Süddeutsche Zeitung

Erding:Irrtümliche Schwarzfahrt hart bestraft

Lesezeit: 2 min

29-Jährige am Amtsgericht Erding zu drei Monaten auf Bewährung verurteilt

Von Gerhard Wilhelm, Erding

So recht wollte es die 29-jährige Angeklagte auch nach dem Urteil von Richterin Michaela Wawerla nicht glauben, dass sie für "einen kleinen Fehler", der doch unabsichtlich passiert sei, zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, ausgesetzt auf zwei Jahre zur Bewährung, verurteilt wurde. Doch ihr Vorstrafenregister war zu lang und zudem einschlägig, womit Wawerla nur dem Antrag der Staatsanwältin folgen konnte. Eines hatte das Verfahren aber auch gezeigt: "Sie brauchen Hilfe", sagte die Richterin zu der sichtlich psychisch angeschlagenen Angeklagten und teilte ihr einen Bewährungshelfer zu, was bei der Strafhöhe normalerweise nicht der Fall sei.

Im Prinzip ging es nur um 9,90 Euro. Die Staatsanwaltschaft hatte einem Strafantrag der Deutschen Bahn stattgegeben und die Frau wegen Leistungserschleichung, auch Schwarzfahren genannt, und Betrugsversuch angeklagt. Sie war am 2. November 2020 mit dem Zug von Freising nach München unterwegs und dabei kontrolliert worden. Letztendlich ging es um eine Streifenfahrkarte auf der nur vier Streifen abgestempelt worden waren, statt der für die Fahrt nötigen fünf. Laut Aussage der Kontrolleurin sowie dem Protokoll der Polizei hätte sich die Frau bei der Kontrolle und der anschließenden Personenaufnahme sehr aufgeregt und sei "emotional aufgelöst" gewesen. Bei der Kontrolleurin habe sie nämlich keine Angaben machen wollen, weshalb diese die Polizei einschaltete. Bei den Beamten soll sie gesagt haben, dass sie die hohen Preise nicht einsehe.

Vor Gericht beteuerte die Angeklagte, die ohne Anwalt erschienen war und derzeit in Dorfen bei Verwandten lebt, mehrfach, dass sie sich nur verstempelt und gedacht habe, vier Streifen reichen. Wobei sie anfangs nur von zwei statt vier Streifen sprach.

Wie viele Streifen von der Fahrkarte man tatsächlich von Freising nach Feldmoching braucht, gibt offenbar nicht nur Fahrgästen des MVV manches Rätsel auf. Die Amtsrichtern war sich zwar sicher, dass vier Streifen noch nie gereicht haben, aber spätestens die Frage der Staatsanwältin, ob es in der letzten Zeit nicht mal eine Umstellung beim MVV gegeben habe, ließ auch diese Sicherheit ins Schwimmen kommen. Und auch die Kontrolleurin musste nach kurzer Zeit erklären: "Ich bring es gerade nicht zusammen."

Normalerweise wäre Schwarzfahren auch kein so großes Thema für die Staatsanwaltschaft, aber mit 29 Jahren gab es bei der Angeklagten schon 13 Einträge ins Bundeszentralstrafregister. Von Diebstahl über vorsätzliche und gefährliche Körperverletzung, Drogenbesitz und -handel, tätlicher Angriff auf einen Polizeibeamten, Hehlerei, Betrug und eben diverse Erschleichungen von Leistungen. "Das zuletzt war doch nur ein kleiner Fehler und man kann mich doch nicht für meine früheren bestrafen, ich bin doch kein Schwerverbrecher", sagte die Angeklagte und verwies darauf, dass sie noch alte Geldstrafen abbezahle. Zudem sei sie krank, sie leide unter posttraumatischen Störungen, habe eine Persönlichkeitsstörung, Panikattacken und sei hyperaktiv. Und sie will eine Therapie machen. Alles andere sei "unfair".

Von einer erneuten Geldstrafe wollte die Staatsanwältin aber nichts wissen. Der Vorwurf habe sich ihrer Meinung nach bestätigt und eine weitere Geldstrafe schrecke sie eh nicht ab. Sie plädierte für eine Freiheitsstrafe von drei Monaten, ausgesetzt auf zwei Jahre zur Bewährung, und der Zuordnungen eines Bewährungshelfers. Dem schloss sich die Amtsrichterin an. "Sie werden nicht wegen ihrer Vorstrafen verurteilt, sondern weil die Vielzahl höhere Strafen auslöst", sagte Michaela Wawerla. Und eine Krankheit sei keine Rechtfertigung für ihr Tun. Sie müsse sich helfen lassen, damit sich in ihrem Leben etwas ändere - und dafür sei der Bewährungshelfer da.

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SZ vom 03.03.2021
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