Süddeutsche Zeitung

Erding:Schwer überschaubares Testgeschehen

Die statistische Erfassung soll beim Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit erfolgen. Dort liegen sie aber für den Landkreis nicht vor. Auch die Zahl der positiven Schnelltests ist intransparent

Von Charlotte Nachtmann, Erding

Wie die Pilze aus dem Boden sprießen seit Anfang März die Corona-Schnelltestzentren auch in Erding. Laut Gesundheitsamt dürfen derzeit 17 Stellen im Landkreis kostenlose Bürgertestungen durchführen. Auf der Internetseite des Landratsamts sind inklusive Münchner Flughafen sogar 19 Teststellen aufgeführt. Zehn davon werden von Apotheken betrieben, zwei von den Maltesern. Hinzu kommen private Testzentren, deren Betreiber nicht unbedingt einen Hintergrund aus dem Gesundheitswesen brauchen. Eine Kooperationsvereinbarung mit einem Fachkundigen und eine Schulung des Testpersonals reichen aus.

In Verruf geraten sind die Schnellteststellen nachdem am Freitag, 28. Mai, Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR Recherchen über einen möglichen Abrechnungsbetrug veröffentlicht haben. Im Zentrum stand der Bochumer Testzentrenbetreiber MediCan. Danach wurden weitere Verdachtsfälle aus NRW und Bayern bekannt.

Seit dem 8. März hat jeder Bürger Anspruch auf einen kostenlosen Corona-Schnelltest in der Woche, dessen Ergebnis ihm darüber hinaus zertifiziert wird. Wie viele dieser Bürgertests im Landkreis Erding bisher durchgeführt wurden, ist nicht herauszufinden. Das Gesundheitsamt Erding schreibt auf Anfrage, dass die statistische Erfassung beim Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) erfolge. Eine Nachfrage beim LGL ergab, dass dort die Zahlen für den Landkreis nicht vorlägen. Trotz ungeklärter Zuständigkeit nannte das Gesundheitsamt doch noch eine Zahl von knapp 25 000 Tests, die "durch die Leistungserbringer an das LGL gemeldet" worden seien. Eine Nachfrage bei verschiedenen Schnelltestanbietern in Erding lässt an der Aktualität dieser Zahl jedoch zweifeln. Alleine die drei Teststandorte der Ochsner Apotheken (Apotheke im SemptPark, Erdinger Rathaus Apotheke und Schubert Apotheke Taufkirchen), hätten seit Beginn der Testungen zusammen 12 000 Schnelltests durchgeführt, wie Michael Fischer, Apotheker und Filialleiter der Apotheke im SemptPark berichtet. Die Coronateststelle Erding, die auch einen Standort am Hagebaumarkt in Erding sowie einen in Hallbergmoos unterhält, gibt an, bisher um die 20 000 Bürgertests durchgeführt zu haben. Auch über die Anzahl der positiven Schnelltests, die dem Gesundheitsamt Erding eigentlich übermittelt würden, konnte die Pressestelle des Landratsamtes bis Montagnachmittag keine Auskunft geben.

Während in Zusammenhang mit Testzentrenbetreibern wie MediCan von Geldgier die Rede war, kann sich Dieter Gerlspeck "vor Lachen nur den Bauch halten", sagt er am Telefon. Seit gut zwei Wochen betreibt Gerlspeck Erdings einziges Drive-in-Testzentrum. Finanziell erfolgreich würde das Testen erst in einer ganz anderen Größenordnung, wenn Unternehmen zig Testzentren betrieben und 5000 bis 6000 Tests pro Tag abrechnen könnten, so Gerlspeck. Pro Test kann er bis zu sechs Euro Sachwert und zwölf Euro für die Durchführung und Dokumentation bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) abrechnen. Für den Einkauf der Tests nennen Michael Fischer und Michael Cripok Preise von um die fünf Euro pro Stück. Aufgrund landkreisübergreifend agierender Testanbieter sah sich die KVB allerdings nicht in der Lage, die bisher in Erding durchgeführten und abgerechneten Tests "auseinander zu dividieren".

Kritisiert wurde in Zusammenhang mit dem möglichen Abrechnungsbetrug, dass es nicht genügend Kontrollen und keine Nachweispflicht über die erbrachten Leistungen gebe. Michael Cripok von der Coronateststelle Erding, Dieter Gerlspeck und Michael Fischer bestätigen, dass sie lediglich die Anzahl der durchgeführten Tests angeben müssen. Intern hätten alle drei Testanbieter jedoch den Datenschutzrichtlinien entsprechende Dokumentationen angelegt, auf die sie im Falle von Kontrollen zurückgreifen könnten. Michael Cripok befürwortet Kontrollen sogar, um "alles transparenter zu machen".

Doch sind die vielen Testzentren überhaupt noch notwendig angesichts des Wegfalls einer Testpflicht in vielen Bereichen? Cripok und Gerlspeck konnten in ihren Testzentren bisher keinen Rückgang der Nachfrage feststellen. Nur Michael Fischer berichtet von einem leichten Rückgang. Dass die Bürgertests von Anbietern ohne medizinischen Hintergrund durchgeführt und zertifiziert werden dürfen, erachtet der Apotheker als ambivalent: Am Anfang sei der Bedarf hoch, aber das Angebot nicht ausreichend gewesen. Dennoch hält er es nicht für den richtigen Weg, die Barrieren für die Öffnung eines Testzentrums zu senken und einen Qualitätsabfall zu riskieren. Die Hygienemaßnahmen und die korrekte Durchführung in anderen Testzentren könne er aber nicht beurteilen.

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SZ vom 01.06.2021
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