Süddeutsche Zeitung

Erding:Solidarität mit der Innung bröckelt

In Erding sinkt die Zahl der Betriebe, die in der Handwerkerschaft organisiert sind. Viele sehen sich als Einzelkämpfer.

Charlotte Theile

"Solidarität und Loyalität sind schon weniger geworden" sagt Friseurmeister Herbert Kuliga nachdenklich. Fast 2300 Handwerksbetriebe gab es 2011 in Erding, mehr als je zuvor, - und doch sinkt die Zahl der Betriebe, die in einer Innung organisiert sind, kontinuierlich. Das merkt auch Friseurmeister Kuliga. "Viele sehen sich heute als Einzelkämpfer und glauben, sie brauchen die Innung nicht mehr."

Die Beiträge sind mir zu hoch - und die Innung tut sowieso zu wenig", findet Thomas Huber, 33, Zimmerermeister aus Erding. Der junge Unternehmer hat keine Lehrlinge, die von den Offerten der Handwerkerschaft profitieren könnten - außerdem überzeugt ihn das Angebot des Verbands nicht. Heinrich Traublinger (CSU), Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern beobachtet das immer häufiger: "Junge Meisterinnen und Meister fühlen sich den Verbänden nicht mehr so zugehörig. Wenn sie eintreten, dann erwarten sie auch entsprechende Leistung für ihr Geld."

Georg Lippacher, Obermeister der Erdinger Zimmererinnung, findet dagegen, dass die Leistung stimmt. Immer wieder hätten die Handwerker-Vertreter Vorteile für alle herausgehandelt, diese zu nutzen ohne zu zahlen, das sei "Trittbrettfahrermentalität". "Eigentlich bräuchten wir eine Pflichtmitgliedschaft", meint er. Präsident Traublinger hält dagegen größere Zusammenschlüsse für sinnvoll. "Wenn man sich überregional zusammentut, kann man den Mitgliedern oft mehr bieten, als das ein Landkreisverband kann." Friseurmeister Kuliga vermutet, dass dies auch in Erding ein Problem sein könnte. "Schon möglich, dass manche das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht überzeugt." Er selbst war lange Obermeister der Friseurinnung. "Wir haben viel erreicht für unsere Mitglieder - zum Beispiel, dass Friseure bei der Arbeit Handschuhe tragen müssen. Das reduziert die Gefahr von Hautkrankheiten erheblich." Nutznießer sind dann natürlich alle, auch die, die keinen Mitgliedsbeitrag bezahlen. "Größere Ketten spekulieren genau darauf und sind nur mit einem Einzelgeschäft Mitglied, um zu sparen", berichtet der Friseur. Ohnehin gebe es mittlerweile so viele unterschiedliche Geschäftsformen, dass Solidarität schwierig sei.

Während manche Berufsstände über Mitgliederschwund klagen, sind Bäcker und Metzger nach wie vor gut organisiert. Bei Friseuren, Schreinern oder Zimmerern sieht das deutlich anders aus. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, glaubt Verbands-Chef Traublinger. "So wurde durch die Handwerksnovelle im Jahr 2004 der Meistervorbehalt für mehr als 50 Berufe geändert - das bedeutet, dass sich heutzutage viele selbstständig machen, die keinen Bezug mehr zum Handwerk haben." Der Impuls, der Innung beizutreten sei dementsprechend schwächer. "Auch in Erding gibt es immer mehr Einzelunternehmer", bestätigt Kreishandwerksmeister Rudolf Waxenberger. Betriebe, die nur wenige Mitarbeiter haben und nicht ausbilden, tun sich häufig schwer mit der Mitgliedschaft.

Die eigene Attraktivität auch in Zeiten des Umbruchs behaupten, das ist die große Herausforderung für die Erdinger Handwerkerschaft. Fast jeder Betrieb klagt über die Suche nach geeigneten Auszubildenden, dabei steht der Landkreis im regionalen Vergleich noch relativ gut da. 42 Prozent aller Auszubildenden sind im Handwerk tätig - in Oberbayern liegt dieser Wert nur bei 30 Prozent. Doch wie überall sind auch im Landkreis Erding die Zahlen rückläufig - das liegt unter anderem daran, dass immer mehr Schüler einen Abschluss mit Studienberechtigung machen - sie entscheiden sich eher für die Universität als für eine handwerkliche Ausbildung.

Im letzten Jahr ging es durch den doppelten Abiturjahrgang und die Aussetzung der Wehrpflicht noch relativ gut", erzählt Kreishandwerksmeister Waxenberger, "doch in Zukunft werden wir die Auswirkungen des demografischen Wandels mit voller Härte zu spüren bekommen."

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Quelle:
SZ vom 30.05.2012
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