Süddeutsche Zeitung

Erding: Kehrtwende in der Baupolitik:Mehr Geschosse, mehr Tiefgaragen

Der Arbeitskreis "Flächensparendes Bauen im Landkreis" erstellt eine Checkliste für Kommunen. Die sollen im Rahmen ihrer Planungshoheit künftig in neuen Bebauungsplänen Mindest- statt Höchstgrenzen festlegen

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Der Druck auf die Kommunen im Landkreis Erding mehr Wohnungen zu bauen steigt von Jahr zu Jahr. Mehr Bautätigkeit bedeutet aber auch mehr Flächenverbrauch. Um dem entgegen zu wirken hatte sich vor rund einem Jahr ein Arbeitskreis "Flächensparendes Bauen im Landkreis" gegründet in dem neben dem Landratsamt die Gemeinden und der Bauernverband vertreten ist. Jetzt wurde die Ergebnisse vorgestellt, die allerdings nur als Empfehlungen verstanden werden sollen, die die Gemeinden im Rahmen ihrer kommunalen Planungshoheit umsetzen sollen. Unter anderem in Bebauungsplänen nicht mehr Höchstmaße festzusetzen, sondern Mindestwerte. Zum Beispiel eine Mindestanzahl von Geschossen oder Mindestwandhöhe. Oder die Verpflichtung von Tiefgaren und Überbauungen von Gewerbegebäuden für Büros.

"Wir müssen einen Spagat machen", sagte Landrat Martin Bayerstorfer bei der Vorstellung. Zum einen würde immer mehr Fläche versiegelt und aus ihrer früheren Nutzung heraus fallen - in der Regel landwirtschaftliche Flächen, zum anderen steige der Druck Wohnungen zu schaffen, um die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern. Mehr Wohnungen würde aber auch mehr Infrastruktur benötigen, die wiederum Fläche benötige. Vom Arbeitskreis wurde dazu jetzt eine Checkliste erstellt, die Gemeinden bei der Ausweisung von neuen Baugebieten verwenden sollen. Damit soll geprüft werden, ob und inwieweit im konkreten Einzelfall flächensparender gebaut werden kann und ob alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Bei Bebauungen am Ortsrand soll zum Beispiel geprüft werden, ob der Bedarf nicht durch vorhandene Baulandreserven innerhalb des Ortes gedeckt werden kann. Bei allen Gebäuden soll abgewogen werden, ob nicht drei Geschosse möglich sind - auch am Ortsrand. Im Ortsinneren könnten es neben drei Vollgeschossen auch noch ein Dachgeschoss sein.

Weitere Checkpunkte sind unter Anderem: Ist eine Tiefgaragenbebauung oder am besten ebenfalls überbaute Sammelgaragen möglich. Kann eine Mehrfachnutzung von Stellplätzen erfolgen. Grund- und Geschossflächen sollte man maximal ausnutzen (mit Prüfung ob man die Obergrenze sogar überschreiten kann), Einfamilienhäuser mit einseitiger Grenzbebauung erlaubt oder sogar festgeschrieben werden im Bebauungsplan. Geprüft werden soll, ob eine Wohnnutzung des Kellers möglich ist. Und ob man ein Baugebot in einem städtebaulichen Vertrag mit dem Bauherren festgeschrieben hat.

"Ein Bungalow auf 1000 Quadratmeter passt nicht mehr in unsere Zeit", sagte Bayerstorfer. Auch nicht riesige Parkplatzflächen in Gewerbegebieten oder nur eingeschossige Gewerbegebäude. Auch müsse man sich die Frage stellen, ob man an Ortsrändern nur niedrigere Bebauung zulassen dürfe. "Gerade in der heutigen Zeit gilt, dass sich Ortsränder verändern." Aber bei allem bleibe die Planungshoheit bei den Gemeinden, betonte Landrat Bayerstorfer. Sie müssten auf Grundlage der Checkliste entscheiden, was für sie an welcher Stelle das beste sei.

"Die Planungshoheit ist unser höchstes Gut, aber auch Verantwortung", sagte Johann Wiesmaier. Als Kreisvorsitzender des Bayerischen Gemeindetages und Bürgermeister von Fraunberg vertrat er die 26 Kommunen im Landkreis. Er und seine Amtskollegen würden die erarbeiteten Vorschläge und die Checkliste begrüßen, da man wisse, dass sich beim Flächenverbrauch etwas ändern müsse. Um die Punkte allerdings umsetzen zu können, müsse ein Umdenken in den Köpfen vieler stattfinden - vom Gemeinde- und Stadtrat bis hin zu den Bauherren. Auch Dorfens Bürgermeister Heinz Grundner sah dies als Grundvoraussetzung. Um höhere Bebauungen durchsetzen zu können oder Büros über eingeschossige Gewerbebauten müsse viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Bayerstorfer sprach von einem "gesellschaftlichen Auftrag".

Für Jakob Maier, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands, sind Bauten wie das Korbinian-Aigner-Gymnasium oder die Planung im Erdinger Gewerbegebiet West "völlig aus der Zeit gefallen", weil mit der erdgeschossigen Bebauung zu viel Fläche verbraucht werde. Mit den Vorschlägen des Arbeitskreises war er aber nicht ganz zufrieden. Ihm gehen die Vorschläge gegen mehr Flächenverbrauch, der in der Regel zu Lasten landwirtschaftlicher Flächen gehe, nicht weit genug. "Wir als Verbraucher sind Teil des Problems", sagte Maier. Es soll ein stetiges Wachstum geben, aber jeder sage: Ja, aber nicht zu meinen Lasten. Es müsse ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden, sonst sei Erding in 240 Jahren rechnerisch komplett versiegelt.

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SZ vom 06.12.2019
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