Süddeutsche Zeitung

Erding:Ungelöste Kleiderfrage

Wer beim Einkleidetag in der Turnhalle nichts findet, hat Pech gehabt. Flüchtlinge müssen teilweise zu große Sachen mitnehmen oder ihr Anspruch verfällt. In umliegenden Landkreisen ist das anders

Von Katrin Langhans, Erding

Ein Blick in die weiße Tüte des älteren Mannes zeigt nichts Gutes: Da sind Plastik-Winterschuhe drin, die stark riechen. Er packt sie aus und stellt sie neben seinen linken Turnschuh. Sie ragen vier Zentimeter über seinen Fuß hinaus und sind ganz offensichtlich zu groß. "Hätte ich die nicht genommen, hätte ich gar nichts gekriegt", sagt er und zuckt die Schultern.

Er ist einer von 274 Flüchtlingen, die am Mittwoch und Donnerstag in der AWO-Turnhalle in Erding ihren Kleiderschrank fürs nächste halbe Jahr füllen müssen. Das Gesetz schreibt vor, dass Flüchtlingen Kleidung im Wert von monatlich 32,98 Euro zusteht. Wie diese Leistung ausgegeben wird, das entscheiden in der Regel die Städte oder Landkreise. Die Flüchtlinge im Kreis Freising und in München bekommen Gutscheine, die im Landkreis Ebersberg das Geld bar ausgezahlt -- und in Erding gibt es jetzt schon zum vierten Mal eine Kleideraktion, bei der die Flüchtlinge an festgelegten Tagen zweimal im Jahr für 200 Euro Kleidung aussuchen müssen. Nehmen sie nichts, verfällt der Anspruch.

Über das Unternehmen, das die Kleidung stellt, möchte das Landratsamt nicht sagen, die Presse darf nicht rein und auch die ehrenamtliche Flüchtlingshelfer, die bei der Aktion im Mai die Asylbewerber beraten haben, müssen draußen bleiben.

Eine afrikanische Mutter kommt mit vollen Tüten aus der Turnhalle. Sie hat zwar Sachen für ihre kleine Tochter ausgesucht, aber nichts für sich. Sie ist hochschwanger und sagt, sie habe weder warme Pullis noch eine Jacke gefunden, die ihr gepasst hätten. Auch die Hosen ihrer Tochter, das Stück 15 Euro, sind viel zu lang. Sie wird sie wohl umkrempeln müssen. Die Kinderschuhe haben 35 Euro gekostet, sind etwas zu breit, und auch sie riechen nach Plastik. Wer schmal ist oder füllig, besonders klein oder groß, der hat es bei der Kleiderauswahl nicht leicht.

Eine Mitarbeiterin des Landratsamtes beteuert zwar, dass in dem Laster, der vor der Turnhalle parkt, alle Größen vorrätig seien, aber vor allem die Schuhe scheinen ein Problem zu sein. Mehrere Flüchtlinge kommen aus der Turnhalle und haben zu große Schuhe in ihren Plastiktüten. Sie sagen, auch auf Anfrage hätte es keine kleineren Größen mehr gegeben. Und man hätte ihnen geraten, besser diese zu nehmen als gar nichts. Andere wiederum resignieren und verlassen die Turnhalle ohne Einkauf. "Was soll ich mit Schuhen, die nicht passen?", sagt ein junger Mann. Im Umkehrschluss heißt das, dass sein aufsummierter Anspruch auf knapp 200 Euro verfällt.

Maria Brand, ehrenamtliche Mitarbeiterin von Amnesty International, hat sich in einem Beschwerdebrief bereits an Martin Neumayer, den Integrationsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, und an die Sozialministerium Emilia Müller gewandt. Bisher ohne Erfolg. Auch liegen der Regierung Oberbayern diverse Widerspruchsanträge vor. Denn bei der Aktion im Mai mussten sich die Flüchtlinge nicht nur an einen genauen Tag, sondern auch an eine vorgegebene Uhrzeit halten. In dem damals verschickten Bescheid, welcher der Erdinger SZ vorliegt, stand ausdrücklich, dass der Termin verbindlich sei und nicht getauscht oder nachgeholt werden könne. Das galt auch für schulpflichtige Kinder und Asylbewerber, die zu der Zeit Deutschkurse besuchten. Mit Hilfe von ehrenamtlichen Flüchtlingsmitarbeitern formulierten die Betroffenen eine Widerspruchserklärung, in der sie darum baten, nachträglich das Geld in Form von Gutscheinen zu bekommen. Das Landratsamt hat die Widersprüche nach zwei Monaten an die Regierung Oberbayern weiter gegeben. Dort werden sie derzeit bearbeitet, wie die Regierung bestätigt.

Früher gab es in Erding Gutscheine. Diese wurden 2013 abgeschafft. Laut dem Landratsamt hat es Klagen aus Geschäften gegeben. "Ich verstehe das einfach nicht, so schließen wir die Flüchtlinge aus dem ganz normalen Leben aus", sagt Maria Brand. Gerade jüngere würden gerne auch mal shoppen gehen und sich selber aussuchen, was ihnen gefällt und nicht was da ist. Auch könnten es gerade Neuankömmlinge oft schwer abschätzen, wie kalt der Winter werden würde. Die nächste Kleideraktion soll im Mai 2014 stattfinden. Asylbewerber, die in der Zwischenzeit kommen, erhalten eine Erstausstattung.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2014
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