Süddeutsche Zeitung

Reisebüros in Erding:"Es ist ein Trauerspiel"

Die Reisebüros im Landkreis hängen inmitten der Corona-Krise komplett in der Luft. Außer Stornierungen gibt es aktuell nichts zu verbuchen. Die Kunden sind verunsichert, aber auch die Branche selbst ist ratlos. Mancher hofft nun, dass zumindest in Österreich bald wieder was geht

Von Gerhard Wilhelm, Erding

"Wir hätten so einen schönen Job, aber zurzeit ist er wirklich nicht schön", sagt Angelika Huber, Leiterin des Geschäftsbereichs Reisebüros bei Scharf. Und so sehen das alle Reisebüros im Landkreis Erding. Geld kommt keines in die Kasse, im Gegenteil: Durch die Stornierungen fällt jede Menge Arbeit an; und Geld, für das man bereits Leistungen in Form der Vermittlungen erbracht hat, muss zurückgezahlt werden. Zudem hängt die Branche völlig in der Luft, was das Datum betrifft, wann man wieder verreisen darf.

Was Reisen betrifft, gehe momentan "nichts", sagt Huber. "Im Grunde arbeiten wir, um das Geld auszugeben. Wir wickeln die Stornierungen bei den Veranstaltern ab, wir zahlen alles zurück, was bereits für Reisen gezahlt wurde. Bei uns selber fließt das Geld leider nur bei Abreise, wenn die Reise tatsächlich stattfindet." Anrufer, die sich nach Reisen erkundigen, gebe es nur sehr wenig. "Die Leute sind alle verunsichert, weil es einfach keinen Termin gibt, an dem man wieder fortfahren darf. Da ist vielleicht mal einer dabei, der nach Österreich fahren will, aber nur vielleicht. Es ist wirklich ein Trauerspiel." In den beiden Reisebüros herrsche Kurzarbeit, täglich von 10 bis 16 Uhr. "Alle arbeiten viel weniger. Im Grunde zahlen wir momentan drauf, alle Reisebüros. Da ist die Arbeitsleistung, die ganze Ausstattung, wie Toner, Papier, Telefon, Strom und vieles mehr. Im Gegenzug kommt nichts rein, es geht nur um die Abwicklung für den Kunden, dass der vom Veranstalter wieder sein Geld bekommt. Das ist momentan unsere Aufgabe."

Zurzeit sei alles sehr deprimierend. Die Leute seien total verunsichert, sie würden auch gerne fahren. Dazu handhabe jeder Veranstalter die Sache anders, es sei keine Linie drin. Außerdem bekomme der Staat keine Gutscheinlösung hin, was dazu führe, dass eben die Kunden auf eine Rückzahlung beharren. "Das müssen wir uns alles anhören."

"Die Vorfreude und das Kribbeln im Bauch, bevor eine Reise beginnt, ist vergleichbar mit dem Gefühl eines Künstlers vor einer weißen Leinwand. Eine Leinwand, die gefüllt werden will mit kreativen und individuellen Ideen." So heißt es auf der Homepage des Reiseateliers Erding. Die Realität sieht anders aus. "Prinzipiell haben wir eine sehr schwierige Zeit. Wir haben alle Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Zwei sind auf 50 Prozent, alle anderen auf 100. Ansonsten ist nur noch meine Partnerin in der GmbH, Corinna Gunst, da. Wir versuchen derzeit die Flut der Annullierungen und Umbuchungen so gut wie möglich abzuwickeln. Ansonsten sind wir einfach für unsere Kunden da, geben Auskunft und hören uns ihre Sorgen an, was auch verständlich ist", sagt Karin Keller. "Wir stehen im Prinzip in erster Front." Dabei müsse gleichzeitig immer auf Anweisungen der Reiseveranstalter oder Airlines warten, sagt Keller.

"Man kann sich gar nicht vorstellen, was diese Rückabwicklung bedeutet, diese Millionen an Flugtickets, die können gar nicht so schnell reguliert werden, zumal alle Touristiker in Kurzarbeit sind." Zwischen der Verkündigung einer Reisewarnung bis zum Anruf beim Reisebüro vergehe oft keine Stunde. "Wir hören dann vom Kunden, dass sie gehört haben, dass man alle Reisen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt stornieren kann. Aber so schnell kann gar kein Reiseveranstalter aber reagieren."

Wenn sich nicht bald was tue, werde es sehr schwer für Reisebüros, die Krise zu überstehen. Zudem sei es ungewiss, wie das Reisen in Zukunft aussehen werde. "Wir gehören schon zu den Ärmsten in der Branche." Es sei immer von den Gaststätten, Hoteliers und Veranstaltern die Rede, aber "es ist nicht nur so, dass wir keinen Umsatz machen, sondern uns wird das Geld auch noch weggenommen, für das wir eigentlich schon unsere Arbeit geleistet haben", sagt Karin Keller. "Wir hoffen ja gar nicht, dass es wieder Fernreisen gibt. Aber dass Urlaub im kleinen Stil möglich ist, dass Österreich aufmacht oder Italien, für einen kleinen Strandurlaub. Wir werden mit kleinen Brötchen wieder anfangen müssen."

Voll beschäftigt ist auch Iris Brandhuber vom Tui Reisebüro am Schrannenplatz in Erding. "Wir sind derzeit wegen Stornierungen für die Pfingstferien echt dick drin. Das ist alles nur deprimierend und aufwendig", sagt sie. Dazu gebe es Kunden, die wegen Reisebuchungen im August oder September anrufen würden. Diejenigen, die gerne weg würden, seien in der Minderheit. Es gebe Anfragen, was man ihnen anbieten könne, aber derzeit sei eben alles etwas unsicher.

"Momentan sind wir vor allem als Ansprechpartner für unsere Kunden da, wenn Reisen abgesagt werden", sagt auch Monika Hagl vom gleichnamigen Reisebüro in Dorfen. Man erkläre den Kunden die Sachlage. Zum Beispiel, dass die Reisewarnung jetzt bis Mitte Juni gilt. "Neue Buchungen machen zum jetzigen Zeitpunkt auch keinen Sinn, da man nicht weiß, wie es weiter geht." Tatsächlich würde es aber Kunden geben, die anfragen, ob es Sinn ergebe, derzeit für später im Jahr zu buchen. "Ich kann da nur um Geduld bitten. Es ergibt keinen Sinn, wenn man nicht weiß, ob die Buchung doch storniert werden muss später." Sie selber als Inhaberin des Reisebüros würde zurzeit noch die Stellung halten.

Keine Freude hat auch derzeit Fabio Elentscheff, Inhaber der Flugbörse Erding, an seiner Tätigkeit: "Null Aufträge, nur Stornierungen. Durch die Stornierungen, die auch aufgrund der neuen Reisewarnung auflaufen, verlieren wir unsere Vergütung, die wir rückwirkend wieder zurück zahlen müssen. Das ist bitter." An einer klassischen Pauschalreise würde derzeit überhaupt kein Interesse bestehen. "Wenn jemand anruft, hat er Interesse an einer bestimmten Flugverbindung. Um zum Beispiel zu einem Familienmitglied zu kommen, das im Ausland lebt." Man kann aber auch im Unglück Glück haben: "Wir haben derzeit gar kein Personal. Wir waren kurz vor Ausbruch der Corona-Krise auf Personalsuche, haben aber niemand gefunden. Deshalb ist das Reisebüro derzeit mit den Kompagnon nur inhabergeführt", sagt Fabio Elentscheff. Derzeit geht er davon aus, dass die Flugbörse weiter bestehen bleiben wird. "Die Frage ist, ob man nach Corona weiter leben kann. Inwieweit sich das Reiseangebot verringern wird. Das hängt auch davon ab, wie sich die Branche neu aufstellen wird, was es an Angeboten noch geben wird. In einem Restaurant weiß man, dass man weiterhin alle Speisen anbieten kann, aber bei uns? Das ist ein wenig der Blick in die Kristallkugel."

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SZ vom 06.05.2020
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