stehen stellvertretend für ihre vielen Tausend Leidensgenossen.
Unterhalb der Karteikartenfenster stehen kurze und längere Texte: Die Mahnung "Erinnerung zulassen, Unrecht benennen, Menschenrecht schützen", eine thematische Zusammenfassung zum System der NS-Zwangsarbeit, ein bekanntes Zitat des Shoah-Überlebenden Max Mannheimer sowie eine Aussage einer Zeitzeugin. Die heute betagte Frau hatte in ihrer Kindheit oft gesehen, wie eine Menge Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter an ihrem Elternhaus vorbei kamen: "Ich erinnere mich, als Kind von zehn Jahren jeden Morgen diesen Zug gesehen zu haben, die vielen Menschen, die bei uns vorbeigingen Richtung Erding. Da war etwas nicht richtig, das hab' ich auch als Kind gespürt."
"Es gab keinen Betrieb im Landkreis, der keine Zwangsarbeiter hatte."
Das ist eine starke und frappierende Aussage. Denn während ein Kind das Unrecht spürte, befand die Mehrheit in Nazi-Deutschland es offenbar als legitim, andere Menschen zu Arbeitssklaven zu machen. Der Einsatz der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erlaubte und erleichterte es den Deutschen, einen verbrecherischen Krieg zu führen und Millionen Menschen aus rassistischen Motiven zu ermorden. "Es gab keinen Betrieb im Landkreis", betonte der Historiker Giulio Salvati in seiner Ansprache bei der Denkmalenthüllung, "der keine Zwangsarbeiter hatte".
Giulio Salvati hat in den vergangenen Jahren mit einem Ehrenamtlichen-Team eine Datenbank auf www.erding-geschichte.de aufgebaut und so den Ausgebeuteten bereits ein digitales Denkmal gesetzt. Als die Forschungsergebnisse im Mai 2021 öffentlich präsentiert wurden, waren schon weitere interessierte Gruppierungen daran beteiligt. Die Pax-Christi-Gruppe Erding-Dorfen trieb schließlich die Erstellung des Denkmals voran, sammelte Spenden und holte die Stadt Erding mit ins Boot, die einen Teil der Kosten übernahm.
Zur Enthüllung am Samstag waren etwa 90 Personen gekommen. Neben Gesine Götz sowie Monika und Josef Schwarzenböck von Pax Christi sprachen Giulio Salvati, Bildhauer Wolfgang Fritz und Oberbürgermeister Max Gotz. Stephan Glaubitz und Claudia Góndola de Hackel spielten mit Kontrabass und Querflöte wunderschöne, der traurig-nachdenklichen Stimmung entsprechende Musik. Am Ende des kleinen Festakts ergriff eine aktuell aus der Ukraine geflüchtete Frau das Wort. Iryna Petrova sagte, auch ihr Großvater sei Zwangsarbeiter in Deutschland gewesen. Sie wisse nicht wo und was er arbeiten musste und wie es ihm erging. Aber sie erkenne angesichts des Denkmals nun eines: "Ich weiß jetzt, dass niemand vergessen wird - auch mein Opa nicht."