Süddeutsche Zeitung

Erding:Liebe und Verbrechen unter Sternen

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Die Theatergruppe des Ebersberger Trachtenvereins spielt heuer ein Stück mit regionalem Bezug: Im Mittelpunkt der "Doktabäurin" stehen die berüchtigten Haberl-Brüder und ihre Schwester Amalie, geboren in Vaterstetten

Von Anja Blum

Wenn es stimmt, dass "Sex and Crime" Garanten für den Erfolg einer Story sind, dann müssen sich die Ebrachtaler keinerlei Sorgen machen. Das Stück, das die Theatergruppe der Ebersberger Trachtler nun aufführt, bietet allerhand von beidem, Liebe und Verbrechen. "D' Doktabäurin" handelt nicht nur, wie der Titel verrät, von einer Wunderheilerin, sondern auch von ihrer Familie, die eine ganz besondere Sippschaft ist: Die männlichen Angehörigen schreiben als "Haberl-Bande" Geschichte, sie wildern, stehlen, rauben und machen so das ganze Oberland unsicher. "Auch auf die Vernichtung eines Menschenlebens kam es ihnen auf ihren Raubzügen nicht an", schreibt der Autor im Vorwort - und lässt denn auch Blut fließen.

Allzu große Fantasie musste dieser für die Geschichte nicht aufbringen, denn sie beruht auf wahren Begebenheiten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Verbrechen der Haberl-Brüder sind aktenkundig, und ihre Schwester Amalie war eine berühmte Wunderheilerin, um deren Leben sich viele Legenden ranken. Trotz ihrer zweifelhaften Herkunft und obwohl sie von der Ärzteschaft angefeindet wurde, gelang es der "Kurpfuscherin", mit ihrer therapeutischen Kunst ein Heilbad in Mariabrunn bei Dachau erfolgreich wiederzubeleben. Das sprach sich herum, es kamen die höchsten gesellschaftlichen Kreise, sogar Kaiserin Sissi soll Amaliens Rat eingeholt haben. 1878 starb die Wunderheilerin, angeblich an "Herzverfettung".

Kein Wunder also, dass diese Frauengestalt immer wieder Künstler auf den Plan rief: Das Leben der Amalie Hohenester, geborene Nonnenmacher, war Vorlage für zwei Filme, mehrere Romane und Volksstücke. Die Theatergruppe der Ebrachtaler hat sich entschieden für jenes von Georg Stöger-Ostin, der Miesbacher schrieb das Stück 1951. Im Original heißt es "Die Haberltöchter von Marschall", doch dieser Titel war den Ebersbergern zu lang und zu wenig griffig. Vom Inhalt aber war Spielleiterin Doris Lang schnell überzeugt: eine unerfüllte Liebe, das unselige Treiben der Brüder, eine ausgewogene Rollenverteilung - all das ließ sie schon vor Jahren mit "D' Doktabäurin", wie die Ebrachtaler das Stück nennen, liebäugeln. Hinzu kommt, dass die Geschichte einen lokalen Bezug vorweisen kann: Amalie Nonnenmacher wird 1827 in Vaterstetten geboren. Erst einige Zeit später zieht die Familie nach Holzkirchen, auf den Haberl-Hof.

"Vor allem aber brauchen wir Stücke mit mehreren Schauplätzen", erklärt Doris Lang, "um unseren ganzen Platz nutzen und beleben zu können." Die Ebrachtaler spielen seit mehreren Jahren unter freiem Himmel, rund um ihr Vereinsheim an der Schwabener Straße bauen sie eine Freilichtbühne auf. Stücke, die nur in einer guten Stube vonstatten gehen, würden den dramaturgischen Möglichkeiten des Ortes nicht gerecht. "Ich finde, bei uns ist es ein bisschen wie im Film", sagt Lang, "man kann sehr viel mit Licht arbeiten und sogar mehrere Geschehen gleichzeitig zeigen." Hinzu kommt eine ganz besondere Open-Air-Atmosphäre: Sternenhimmel, Blätterrauschen, ein Hang am Waldrand. Die Kulisse dieser Naturbühne unterstützt romantische Inhalte genauso wie spannende. Für das Stück von Georg Stöger-Ostin wird dies wohl die Premiere unter freiem Himmel sein - jedenfalls ist Lang keine andere derartige Aufführung bekannt.

Den großen Konflikt in der Familie Nonnenmacher spannt der Autor bereits auf den ersten Seiten auf: "Tua nur du allweil umsonst kuriern, du Rindviech, du saudumms!", herrscht der Bruder die Schwester an, nachdem sie kostenlos eine Salbe ausgegeben hat. Doch Amalie, 22 Lenze jung, lässt sich nicht beirren: "Nur dass i mir mit dö Vergelts Gott, dö i von dö Leut kriag, aa Achtung verschaff, was bei eich mit Stehln net der Fall is!" Wie ein Gelenk funktioniert eine der Hauptfiguren, der Forstgehilfe Anderl: Er macht einerseits Jagd auf die Räuberbande, andererseits unterhält er eine Liebesbeziehung zu Amalie. Die Doktabäurin und ihre Schwestern leiden jedenfalls sehr unter dem schlechten Ruf ihrer Brüder: Die Familie Haberl erweist sich als eine Art Fluch, dem schier nicht zu entkommen ist. Selbst die ehrgeizige Amalie, die es zu Ansehen und Reichtum bringt, findet persönlich kein Glück.

Die Ebrachtaler Theatergruppe ist bemüht, dem historischen Stoff stilistisch gerecht zu werden, dafür wird auch so manches Kostüm wie etwa eine Polizeiuniform extra ausgeliehen. Doch "hundertprozentig authentisch" werde die Inszenierung nicht sein, sagt Doris Lang, die mit Hildegard Brummer Regie führt. "Holzclogs, wie sie damals üblich waren, wären am Hang zu gefährlich". Ohnehin steht bei den Aufführungen die Unterhaltung im Vordergrund und die Pflege des Dialekts: Infrage kommen nur Laienspiele in Mundart.

Um ihrem Publikum niveauvolles Volkstheater bieten zu können, proben die Darsteller bereits seit Februar, außerdem bilden sie sich regelmäßig weiter. Doris Lang hat 2013 die Spielleitung übernommen und sich darauf mit einem Regiekurs des Trachtenverbands vorbereitet. Viel gelernt habe sie auch bei der "Geierwally", der ersten Freilichtaufführung der Ebrachtaler: "Diese Fassung von Felix Mitterer war vom Ablauf her einfach perfekt strukturiert, sogar an die Zwischenmusik zur Überbrückung langer Wege hat er gedacht." Die Saunaboarischen werden bei der "Doktabäurin" wieder zuständig sein, Doris Lang ist gerade auf der Suche nach passenden Musikstückeln wie der "Amalien-Polka" aus der Feder von Herzog Max von Bayern, des Vaters von Sissi.

Vieles ist in den Augen der Regisseurin für eine stimmige Inszenierung nötig. Von der großen Choreografie über das Raufen ohne Verletzungen, bis hin zur kleinen Geste: "Eine Rose kann man so oder so übergeben, sehr galant oder eher beiläufig." Das alles zu durchdenken, erfüllt Doris Lang mit Freude. Und nicht nur sie, sondern das ganze Team der Freilichtbühne: "Wir erarbeiten das alles gemeinsam", betont die Spielleiterin, "und da das alles ehrenamtlich passiert, muss die Stimmung schon passen, es soll ja auch Spaß machen." 15 Sprechrollen und etwa noch einmal so viele Statisten zählt die "Doktabäurin". Personalprobleme scheint es nicht zu geben, selbst die Komparsenrollen fänden immer schnell Abnehmer. "Gerade für die jungen Leute sind die prima, weil sie so Theaterluft schnuppern können, ohne gleich zu viel Verantwortung zu übernehmen." Und zu einer echten Räuberbande gehören ein paar halbstarke Gesellen ja immer dazu.

"D' Doktabäurin - Die Haberltöchter von Marschall", Freilichttheater des Trachtenvereins Ebersberg, gespielt wird auf dem Gelände rund um das Vereinsheim, und zwar von Mittwoch, 24. Juli, bis Sonntag, 28. Juli. Karten und Infos gibt es online unter www.ebrachtaler-ebersberg.de, im Foyer des Alten Speichers oder unter (08092) 255 92 05.

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SZ vom 13.07.2019
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