Vor knapp zwei Wochen herrschte eitel Sonnenschein beim Kick-off für das Projekt „Perspektive solidarisches Europa“, für das der Kreisjugendring (KJR) Erding ausgewählt worden ist. Der Landkreis Erding wird zwei Jahre lang zur Modellregion für europäische Jugendarbeit. Das klingt toll, das ist toll. Das KJR-Team wurde gleich mal mit einer Urkunde für seine gute Arbeit ausgezeichnet. Philipp Seitz, der Präsident des Bayerischen Jugendrings (BJR), war in den Bürgersaal in Eichenried gekommen, eine Handvoll Bürgermeister aus dem Landkreis und natürlich auch die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU). Es ist ja schließlich ihr eigener Landkreis, da macht das Loben besonders viel Freude. „Danke für den Einsatz, den Sie mit großer Hingabe in Erding übernehmen und für den Mut und die Verantwortung für ein demokratisches Europa – der Landkreis wird davon profitieren“, sagte Scharf.
Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) war jedoch nicht zu diesem schönen Termin erschienen und hatte seinen Stellvertreter Franz Hofstetter (CSU) geschickt. Womöglich fand es Bayerstorfer unpassend und unangemessen, persönlich dabei zu sein, wenn der Kreisjugendring Erding über den grünen Klee gelobt wird. Denn der Landrat hat mit dem KJR nach wie vor noch eine Rechnung offen. Es geht um 92 500 Euro. Eine Menge Geld, die der Kreisjugendring seiner Ansicht nach unrechtmäßig eingesackt hat.
Das Landratsamt hat im Sommer 2022 einen Rückforderungsbescheid über diesen Betrag erlassen. Da der KJR Erding aber selbst gar nicht belangt werden kann, weil er juristisch gesehen ein rechtlich unselbstständiger Teil des Bayerischen Jugendrings ist, wurde der Bescheid an diesen adressiert. Der BJR sieht die Rückforderung jedoch als ungerechtfertigt an, will keineswegs zahlen und hat deshalb Klage am Verwaltungsgericht München eingelegt.
Angesichts der prima Stimmung beim Kick-off war man in den Pressestellen im Landratsamt und beim BJR zunächst richtig erstaunt über die Anfrage, ob denn der Streit um die 92 500 Euro noch existent sei. Es schien kaum vorstellbar, dass man die Sache noch nicht vom Tisch gebracht hätte. Doch die Pressestellen vermeldeten dann eben doch, „es gibt keinen neuen Stand“ und „bislang gibt es tatsächlich keine Einigung“. Die Sache liegt weiter am Verwaltungsgericht München vor und kommt nicht voran. „Wann eine Terminierung der mündlichen Verhandlung erfolgen und eine Entscheidung ergehen wird, ist derzeit noch nicht konkret absehbar“, teilte ein Pressesprecher des Verwaltungsgerichts mit.
Es ist kein Geld versickert war, sondern vollständig für die Jugendarbeit verwendet worden
Dass es überhaupt bis vor Gericht gegangen ist, hat seinen Ursprung in kritischen Äußerungen der ehemaligen KJR-Vorsitzenden Andrea Jarmurskewitz und des ehemaligen KJR-Geschäftsführers Reinhard Egger. Die beiden hatten es Ende 2020 gewagt, eine Kürzung der Zuschüsse kritisch zu hinterfragen. Landrat Bayerstorfer reagierte darauf damit, dass er Kreisrechnungsprüfer Josef Gaigl zum Kreisjugendring schickte. Gaigl fand Buchhaltungsfehler, wegen denen jährlich 9000 bis 10 000 Euro nicht an den richtigen Haushaltsstellen verrechnet worden waren. Gleichwohl stellte Gaigl fest, dass dieses Geld von niemandem eingesackt wurde, es auch nicht versickert war, sondern vollständig für die Jugendarbeit verwendet wurde. Gaigl erklärte 2020 im Kreisausschuss: „Wichtig ist in meinem Resümee, dass die Gelder zwar nicht zweckentsprechend, aber auch nicht zweckentfremdet verwendet worden sind.“
Doch Bayerstorfer ließ nicht locker und holte eine ganz große Keule heraus, die er direkt gegen Geschäftsführer Egger einsetzte: Er ließ ihn wegen des „Verdachts auf Untreue“ und „insbesondere des Subventionsbetrugs“ anzeigen. Das war ein extrem hartes Vorgehen, das sich dann auch als völlig überzogen und ungerechtfertigt herausstellte. Die Staatsanwaltschaft Landshut stellte die Ermittlungen ein, weil nichts an der Anzeige dran war, kein konkreter Schaden und keinerlei Absicht. Strafbares Verhalten war nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Egger wurde zwar vollständig entlastet, nahm aber dennoch zermürbt seinen Hut und verließ den KJR.
Die Regierung von Oberbayern sieht in der Angelegenheit durchaus Ermessensspielraum
Das Landratsamt blieb dennoch stur und ließ sich von der Einschätzung der Staatsanwaltschaft, es gebe keinen Schaden, nicht beeindrucken. „Die Forderung nach Rückzahlung der zweckwidrig verwendeten Gelder bleibt davon unangetastet“, hieß es im Sommer 2022. Dabei gibt es eine Stellungnahme der Regierung von Oberbayern zu dem Fall, die man als Handreichung für eine vernünftige Beilegung der Angelegenheit verstehen sollte. Die Fachleute der Bezirksregierung schrieben bereits im September 2021, es gebe durchaus Ermessensspielraum, man sei nicht gezwungen, einen Rückforderungsbescheid über zigtausend Euro zu erlassen.
Das sture Festhalten an der Rückforderung ist noch aus einem weiteren Grund kaum nachvollziehbar. Der KJR Erding hat kein Geld, der BJR müsste im Fall des Falles zahlen. So wie der KJR aber sein Geld vor allem durch Zuschüsse vom Landkreis bekommt, finanziert sich der BJR vor allem über staatliche Förderung. Letztlich würde das vom Landkreis geforderte Geld also vom Freistaat kommen. Ansprechpartner des BJR in der Staatsregierung ist ausgerechnet Ulrike Scharf. Die Ministerin ist nicht nur die direkt gewählte Abgeordnete aus dem Landkreis, sondern auch Mitglied des hiesigen Kreistags.