Süddeutsche Zeitung

Erding:Klaglos hinnehmen

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Bei der Walpertskirchener Spange und dem Bahnausbau München - Mühldorf wird der bislang übliche Rechtsweg für Bürger und Kommunen weitgehend eingeschränkt. Ein neues Bundesgesetz macht das möglich - damit alles ein bisschen schneller geht

Von Florian Tempel, Erding

Der Zweck heiligt die Mittel - als Urheber dieser groben Formel werden gerne Machiavelli oder Napoleon genannt. Zwar sind diese beiden als Politikvordenker eigentlich nicht mehr so angesagt. Doch das vor einer Woche vom Bundestag verabschiedete Beschleunigungsgesetz für Verkehrsprojekte gibt dem Leitgedanken des rücksichtslosen Pragmatismus neuerliche Relevanz. Das neue Gesetz, das beim Ausbau der Bahnstrecke München - Mühldorf und dem Bau der Walpertskirchener Spange angewandt werden soll, schafft den bislang üblichen Rechtsschutz weitgehend ab. Umweltverbände sind ganz raus. Betroffenen Bürger bleibt als einziges Rechtsmittel eine Verfassungsbeschwerde. Dabei ist der Gang nach Karlsruhe normalerweise "erst dann zulässig, wenn zuvor der fachgerichtliche Rechtsweg vollständig durchschritten wurde", wie es auf der Internetseite des Verfassungsgerichts heißt - aber den soll es ja nicht mehr geben. Für Kommunen ist eine Verfassungsbeschwerde kaum mehr als eine theoretische Möglichkeit.

Im Landkreis Erding hat man viel Erfahrung mit großen Verkehrsprojekten. Der Bau der Flughafens im Erdinger Moos, die Flughafentangente Ost, die dritte Startbahn und die Isentalautobahn wurden alle in Planfeststellungsverfahren beschlossen und anschließend vor Verwaltungsgerichten beklagt. In allen Fällen brachten die Klagen letztlich nichts oder kaum etwas. Doch ist das ein Grund, die bisher bestehenden Klagemöglichkeiten nun einfach abzuschaffen? Am Abend, bevor die Isentalautobahn eröffnet wurde, sagte Claus Deißler, der langjährige Rechtsanwalt des A 94-Widerstands, der Fall habe gezeigt, dass es keinen Sinn mache, gegen staatliche Großprojekte zu klagen. Die Politik habe sich die Gesetze so sehr zurecht gelegt, dass der Staat jeden Prozess in jedem Fall gewinne. Das war kein Plädoyer, auf Rechtsschutz künftig zu verzichten, sondern ein bitteres Fazit.

Stephan Kühn, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, verweist hingegen darauf, dass Umweltverbände zu etwa 50 Prozent mit Verwaltungsgerichtsklagen gegen Verkehrsprojekte erfolgreich seien. Die Grünen und die Linken haben im Bundestag gegen das neue Gesetz gestimmt. Da sie nicht genug Abgeordnete stellen, könne sie aber nicht dagegen in Karlsruhe klagen. Kühn hofft nun, dass einer der großen Umweltverbände vor den Europäischen Gerichtshof ziehen wird, um dort das Gesetz zu Fall zu bringen.

Die Realisierung soll schneller gehen, indem man sich lästige Klagen spart

Das neue Mittel, Verkehrsprojekte wie der Bahnausbau München - Mühldorf und die Walpertskirchener Spange (ABS 38) künftig per Gesetz zu beschließen, verfolgt einen klaren Zweck: Die Realisierung soll schneller gehen, indem man sich lästige Klagen spart. Der anvisierte Zeitgewinn ist das einzige Argument dafür, den normalen Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten zu versperren. Das Bundesverfassungsgericht hat das in einem Urteil 1996 zu einem früheren Maßnahmengesetz als zulässig bewertet. Man dürfe das, wenn "hiefür im Einzelfall gute Gründe bestehen, etwa weil die schnelle Verwirklichung des Vorhabens von besonderer Bedeutung für das Gemeinwohl ist".

Die Planungen aller großen Verkehrsprojekte im Landkreis Erding haben in der Tat stets Jahrzehnte gedauert. Die Zeit, die nach den Planfeststellungsbeschlüssen vor Gericht verhandelt wurde, war im Vergleich dazu jedoch viel geringer. Auch die Planungen für den Bahnausbau und die Walpertskirchener Spange dauern gefühlt schon ewig. Mit irgendwelchen Klagen und Gerichtsverfahren hat das jedoch nicht im Geringsten zu tun. Auch in Zukunft sollen die Behörden wie bisher weiterplanen. Der einzige Unterschied besteht am Ende darin, dass nicht das Eisenbahnbundesamt einen Planfestungsbeschluss fasst, sondern der Bundestag ein Gesetz erlässt. Auch das kritisiert Kühn: "Letztlich entscheiden dann Abgeordnete ohne Ortskenntnisse und lokalen Bezug." Beschleunigung sei gut, müsse aber anders als mit Maßnahmengesetzen erreicht werden, findet Kühn: Mit mehr Personal in den Planungs- und Genehmigungsbehörden und effektiver Bürgerbeteiligung.

Andreas Lenz (CSU), der im Wahlkreis Erding-Ebersberg direkt gewählte Bundestagsabgeordnete, war bei der Abstimmung am Freitag vor einer Woche nicht dabei. Er gab währenddessen einem Fernsehsender ein Interview zum Brexit. Von dem Gesetz, dass in seinem Wahlkreis zur Anwendung kommen soll, habe er erstmals im Dezember erfahren. Er wolle nun alles weitere "kritisch begleiten", verspricht Lenz. Er verstehe durchaus, "die Sorge, dass berechtigte Bürgerinteressen nicht mehr berücksichtigt werden". Auf der anderen Seite sehe er "die Chance, dass wir unsere Interessen vor Ort im Gesetz verankern können". Lenz glaubt, dass sich mit einem Maßnahmengesetz zum Beispiel besserer Lärmschutz festschreiben ließe. Ein spezielles ABS 38-Gesetz entfalte ja keine Präzedenzwirkung.

Hans Schreiner (FW), der Bürgermeister der Gemeinde Bockhorn, über deren Gebiet die Walpertskirchener Spange zu einem großen Teil führen soll, ist sehr viel skeptischer: "Letztendlich wird bei einem solchen Großprojekt der Bürger zur Seite geschoben." Dass der Rechtsweg so eingeschränkt werde, hält er für bedenklich: "Das geht an die Grundfeste der Demokratie." Er sieht die Sorgen seiner Gemeindebürger, dass der Staat noch direkter "in ihre Eigentumsrechte eingreifen" werde. Unter der Vorgabe, dass alles schneller gehen müsse, würden wohl auch "die Enteignungen beschleunigt", die für den Bau der Walpertskirchener Spange notwendig werden. Dass ein Maßnahmengesetz positive Auswirkungen haben könnte, wie sie der Abgeordnete Lenz sieht, glaubt Schreiner nicht. Die bisherige Planung sehe "auf dem Großteil der Walpertskirchener Spange gar keinen Lärmschutz vor". Für Schreiner sind deshalb eher die Parallelen zum miserablen Lärmschutz an der A 94 offensichtlich.

Der Dorfener Bürgermeister Heinz Grundner (CSU) hält sich laut Auskunft einer Sprecherin mit einer Bewertung der neue Gesetzeslage zurück. Grundner wolle den anstehenden Besuch im Bundesverkehrsministerium abwarten, bei der man mit der Dorfener Alternativplanung für den Bahnausbau überzeugen möchte: "Auf welche Rückmeldung die Präferenzvariante stößt, werden wir erst nach dem Termin sagen können und in Folge des Ergebnisses weitere Schritte definieren."

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Quelle:
SZ vom 08.02.2020
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