Erding:Wie ein Polizeichef Gerüchte über Flüchtlinge bekämpft

Erding: Kein Anlass zur Sorge: Familien gehen im Warteraum Asyl ins Begrüßungszelt.

Kein Anlass zur Sorge: Familien gehen im Warteraum Asyl ins Begrüßungszelt.

(Foto: Renate Schmidt)

"Die allgemeine Hysterie ist nicht begründet", sagt der Inspektionsleiter von Erding. Sogar eine Aussage des Landrats muss er widerlegen.

Von Sebastian Fischer

Hinter dem Schreibtisch von Anton Altmann hängt eine blaue Pflugschar. Dem Leiter der Erdinger Polizeiinspektion liegt seine Heimat am Herzen, deshalb macht er seine Arbeit jeden Tag unter dem Stadtwappen. Und deshalb ist ihm sehr wichtig, was er über Erding sagt: "Wir sind weltoffen. Das ist eine Errungenschaft, die wir nicht so einfach preisgeben sollten." Eine Errungenschaft, um die sich Altmann, 59, in diesen Tagen manchmal sorgt.

Gerüchte, die angebliche Konsequenzen deutscher Weltoffenheit anprangern, haben gerade Hochkonjunktur. Besorgte Bürger raunen es sich auf der Straße zu, tippen es in Facebook-Kommentarspalten: Die Flüchtlinge seien eine Gefahr für die Sicherheit, viele seien kriminell. Die Polizei, heißt es dann oft, würde Straftaten von Asylbewerbern der Öffentlichkeit vorenthalten. In Erding ist es Altmann, der jeden Tag darüber entscheidet, welche Polizeieinsätze öffentlich gemacht werden. Er sagt: "Die Probleme, die immer unterstellt werden, sind einfach nicht da."

"Hysterie ist nicht begründet"

Vor einer Woche hat das Bundeskriminalamt erstmals Untersuchungen zu den Auswirkungen der hohen Zahl an Flüchtlingen auf die Kriminalität in Deutschland veröffentlicht. Fazit: Straftaten durch Zuwanderer haben kaum zugenommen, Flüchtlinge begehen meist Bagatelldelikte. Für Erding gibt es keine Zahlen, sie seien noch nicht entsprechend ausgewertet, sagt Altmann. Man muss ihm also glauben, wenn er sagt: "Die allgemeine Hysterie ist nicht begründet."

Dass es keine Probleme gibt, stimmt jedoch auch nicht. Im Juni ereignete sich ein dramatischer Vorfall in der Flüchtlingsunterkunft in Eittingermoos. Die Kripo Erding ermittelte gegen einen Mann, der mit einem Messer auf sein Opfer eingestochen hatte. Vor wenigen Tagen wurde Anklage wegen versuchten Mordes erhoben. Der Vorfall ist in seiner Tragweite im Landkreis jedoch wohl einzigartig.

Meist sind es nur Streitereien

Es gibt Probleme, wenn fremde Menschen auf engem Raum zusammen leben - sagt auch Altmann. Dafür brauche es nicht einmal verschiedene Nationalitäten. Doch meist handelt es sich um Streitereien wie in den Containern am Korbinian-Aigner-Gymnasium , ebenfalls im Juni: Ein Afghane konnte nicht schlafen, weil sein Mitbewohner, ein Senegalese, nachts kochte und Musik hörte. Einer schlug den anderen mit einem Stuhl. Im Oktober wurde das Verfahren eingestellt.

Viel mehr Einsätze als früher habe die Polizei wegen der Flüchtlinge im Landkreis nicht zu verzeichnen, sagt Altmann. Meist seien es Ruhestörungen oder leichte Körperverletzungen im sogenannten sozialen Nahbereich. Und die, das ist entscheidend, halte er keineswegs vorsätzlich zurück. Wenn doch, geschehe dies in den vereinzelten schweren Fällen aus ermittlungstaktischen Gründen, oder die Tat sei eben nicht von öffentlichem Interesse: "Mann schlägt Frau - wen interessiert das?"

Ein Märchen macht die Runde

Erding: Polizeichef Anton Altmann entscheidet, welche Polizeieinsätze öffentlich gemacht werden.

Polizeichef Anton Altmann entscheidet, welche Polizeieinsätze öffentlich gemacht werden.

(Foto: Peter Bauersachs)

Die Geschichten, die über angebliche Straftaten von Flüchtlingen erzählt werden, sind zahlreich. Altmann sagt, ihn habe vor kurzem ein Bürger angerufen und gefragt, ob das stimme, was er da gehört habe: Dass ein Asylbewerber eine Jacke für 450 Euro habe kaufen wollen, nur 400 Euro dabei hatte, aber die Jacke nicht ausziehen wollte.

Da seien Polizisten ins Kaufhaus gekommen, so der Anrufer, und hätten gesagt, sie könnten auch nichts machen, das Landratsamt werde schon zahlen. "Liebe Leute", sagt Altmann: "Wer ein bisschen nachdenkt, weiß doch, dass das gar nicht sein kann. Da fehlt mir das Verständnis."

Das Märchen von der Jacke hat offensichtlich die Runde gemacht. Selbst Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) sprach es am Donnerstag bei der Bürgerversammlung in Wartenberg an: Das sei natürlich frei erfunden, sagte er. Doch andererseits ist es Bayerstorfer, der mit seiner Rhetorik Gerüchte aufwärmt. Bei einer CSU-Veranstaltung sprach er über Straftaten in Flüchtlingsheimen. Und er sagte im Gespräch mit der SZ, in der Unterkunft im Erdinger Dr.-Ulrich-Weg habe es eine "Messerstecherei" gegeben: "Da war eine riesige Blutlache." In der Zeitung, so sein Vorwurf, habe er davon nie etwas gelesen.

"So was kommt auch auf dem Volksfest vor"

Spricht man Altmann darauf an, schüttelt er verdutzt den Kopf. Ein Messer sei definitiv nicht benutzt worden. Am Abend des 24. September hätten Flüchtlinge Geburtstag gefeiert, es sei Alkohol geflossen und irgendwann habe sich ein Pärchen gestritten. Ein Mann habe schlichten wollen und sei von einem anderen Mann mit einer abgeschlagenen Bierflasche angegriffen worden. Er zog sich eine Schnittwunde an der Hand zu. Ein Dritter sei geschubst worden und mit dem Rücken in die Scherben gefallen. Die Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung laufen. Doch: "So was kommt auch auf dem Volksfest vor", sagt Altmann.

Das ist das Problem, sagt er: "Jeder Blödsinn wird verbreitet und ist dann plötzlich ein Fakt." Das war auch bei einem Einsatz in Wartenberg der Fall, als bei einem Streit zwischen Hausmeister und Asylbewerbern drei Streifenwagen mit Blaulicht vorfuhren. "Da hieß es dann: wegen der gefährlichen Flüchtlinge." Tatsächlich war es so, dass zufällig die Beamten des operativen Ergänzungsdienst in der Gegend waren und gemeinsam hinfuhren. Der Ergänzungsdienst hilft der Erdinger Polizei bei der Sicherung des Warteraums Asyl am Fliegerhorst. Dessen Einrichtung sei natürlich eine zusätzliche Belastung für seine Beamten. Doch deren Hauptaufgabe ist es, dort den Straßenverkehr zu sichern. Einsätze im Camp habe es bis auf wenige Ausnahmen nicht gegeben, sagt Altmann.

Sicherheitsvorkehrungen werden verstärkt

Während des Gesprächs summt das Handy mit neuen Eilmeldungen aus Paris, die Auswirkungen der Anschläge sind bis in sein Büro in Erding zu spüren. Überall, auch in Oberbayern, würden Sicherheitsvorkehrungen an öffentlichen Plätzen verstärkt, sagt Altmann. Es ist ihm wichtig, zu betonen, dass die Polizei die Sorgen der Bevölkerung ernst nimmt und jedem Hinweis nachgeht. Doch grundlegende Angst vor dem Fremden und vor Flüchtlingen sei etwas anderes, sagt er: "Über die muss man jetzt einfach mal hinwegkommen."

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