Erding:Technischer Fortschritt kontra Ordnungspolitik

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Jakob Schwimmer (CSU) diskutiert mit Thomas Gambke (Grüne) über die Grenzen des Wachstums

Florian Tempel

- Als vor 40 Jahre der Club of Rome die Studie "Die Grenzen des Wachstums" von Dennis Meadows präsentierte, war das eine Initialzündung für die Umweltbewegung. In der aktuellen globalen Wirtschafts- und Finanzkrise sowie der rasanten, die Region umwälzenden Entwicklungen im Landkreis Erding haben die Grünen ihr altes Urthema wiederentdeckt. Bei einem Diskussionsabend mit dem Bundestagsabgeordneten Thomas Gambke (Grüne) und dem Landtagsabgeordneten Jakob Schwimmer (CSU) zeigte sich: Wachstumskritik findet, wie viele grünen Themen zuvor, grundsätzlich breite Zustimmung. Doch bei den Lösungsansätzen gehen die Meinungen deutlich auseinander.

Gambke ist Mitglied der von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam eingesetzten Bundestags-Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". 17 Abgeordnete und 17 Fachleute beschäftigen sich seit Ende 2010 mit der Grundsatzfrage, wie gesellschaftlicher Wohlstand, individuelles Wohlergehen und nachhaltige Entwicklung heute angemessen definiert werden können.

Dass die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) kein ausreichender Maßstab mehr ist, darüber herrsche "breiter Konsens", berichtet Gambke. Zum monetären Begriff des BIP müssten weitere Indikatoren kommen, die die soziale Dimension der ungleichen Einkommensverteilung, die ökologischen Auswirkungen des Wirtschaftens und die Teilhabe der Bürger abbildeten. Auch Schwimmer stimmte in diesem Punkt zu: "Das BIP kann in Zukunft nicht mehr der große Maßstab sein."

Warum das BIP nicht mehr taugt, legte Gambke mit Erläuterungen zu "Entkopplung" und den "Rebound-Effekt" dar. Dass ein immer stärkerer Ressourcenverbrauch grundsätzlich problematisch ist, ist längst Allgemeinwissen. "Kleines Einmaleins" sei das, sagte Gambke: Wenn sich alle Chinesen Auto anschaffen würden, steigerte dies zwar das Wirtschaftsleistung gewaltig. Doch die negativen Konsequenzen wären ebenso global und massiv. Entkopplung bedeute, wie sich Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch lösen kann. Verkompliziert werde die Sache dadurch, dass ein zunächst geringerer Rohstoffbedarf aufsummiert größer als zuvor werden kann. Beispiel: Autos die nur noch drei Liter Benzin bräuchten, könnten ihrer Fahrer dazu verleiten, mehr als doppelt soviel wie früher durch die Gegend zu fahren.

Was gilt es zu tun? Gambke vertrat den Standpunkt, man müsse durch Ordnungspolitik "stärkere Bremsen einbauen". Eine konkrete Idee zum Stromverbrauch: Haushalte sollte die ersten 500 Kilowattstunden zu einem sehr günstigen Preis bekommen, danach aber kräftig mehr zahlen. Schwimmer befand das als eine überlegenswerte Idee, die er sich "durchaus vorstellen kann". Allerdings machte er auch deutlich, dass er und seine Partei prinzipiell relativ wenig von ordnungspolitischen Eingriffen halte.

Schwimmer setzte der grundsätzlichen Wachstumskritik den Gegenbegriff eines "qualitativen Wachstums" entgegen. Das könne vor allem durch neue fortschrittliche Technologie erreicht werden, die ressourcenschonender und ökologischer seien müssten. So gesehen müsse Wachstum kein negativer Begriff sein. Aus dem Publikum - es waren etwa fünfzig Interessierte gekommen -, kamen nachdenkliche Stimmen. Grünen-Kreisrat Stephan Glaubitz räumte ein, "man darf Wachstum nicht mit Entwicklung verwechseln". Und Heiner Müller-Ermann, Dorfener SPD-Stadtrat und Anti-A 94-Aktivist, gab mit Hinblick auf die globale Dimension des fortschreitenden Weltwachstums zu bedenken: "Kann ich jemand anderem Ratschläge geben, wenn ich ganz oben auf der Fettsuppe schwimme?"

© SZ vom 15.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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