Erding:Motor der Kriminalität

Spielsucht und die dadurch entstehende finanzielle Not sind immer häufiger der Grund für Straftaten wie Erpressung, Betrügereien und Diebstähle. Der Zusammenhang ist nicht sofort erkennbar

Florian Tempel

ErdingAm Amtsgericht Erding häufen sich Fälle, in denen Spielsucht eine oder zumindest die wesentliche Ursache für Straftaten ist. In einem Prozess, bei dem ein spielsüchtiger Familienvater von einem Casino-Besitzer sein über Jahre verzocktes Geld zurückerpressen wollte, hat der Erdinger Strafrichter Stefan Priller nun Alarm geschlagen: "Ich habe den Eindruck, dass sich Spielcasinos, ähnlich wie das bei Alkohol und Drogen der Fall ist, zu einem Motor für Kriminalität entwickeln." Priller betonte, dass er sich damit nicht nur auf Delikte beziehe, die in Spielhallen passieren, wie Überfälle oder die aktuelle Erpressung. Spielsucht und die dadurch entstehende finanzielle Not seien immer häufiger auch der Grund für Straftaten wie Betrügereien und Diebstähle, bei denen der Zusammenhang auf den ersten Blick nicht offensichtlich sei.

Erding: Die Spielsucht hat viele Menschen im Griff, die Folgen sind oft dramatisch

Die Spielsucht hat viele Menschen im Griff, die Folgen sind oft dramatisch

(Foto: EBE)

In Erding gibt es überdurchschnittlich viele Spielhallen. Während der Schnitt im Freistaat bei einer Spielhalle pro 6000 Bürgern liegt, hat die 35 000-Einwohner-Stadt Erding rund 20 Automatencasinos. Dass die Zahl der Spielsüchtigen in Erding ebenfalls überproportional hoch ist, muss da niemanden wundern. Bei der Erdinger Suchtberatung Prop suchten in den vergangenen Jahren doppelt so viele Spielsüchtige Hilfe wie im bayerischen Durchschnitt. Über 80 Prozent der Spielsüchtigen zocken an Automaten. Ein Großteil der von Prop Betreuten ist Schichtarbeiter am Flughafen München.

Während die soziologischen Zusammenhänge bekannt sind, ist die Verknüpfung zwischen der stark gestiegenen Zahl an Spielhallen - seit 2006 gibt es in Bayern einen Zuwachs von 60 Prozent - und Kriminalität erst in jüngster Zeit in den Focus der Politik geraten. Das Bundeskriminalamt hat auf Bitten der Länder Daten zusammengetragen und im vergangenen Jahr eine Bericht mit erschreckenden Zahlen vorgelegt: Von Januar 2008 bis Juli 2010 wurden demnach gegen 13 500 Beschuldigte fast 19 000 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Diese Zahl betraf allerdings nur Delikte, die in Spielhallen oder deren direktem Umfeld begangenen wurde. Zudem fehlten die Daten aus vier Bundesländern.

Bund und Länder haben nun reagiert. Der Glücksspielstaatsvertrag wurde neu gefasst und die Länder habe Ausführungsgesetze erlassen oder vorbereitet. In Bayern ist das Ausführungsgesetz seit dem 1. Juli 2012 in Kraft. Mit verschärften Regelungen soll nicht nur die Spielsucht bekämpft werden, betonte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann vor der Verabschiedung im bayerischen Landtag. Das Gesetz diene auch "der Kriminalitätsbekämpfung". Die wichtigsten Punkte sind: Von 3 bis 6 Uhr müssen Spielhallen schließen; Mehrfachkonzessionen für einen Betreiber sind künftig verboten; Automatencasinos dürfen nicht mehr nebeneinander oder in einem Gebäude liegen, sondern müssen mindestens 250 Meter Abstand zur nächsten Spielhalle haben. Für bestehende Spielhallen gibt es eine Übergangsfrist von fünf Jahren, dann gelten die Bestimmungen allgemein

Der eingangs erwähnte Angeklagte im Prozess am Amtsgericht Erding hat in den vergangenen 20 Jahren nach eigenen Schätzungen 60 000 Euro in den Automaten eines einzigen Casino-Betreibers versenkt. Im August 2011 geriet er unter familiären Druck. Ein nicht krankenversicherter Onkel in der Türkei war schwer erkrankt. "Die Familie hat gesagt, du bist in Deutschland und die wollten Unterstützung von mir." Der 46-Jährige suchte in seiner Verzweiflung den Besitzer seiner Stamm-Spielhalle auf und forderte von ihm Geld, andernfalls werde er alle seine Automaten kaputt schlagen. Richter Priller beließ es bei einer milden Verurteilung zu einer Geldstrafe von 2000 Euro. Denn der Angeklagte hatte ein zuvor unbescholtenes Leben geführt und hat sich von sich aus in psychologische Behandlung zur Bekämpfung seiner Spielsucht begeben.

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