Cannabisgesetz:„Wir sind in einem offenen Prüfvorgang“

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Das sind biologisch gesehen gut gewachsene Cannabispflanzen - aber kein Cannabis im Sinne des Konsum-Cannabis-Gesetzes, sondern durchweg legaler Nutzhanf. (Foto: Renate Schmidt)

Nach der Razzia auf dem Sinnflut-Festival räumt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft nun ein, dass man selbst nicht wisse, ob der Handel mit Cannabis-Stecklingen legal oder illegal ist.

Von Florian Tempel, Erding

Als die Polizei am Montag vor einer Woche auf dem Sinnflut-Festival mehrere Dutzend Cannabis-Stecklinge beschlagnahmt hat, erschien das doch wie eine ziemlich ruppige Law-and-Order-Aktion. Ohne sich auf eine Diskussion einzulassen, waren die Polizeibeamten zur Tat geschritten, hatten am Verkaufsstand des Hanf-Unternehmers Wenzel Cerveny 56 kleine Pflänzchen mit einer Zange abgezwickt, eingetütet und mitgenommen. Ganz schön sehr rigoros, wo doch am 1. April Cannabis in Deutschland legalisiert worden ist.

Nun räumt Oberstaatsanwalt Stefan Mayridl, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Landshut, ein, dass man sich in der Sache keineswegs sicher sei. Man könne derzeit nicht einmal sagen, ob oder in welchem Umfang ein strafbarer Gesetzesverstoß vorliege. Möglicherweise sei es so, möglicherweise nicht. Kurz gesagt habe die schon vielfach beklagte Ungenauigkeit des Cannabisgesetzes die Staatsanwaltschaft Landshut zu der Beschlagnahmung veranlasst. Es sei eben aktuell nicht klar, ob der Handel mit kleinen Cannabis-Pflänzchen, sogenannten Stecklingen für die private Aufzucht zu Hause, legal oder illegal ist.

Zwar wollten weder er noch seine Kolleginnen und Kollegen bei der Staatsanwaltschaft „etwas verfolgen, was nicht sein muss“, sagt Mayridl. Auf der anderen Seite sei es jedoch „auch Aufgabe der Staatsanwaltschaft unklare Rechtsfragen zu einer Klärung zu führen“. Das mit der Sicherstellung der Cannabis-Stecklinge in Erding begonnene Ermittlungsverfahren trage dazu bei. Letztlich müssten offene Fragen, die das neue Cannabisgesetz nicht eindeutig beantworte, wohl von Gerichten geklärt werden – und zwar bis hinauf zu den höchsten Instanzen.

„Wir haben derzeit ein bisschen so den Schwarzen Peter“, sagt Mayridl. Der Oberstaatsanwalt will es nicht aussprechen, gibt es aber indirekt zu: Womöglich stellt sich bereits im Laufe der Ermittlungen heraus, dass die Staatsanwaltschaft die Stecklinge nicht hätte konfiszieren dürfen. Mayridl sagt es so: „Wir sind in einem offenen Prüfvorgang, der Ausgang ist offen.“

Zur Begründung des schnellen und kompromisslosen Vorgehens auf dem Sinnflut-Festival hätte die Polizei „Gefahr in Verzug“ angegeben, sagte Cerveny der Süddeutschen Zeitung. Mayridl macht nun deutlich, worum es dabei ging: Die Staatsanwaltschaft hat die eingesackten Pflänzchen für eine Untersuchung ins Labor geschickt. Dort wird jetzt untersucht, ob und wie viel vom Drogenwirkstoff THC in den Stecklingen ist. Zu erwarten ist allerdings, dass so gut wie nichts in den dünnen Stängeln und den ersten Blättchen enthalten ist. Wenn jedoch kein THC drin ist, ist es kein Cannabis im rechtlichen Sinne – und kann auch nicht strafbar sein.

Nach Ansicht des Rechtsanwalts Kai-Friedrich Niermann, der die Cannabis-Unternehmer wie Wenzel Cerveny berät, ist der Handel mit Stecklingen gerade aus diesem Grund zulässig und legal. Er hat ein „Cannabissamen- und Stecklingsgutachten“ verfasst und beruft sich auf das neue Cannabisgesetz. Das macht zwar herzlich wenig Aussagen zur allgemeinen Frage, ob Stecklinge einfach so gehandelt werden dürfen. Doch genau da setzt Niermanns Argumentation an.

Niermann schreibt in seinem Internet-Blog: „Solange kein Blüten- oder Fruchtstand vorhanden ist, ist ein Steckling Vermehrungsmaterial im Sinne des Gesetzes, und Vermehrungsmaterial ist ausdrücklich von der Definition von Cannabis ausgenommen. Das Gesetz kennt keine weiteren Tatbestandsmerkmale, die für die Abgrenzung herangezogen werden könnten, wie zum Beispiel die Größe oder das Alter der Pflanze.“ Der Handel müsste demnach – gerade weil nichts Gegenteiliges im Gesetz stehe – prinzipiell erlaubt sein. Das mache eh Sinn, schreibt Niermann: „Es ist gerade Ziel des Gesetzes, den Eigenanbau als Teil der Strategie zur Bekämpfung des illegalen Marktes zu erlauben. Soll dieses Ziel erreicht werden, muss auch ausreichend Vermehrungsmaterial für Konsumentinnen und Konsumenten zur Verfügung stehen.“

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