Erding:Investitions-Therapie

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Das wirtschaftlich kränkelnde Kreiskrankenhaus Erding soll durch eine Ausweitung seines medizinischen Angebots gesunden. Interview mit Landrat Martin Bayerstorfer und Klinikchef Sándor Mohácsi.

Florian Tempel

Das Kreiskrankenhaus Erding hat so viele Patienten wie nie zuvor, die Zahl der Operationen ist enorm gestiegen. Und trotzdem macht es Millionendefizite. Um aus der Verlustzone zu kommen, soll das Kreiskrankenhaus weiter wachsen. In einen Anbau soll das medizinische Spektrum um ein Dialysezentrum, Strahlentherapie, Neurochirurgie und hochmoderne OP-Säle ergänzt werden. Das alles kostet Geld. Die SZ sprach mit Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) und Klinikvorstand Sándor Mohácsi über die wirtschaftliche Lage und die Sanierung durch Investitionen.

Das Kreiskrankenhaus Erding soll weiter wachsen. Das kostet erst mal viel Geld. (Foto: Bauersachs)

SZ: Wann hat das Kreiskrankenhaus zum letzten Mal Gewinn gemacht?

Mohácsi: 2008 hatten wir einen guten Gewinn, 2009 gab es noch eine schwarze Null.

Dann ging es aber bergab. 2010 waren es 1,9 Millionen Verlust, im vergangenen Jahr 2,8 Millionen und für 2012 rechnen Sie mit einem ähnlich hohen Defizit. Wie ernst ist die wirtschaftliche Lage?

Mohácsi: Wir sind alarmiert und am Arbeiten, um mit einer sanften Sanierung das Versorgungsangebot für die Bevölkerung weiter zu verbessern und damit die Grundlage dafür zu schaffen, wirtschaftlich zu gesunden.

Das Kreiskrankenhaus hat mehr Patienten und mehr Operationen als je zuvor - und trotzdem große Verluste. Wie passt das überhaupt zusammen?

Mohácsi: Das liegt am System der Krankenhausfinanzierung in Deutschland im Allgemeinen und der Erdinger Situation im Besonderen. Man erhält von den Kassen nicht mehr Geld, wenn man mehr Leistungen erbringt. Wenn wir von einem Jahr auf das nächste Jahr mehr Leistungen erbringen, werden diese nicht eins zu eins bezahlt. Ein zweiter Effekt, der ebenfalls nicht Erding-spezifisch ist, sind die für die Mitarbeiter erfreulichen Tarifsteigerungen in diesem Jahr. Das erhöht aber unsere Personalausgaben um 3,5 Prozent. Unsere Budget ist von den Krankenkassen jedoch nur um 1,3 Prozent erhöht worden.

Bayerstorfer: Bei 32 Millionen Euro Personalkosten im Jahr bedeutet das, dass uns etwa 650 000 Euro nicht erstattet werden.

Und was ist die Erdinger Situation?

Mohácsi: Wir investieren in eine ganze Reihe von Projekten, die erstmal die wirtschaftliche Situation belasten. Ein Beispiel: Das Linksherzkatheterlabor hat 1,8 Millionen Euro gekostet. Das ist eine Investition, die sich erst nach zwei, drei Jahren auszahlt.

Bayerstorfer: Man kann nicht erwarten, dass der Linksherzkatheter sofort ausgelastet ist.

Mohácsi: Die Investition beschränkt sich dabei nicht nur auf die baulichen und technischen Maßnahmen. Wir haben auch ein Team mit Ärzten und Pflegern aufgebaut. Die Entwicklung der Zahlen für den Linksherzkatheter ist hervorragend, besser als es im Businessplan dargestellt war.

Sie sagen, Sie haben sich für ein Gesundwachsen entschieden, wollen weiter investieren. Mit Sparen geht es nicht?

Bayerstorfer: Sparen geht schon, aber nicht schrumpfen.

Auf der gleichen Größe bleiben, geht auch nicht?

Mohácsi: Nein, das geht nicht.

Bayerstorfer: Das würde keine Verbesserung bringen. Wir wollen weiter nach vorne gehen. Deswegen brauchen wir frisches Kapital seitens des Landkreises.

Der Landkreis schießt dem Kreiskrankenhaus in diesem Jahr 1,9 Millionen aus Steuereinnahmen zu. Was würde passieren, wenn der Landkreis dem Krankenhaus kein Geld geben würde?

Bayerstorfer: Wir könnten keine weiteren Investitionen tätigen. Wir sollten aber nicht nur Lippenbekenntnisse abgeben: Dass wir das Kreiskrankenhaus in kommunaler Trägerschaft halten wollen, dass es zukunftsfähig sein und weiterentwicklet werden soll.

Aber die 1,9 Millionen vom Landkreis sind doch ein Defizitausgleich und keine Investitionsbeihilfe.

Bayerstorfer: Nach EU-Recht sind Beihilfen nicht zulässig. Aber wir dürfen Ergebnisse ausgleichen. Es ist tatsächlich so: Wir dürfen das Geld nur geben, weil wir einen Verlust beim Kreiskrankenhaus haben. Aber eigentlich stützen wir damit die großen Investitionen im Haus.

Es gäbe aber auch die Möglichkeit, dass der Landkreis dem Krankenhaus Geld als Darlehen gibt? Warum eine Direktzahlung?

Bayerstorfer: Das Gebäude des Kreiskrankenhauses ist doch auch mit Geld des Landkreises gebaut worden. Und wir haben es 2005 dem Kommunalunternehmen Kreiskrankenhaus unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Genau so ist es bei Neuinvestitionen. Das sehe ich identisch. Wenn ein Anbau notwendig ist, warum soll das Geld dafür das Krankenhaus selbst erwirtschaften? Eigentümer des Grundstücks und der Gebäude ist der Kreis. Wir wollen bewusst weitere Bereiche dazunehmen. Wir wollen Strahlentherapie, ein Dialysezentrum und weitere OP-Säle. Dafür müssen wir baulich erweitern. Ich habe schon die ersten Bedenkenträger gehört, die sagen, soll der Landkreis das alles überhaupt übernehmen. Aber da muss ich sagen, ja Leute, was ist die Alternative? Wollt ihr das alles nicht? Dem Krankenhaus aufzuerlegen, aus dem operativen Geschäft heraus diese Investitionen zu tätigen, das kann man nicht verlangen.

Wird es weitere Direktzahlungen geben?

Bayerstorfer: Das wissen wir noch nicht. Dazu gibt es keine Beschlusslage und keinen Automatismus.

Mohácsi: Für die zukünftigen Investitionen müssen wir fallweise entscheiden, geht es mit Fremdkapital, geht es über Eigenkapital ...

Bayerstorfer: ... oder geht es über den Landkreis.

Wenn das Kuratorium für Heimdialyse in Kooperation mit niedergelassenen Ärzten ein Dialysezentrum aufbaut, ist das gut für Nierenkranke. Doch wie profitiert das Kreiskrankenhaus davon?

Mohácsi: Nicht unmittelbar. Aber Patientenbindung ist ein wichtiges Thema. Wir können zum Beispiel Spezialchirurgie für Dialysepatienten anbieten, die wir in der Gefäßchirurgie bisher kaum durchgeführt haben, weil die Patienten eben nicht zu uns zur Dialyse gekommen sind.

Bayerstorfer: In erster Linie ist es nicht in Euro und Cent ein wirtschaftlicher Vorteil, sondern ein Vorteil, weil wir das haben wollen. Damit die Menschen im Landkreis Erding, die Dialyse brauchen, nicht weite Wege auf sich nehmen müssen. Das ist eine politische Entscheidung.

Es wird wohl einen ganzen Erweiterungsbau geben. Es kommt ja auch Strahlentherapie, ebenfalls in Kooperation mit niedergelassenen Ärzten. Was bringt das dem Kreiskrankenhaus?

Bayerstorfer: Es ist wieder das Gleiche: Zum einen wollen wir die Strahlentherapie für die Versorgung unserer Bevölkerung. Ich kann aber nicht hergehen und sagen, Krankenhaus, mach das mal alles, weil wir als Eigentümer das so wollen, ohne dass es in der Wirtschaftlichkeit sofort Vorteile bringt. Ich bleibe dabei: Das ist eine rein politische Entscheidung. Da kann ich nicht das Krankenhaus in Vorleistung gehen lassen. Wir als Landkreis müssen die baulichen Einrichtungen stemmen - oder wir verzichten darauf. Da wird jeder Kreisrat im Kreistag Farbe bekennen müssen.

Sie sehen es also so: Der Landkreis ist Eigentümer des Unternehmens Kreiskrankenhaus. Wenn er es ausbauen will, muss er seinen Beitrag leisten?

Bayerstorfer: Ganz genau, so verstehe ich das.

Mohácsi: Dialyse und Strahlentherapie sind zudem für ein Haus der Grund- und Regelversorgung - und das sind wir ja - kein originärer Versorgungsauftrag. Wir würden das, wenn wir das als eigene Abteilungen machen wollten, gar nicht genehmigt bekommen.

Dialyse und Strahlentherapie gehen nur in Kooperation mit niedergelassenen Ärzten?

Mohácsi: So ist es. Aber wir profitieren davon mittelbar. Viele Patienten, die Dialyse oder Strahlentherapie brauchen, sind ja vorher oder nachher auch mal als stationäre Patienten im Krankenhaus.

Ein neuer OP-Trakt und eine neurochirurgische Abteilung wären aber Investitionen des Kreiskrankenhauses.

Mohácsi: Das ist ein originäres Angebot von uns.

Dadurch erhöht man direkt den Umsatz, den man für das Gesundwachsen braucht?

Mohácsi: Das ist tatsächlich für unseren stationären Versorgungsauftrag ganz wesentlich.

Es gab auch den Wunsch nach einer Kinderstation, er ist abgelehnt worden.

Bayerstorfer: Wir müssen ehrlich sagen, das können wir nicht bieten. Wir können bei uns in Erding kein Kinderkrankenhaus betreiben, mit all den Facetten, die notwendig wären. Wir können nicht alles anbieten. Das werden wir auch künftig nicht können. Aber wir machen bausteinmäßig immer mehr. Das ist ein guter Weg.

Mohácsi: Ein Thema, was uns strategisch sehr am Herzen liegt, ist die Spitzenmedizin, die wir inzwischen bieten. Da müssen wir uns kein bisschen verstecken. Wir haben Spitzenleute, die die gleichen Operationen durchführen, die sie vorher an Unikliniken durchgeführt haben.

Ist es also auch das Kapital dieses Hauses, dass es Mediziner hat, die auf höchsten Niveau praktizieren?

Mohácsi: Absolut, das ist das beste Fundament, auf das wir bauen können.

Wenn ein Neubau für all das Angesprochen her muss, wird der Landkreis dafür Direktzahlungen an das Kreiskrankenhaus geben?

Bayerstorfer: Nein. Das soll so laufen: Der Landkreis ist Gebäudeeigentümer. Wir haben auch das bestehende Haus dem Kreiskrankenhaus unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Wenn ich also in der Logik bleibe und sage, jetzt brauchen wir einen Neubau, dann baut ihn der Landkreis und stellt ihn seinem Kommunalunternehmen Kreiskrankenhaus zur Verfügung. Das ist für mich konsequent, und nichts anderes wird es geben. Aber es ist ja nicht nur das Gebäude, sondern wir brauchen auch die Ausstattung dazu. Da muss man dann schauen wie das funktioniert.

Das Geld aus Direktzahlungen könnte zum Beispiel für einen Computertomografen in einem neuen OP-Saal verwendet werden?

Bayerstorfer: Das könnte über das frische Geld finanziert werden, wenn wir Ergebnisse ausgleichen. Aber das traue ich mich heute nicht zu sagen, in welcher Größenordnung, was da überhaupt fällig ist, und ob das überhaupt unsere Aufgabe ist. Aber ein Gebäude ist mit dem Grundstück unmittelbar verbunden. Gebäude und Grundstückseigentümer ist der Landkreis. Es hat nie eine Übertragung gegeben.

Wenn der Landkreis den Anbau für Dialyse, Strahlentherapie und einen neuen OP zahlt, ist das Unternehmen Kreiskrankenhaus schon mal von einem Großteil der geplanten Investition entlastet?

Bayerstorfer: Für all das, was wir wünschen, müssen wir die Gebäude hinstellen.

Mohácsi: Das ist doch eine schöne Logik.

Bayerstorfer: Da kann ich auch jeden Kreisrat zum Schwur bringen: Wenn du für die Bürger willst, dass sie nicht nach Freising, nach Landshut oder München fahren müssen, dann musst auch die Hand dafür heben, dass wir Finanzmittel für einen Anbau zur Verfügung stellen.

Was ist das Kreiskrankenhaus in erster Linie: Eine öffentliche Einrichtung oder ein Unternehmen?

Bayerstorfer: Es ist in erster Linie eine öffentliche Einrichtung. Auch der Landkreis ist als hundertprozentiger Eigentümer eine öffentliche Einrichtung, eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts.

Mohácsi: Als Vorstand sehe ich aber auch den Auftrag, diese öffentliche Einrichtung nach wirtschaftlichen, unternehmerischen Gesichtspunkten zu führen. Und dem Träger gegenüber Rechenschaft darüber abzulegen, dass das nach guter Unternehmensführungspraxis geschieht.

Bayerstorfer: Alle öffentlichen Einrichtungen müssen heute nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gesteuert werden.

Mohácsi: Als öffentlich Einrichtung gilt für uns in Bayern das duale Krankenhaus-Finanzierungsmodell: Für die Infrastrukturinvestitionen kommt die öffentliche Hand auf, für den Betrieb die Sozialversicherung, im Wesentlichen die Krankenkassen. Wir sind beiden verpflichtet und beide erwarten, dass wir mit den Steuergeldern, mit denen wir die Infrastrukturinvestitionen bezahlt bekommen, und den Sozialversicherungsbeiträgen, die den Betrieb finanzieren, wirtschaftlich arbeiten.

Ein Blick über die Landkreisgrenze: Freising hat jahrelang Millionenverluste gemacht, jetzt machen sie Millionengewinne? Ein Beispiel für Erding?

Bayerstorfer: Dann müssten wir das Rad wieder zurückdrehen. Denn Freising hat einen Managementvertrag.

Freising hat einen Managementvertrag mit dem Klinikum rechts der Isar. Sind Sie, zurückblickend, noch zufrieden mit dem früheren Sana-Management in Erding?

Bayerstorfer: Das hatte Vor- und Nachteile. Wir sind der Ansicht, dass es der richtige Weg ist, wie wir ihn momentan gehen. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir wieder in die Gewinnzone fahren können.

Kein Blick zurück im Zorn?

Bayerstorfer: Nein. Wir blicken nach vorne. Wir haben einen öffentlichen Auftrag, das darf man nicht unterschätzen. Wir könnten uns natürlich auch auf den gesetzlichen Auftrag zurückziehen- nur drei Abteilungen, Innere, Chirurgie und Geburtshilfe. Das tun im Übrigen viele der Häuser, die privatisiert worden sind.

Beim Privatisieren bleibt immer ein Risiko. Falls der private Träger Pleite geht, hat der Landkreis immer noch seinen Versorgungsauftrag.

Bayerstorfer: Richtig. Man darf sich nicht in die Irre leiten lassen. Von wegen, ich verkaufe mein Kreiskrankenhaus und bin alle Probleme los. Für mich kommt ein Verkauf nicht in Frage.

Im Krankenhausreport des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) steht, ein Fünftel aller Krankenhäuser in öffentlicher Hand ist von Insolvenz bedroht. Gehört das Kreiskrankenhaus auch in diese Gruppe?

Bayerstorfer: Da wir aktuell ein Minus haben, gehören wir zum roten Bereich.

Das RWI hat auch vorausgesagt, dass bis 2020 jede zehnte Klink Pleite geht.

Mohácsi: Da werden wir nicht dabei sein, ganz sicher nicht.

Bayerstorfer: Weil der Landkreis hinter seinem Haus steht.

Das Kreiskrankenhaus ist ja ein Kommunalunternehmen und ein Kommunalunternehmen kann nicht Pleite gehen. Für die Schulden haftet der Eigentümer - der Landkreis, also seine Kommunen und letztlich der steuerzahlende Landkreisbürger?

Bayerstorfer: Ja, der haftet. Aber darauf wollen wir es gar nicht ankommen lassen. Unsere Strategie ist, wir wollen gesundwachsen.

Wie viele Jahre werden noch vergehen, bis Sie einen positiven Jahresabschluss veröffentlichen können?

Bayerstorfer: Ich wage die Prognose, dass wir in der Gesamtsumme der Defizitausgleiche nicht so hoch kommen, wie es bei den Freisingern war. Meines Wissens haben die über 15 Millionen Euro ausgeglichen. Wir sind auf jeden Fall besser.

Mohácsi: Ohne eine genaue Zahl nennen zu können: Ich denke, dass wir diese Sanierung in drei oder vier Jahren hinter uns haben.

© SZ vom 14.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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