Erding nach dem Zweiten Weltkrieg:Integration unerwünscht

Erding nach dem Zweiten Weltkrieg

Erding nach dem Zweiten Weltkrieg: Links vorne ein Gebäude der Molkerei, dahinter im Rohbau ein Behelfsbau des Mayr-Wirt; rechts ist die Hennengasse, die Baulücken weiter hinten sind die Abgeräumten Ruinenstätten der Färberei Rusch und des Paukner-Bäck.

(Foto: Museum Erding, Eugen Press)

In der Zeit von 1945 bis 1951 lebten mehr als 500 geflüchtete Juden in Erding und Umgebung. Hans Niedermayer erzählt in seinem Vortrag von Leben und Leiden der neuen Mitbewohner.

Von Alisa Schmitz

Die goldenen Ringe glitzern in der Sonne, mit schnellen Fingern fliegen Karten durch die Gegend. Erst das Ass, dann der Bube. Verloren. Kein Problem, neues Spiel, neues Glück. Mit Leidenschaft sitzt er da, braun gebrannt am Beckenrand, nur mit Badehose bekleidet und lässt den Tag vergehen. Diese gute Laune, die haben die Erdinger, allen voran Hermann Kraus, in Erinnerung behalten.

Denn draußen, außerhalb des Schwimmbads, sieht die Welt noch etwas anders aus. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, der Veränderung. Zwischen Schutt und Trümmern muss neues Leben entstehen. Nach den Leiden und der Angst folgt das Ungewisse. Abraham Griesgrim zählt zu den 500 Juden, die 1945 nach Erding, ins Ungewisse, kamen. Er war aus Polen geflohen und sah, wie viele, in der kleinen Stadt nur einen Zwischenstopp auf dem Weg hin zum eigenen Staat, zur eigenen Heimat. "Wir haben ihn immer Abraham, der Schwimmbadjud', genannt, weil er immer nur am Wasser saß und Karten spielte.

Zeitzeugen erzählen

Eigentlich war er Uhrenverkäufer, doch auch den ein oder anderen Dollar habe ich bei ihm wechseln können", erinnert sich Hermann Kraus. Als junger Bub hat der 1944 geborene Erdinger viele der Juden kennengelernt, die nicht in den Lagern der UNRRA, der United Nations Relief and Rehabilitation Administration, sondern bei den Erdingern lebten. Knapp 70 Jahre später sitzt er als Zeitzeuge der Nachkriegsjahre unter den vielen Gästen des Vortrags vom Kreisverein für Heimatschutz und Denkmalpflege des Landkreis Erding. Unter dem Titel "Erdings jüdische Mitbürger in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg" referierte der Historiker Hans Niedermayer am Montagabend über seine Rechercheergebnisse und unterhielt das Publikum mit Anekdoten und Geschichten aus einer fremden Zeit.

Die Geschichten handelten vom florierenden Schwarzmarkt gegenüber dem Rathaus, von Wohnungsenteignungen und der großen Frage nach der Integration. "Ich habe schon erwähnt, dass Integration von keiner Seite erwünscht war", erklärt Niedermayer. Doch die Konfrontation mit den vermeintlichen Eindringlingen blieb nicht aus. Die amerikanische Besatzung bestimmte die Zuordnung der KZ-Häftlinge in die Wohnungen der Erdinger Bürger.

Offensichtlich sollten jüdische Flüchtlinge ausgerechnet bei ehemaligen NSDAP-Mitgliedern einquartiert werden. Im November 1945 erhielt beispielsweise die Frau eines ehemaligen örtlichen NSDAP-Vorsitzenden den Bescheid, dass ihr Schlafzimmer mit zwei Betten ab sofort beschlagnahmt sei und ehemaligen KZ-Insassen, den Geschwistern N., zugewiesen werde. Solche Fälle gab es häufig und sie liefen nicht immer glimpflich ab. Zahlreiche Beschwerden über Lärmbelästigung und Beleidigung gingen bei der Polizei und der Stadt ein.

Das Leben musste weitergehen

Doch auch an anderer Stelle berührte sich die jüdische und die deutsche Kultur. Auf dem Schwarzmarkt gegenüber des Rathauses, im Durchgang zum Hof des Greißlbräu, handelten die geflohenen Juden mit amerikanischen Waren und Dollars, während die Deutschen ihnen Geflügel und den Ertrag ihrer Ernte anboten. Die Not, sie brachte die Bürger zusammen. Da wurde auch mal eben der Brunnen im Holzgarten zur Fischzucht umfunktioniert. Das Leben musste irgendwie weitergehen.

Die Erdinger jüdische Gemeinde verfügte bald über jüdische Zeitungen, eigene Schulen und einen jüdischen Fußballverein, Makabi Erding. 1947 holten sie den Meistertitel in der zweiten jüdischen Liga der Rajon München, zum Aufstieg in die erste Liga reichte es allerdings nicht. Im Gasthof zur Post hatte das Jüdische Komitee bis Oktober 1946 seinen Hauptsitz. Neben Büros und einer koscheren Kantine wurde auch ein Raum für jüdische Gottesdienste bereitgehalten. Nach dem Umzug in die Bahnhofsrestauration musste es sich zuletzt im heute nicht mehr existierenden Landshuter Hof einrichten.

Doch das Ziel, die Auswanderung nach Israel, blieb in den Köpfen der meisten Juden bestehen. Im Februar 1951 lebten nur noch 114 Juden in Erding, bis sich die jüdische Gemeinde im Laufe des Jahres endgültig auflöste. "Unser Haus war groß, da haben viele ehemalige KZ-Insassen bei uns gelebt, teilweise bis zu acht Juden gleichzeitig. Und dann hatten sie noch Vieh dabei", erzählt Kraus. Aber die Zeit sei schön gewesen. Er erinnere sich gerne an das gemeinsame Spielen mit den jüdischen Kindern, und auch die Schokolade wurde untereinander geteilt.

"Doch die letzten Juden, die bei uns wohnten, sind '49 ausgezogen. Es gibt leider keinen Kontakt zu ihnen, vielleicht hätte ich den halten sollen." Nur Abraham Griesgrim, der blieb seinem Schwimmbad und seinem Uhrengeschäft treu und lebte bis zu seinem Tod in Erding. Und die goldenen Ringe, ja an die erinnert sich Hermann Kraus auch heute noch.

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